Weissrussland gewinnt an Bedeutung für die Schweiz
Bald dürfte aus der Schweizer Aussenstelle in Weissrussland eine offizielle Botschaft werden. swissinfo.ch hat mit dem diplomatischen Vertreter in Minsk, Claude Altermatt, über die Beziehungen zwischen den beiden Ländern gesprochen.
Die Schweiz ist daran, ihre diplomatischen Beziehungen mit Weissrussland aufzuwerten. Zu diesem Anlass führten die parlamentarische Freundschaftsgruppe Schweiz-Weissrussland sowie die schweizerische Gesellschaft für Aussenpolitik (SGA) am Dienstag im Bundeshaus eine Veranstaltung zum Thema «Unbekanntes Belarus (Weissrussland): Land im Wandel zwischen dem Westen und Russland?» durch.
Claude Altermatt, Leiter der Schweizer Aussenstelle in Minsk, sowie Benno Zogg, Forscher am Center for Security Studies an der ETH Zürich, sprachen über die aktuellen Entwicklungen in Weissrussland und beantworteten Fragen aus dem Publikum.
swissinfo.ch hat im Vorfeld Claude Altermatt, der seit eineinhalb Jahren die Schweizer Vertretung in Weissrussland leitet, in seinem Büro in Minsk interviewt.
swissinfo.ch: Weissrusslands Präsident Alexander Lukaschenko wird oft als «letzter Diktator Europas» bezeichnet. Was halten Sie von dieser Bezeichnung?
Claude Altermatt: Dies entspricht nicht der Wirklichkeit. Alexander Lukaschenko ist ein Autokrat. Er ist seit 24 Jahren Präsident. Wenn man sagt, er sei ein Diktator, dann verharmlost dies den Begriff Diktator.
Man denke nur mal an Gaddafi. Diese Bezeichnung des «letzten Diktators» zeigt auch, dass das Land einen doppelten Nachteil hat: Kaum jemand kennt Weissrussland, und kaum jemand weiss, dass sich einiges verändert hat in den letzten Jahren.
swissinfo.ch: Was hat sich verändert?
C.A.: Die Zeichen deuten auf eine langsame und kontrolliere Öffnung des Landes in Richtung Westen und gleichzeitig China hin. Indikatoren dafür sind etwa die liberalisierten Visa-Bestimmungen: Seit Sommer 2018 können Touristinnen und Touristen aus 80 Staaten nun für dreissig Tage visumfrei nach Weissrussland reisen.
Auch wirtschaftlich ist das Land offener geworden, auch wenn es immer noch relativ abhängig von der russischen Wirtschaft ist. China ist aber ein wichtiger Investor. Man muss dies im geopolitischen Kontext betrachten: Was in der Ukraine seit 2013 passiert ist, hat in Weissrussland für Unruhen gesorgt.
Weissrussland realisiert, dass es immer mehr nach einer Konfrontation mit Russland aussieht. Deshalb verstärkt es seine Eigenständigkeit. Aber kontrolliert: Während die Ukraine klar anti-russisch geworden ist, ist Weissrussland viel pragmatischer.
swissinfo.ch: Wie sehen die Beziehungen zwischen der Schweiz und Weissrussland aus?
C.A.: Wir befinden uns in einer Phase der Vertiefung, bis vor zwei Jahren waren unsere Beziehungen noch schwach. Mit der Öffnung aber wird Weissrussland für die Schweiz wichtiger.
Dies zeigt sich auch wirtschaftlich: So hat etwa die Firma Stadler Rail, die hier seit 2014 eine eigene Fabrik hat, die Anzahl an Mitarbeitenden von 600 auf 1000 erhöht, und auch Peter Spuhler reist regelmässig nach Weissrussland. Diese Öffnung des Landes hat uns dazu veranlasst, die Beziehungen zu vertiefen.
swissinfo.ch: Weshalb?
C.A.: Früher war die Wahrnehmung von Weissrussland sehr einseitig. Es gab offene Repressionen und Menschenrechtsverletzungen. Doch die letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurden ohne Repressionen durchgeführt – dies in einem Land, das noch nicht demokratischen Standards entspricht.
Im Parlament gibt es nun auch zwei Abgeordnete der Opposition. Ich kann diese problemlos treffen und mit ihnen offen sprechen. Das war früher nicht der Fall. 2016 wurden auch die meisten Sanktionen aufgehoben. Es hat sich also etwas getan. Das alles hat dazu beigetragen, dass man Weissrussland eine wachsende Bedeutung zumisst.
swissinfo.ch: In Weissrussland kommt es aber immer noch regelmässig zu Verletzungen von Menschenrechten und es ist das einzige Land Europas, das nach wie vor die Todesstrafe anwendet. Die Schweiz aber hat eine lange humanitäre Tradition, Menschenrechte sind bei uns sehr wichtig.
C.A.: Wir vertreten unsere Schweizer Werte immer konsequent. Es stimmt, dass es in Weissrussland immer noch die Todesstrafe gibt, 2018 kam es zu vier Hinrichtungen. Da gibt es natürlich nichts zu diskutieren, wir empfehlen den Behörden immer wieder, ein Moratorium einzuführen.
Aber auch hier bewegt sich etwas: Es gibt ein Festival zum Thema Todesstrafe, Konzerte, und es gibt einige Abgeordnete, die sich öffentlich gegen die Todesstrafe aussprechen. Auch bezüglich Meinungsfreiheit verbessert sich die Situation langsam, das Internet wird nicht gestört, wenn auch überwacht.
Die Entwicklung in Richtung Zivilgesellschaft geht langsam voran. Man muss wissen: Im Gegensatz zu den Schweizerinnen und Schweizern waren die Weissrussinnen und Weissrussen nie frei. Deshalb braucht es Zeit.
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