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Warum Steuern der Grenzgänger in der Schweiz zu reden geben

Zollübergang Schweiz-Frankreich
Allein dem Kanton Waadt brachten in der Schweiz angestellte Grenzbewohner 112 Millionen Franken Steuereinnahmen – hier der französisch-schweizerische Zoll in Vallorbe. Keystone

Ein Teil der Steuern auf das Einkommen von Grenzgängerinnen und Grenzgängern landet in den Kassen der Schweizer Behörden. In der Eidgenossenschaft wächst der Appetit auf diesen immer grösser werdenden Steuersegen. Die wichtigsten Fragen.

Die Besteuerung von Grenzgängerinnen und Grenzgängern ist im deutsch-schweizerischen Doppelbesteuerungs-Abkommen (DBA) von 1971Externer Link geregelt. Ziel des Abkommens ist die Vermeidung der Doppelbesteuerung.

Die Schweiz erhebt eine limitierte Quellensteuer von 4,5% auf das Bruttoeinkommen von in Deutschland ansässigen und in der Schweiz angestellten Grenzbewohnerinnen und -bewohnern. Dieser Betrag wird anschliessend von der durch das deutsche Finanzamt erhobenen Einkommensteuer abgezogen.

Dies allerdings nur, wenn man sich zuvor beim Finanzamt am Wohnsitz in Deutschland als Grenzgänger angemeldet hat. Diese so genannte Ansässigkeits-Bescheinigung muss dem Schweizer Arbeitgeber vorgelegt werden, sonst behalten die Schweizer Steuerbehörden den vollen Steuerbetrag ein.

Weil die Beträge in der Steuererklärung in Schweizer Franken eingetragen werden müssen und das deutsche Steueramt eine Umrechnung in Euro nach dem Wechselkurs des Steuerjahres vornimmt, kann es vorkommen, dass der Steuersatz in Deutschland steigt, wenn der Schweizer Franken mehr Wert hat.

+ swissinfo.ch-Dossier zum Thema Grenzgängerinnen und Grenzgänger

Laut dem bilateralen Abkommen von 1983Externer Link liegt es an Frankreich, Steuern von Grenzgängerinnen und Grenzgängern zu erheben, die in der Schweiz arbeiten. Paris ist verpflichtet, 4,5% der Bruttolohnsumme nach Bern zu überweisen. Von dort wird das Geld dann an die acht unter dieses Abkommen fallenden Kantone verteilt: Waadt, Neuenburg, Bern, Wallis, Solothurn, Jura, Basel-Stadt und Basel-Landschaft.

Nur der Kanton Genf hat ein anderes System: Hier besteuert der Kanton selber das Einkommen von ausländischen oder schweizerischen Personen, die auf seinem Gebiet arbeiten, aber ihren Wohnsitz in Frankreich haben. Die Genfer Steuerbehörden zahlen dann den Gemeinden der Departemente Ain und Haute-Savoie einen Teil dieser Summe aus, 3,5% des gesamten Bruttogehalts.

Im Fall von italienischen Grenzgängerinnen und Grenzgängern erhebt die Schweiz die volle Einkommenssteuer und zahlt dann 38,8% an deren Wohngemeinden aus.

Das Median-Einkommen von Grenzgängerinnen und Grenzgängern betrug laut den jüngsten vom Bundesamt für Statistik (BFS) erhältlichen DatenExterner Link von 2016 pro Jahr 71’484 Franken.

Multipliziert mit der Anzahl aktiver Grenzgängerinnen und Grenzgänger in jenem Jahr (312’324) beträgt das gesamte Einkommen über 22 Milliarden Franken. Allein die 169’879 französischen Grenzgängerinnen und Grenzgänger verdienten mehr als 12 Milliarden Franken.

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An die acht vom Abkommen mit Frankreich von 1983 betroffenen Kantone wurden 2017 insgesamt 320 Millionen Franken überwiesen.

Das in Genf angewandte System, wo fast die Hälfte der französischen Grenzgängerinnen und Grenzgänger arbeiten, erscheint für die Schweizer Seite viel vorteilhafter: Von den rund einer Milliarde Franken Steuern, die 2016 von Grenzgängern erhoben wurden, führte die Schweiz weniger als ein Drittel (281 Mio. Fr.) an die benachbarten französischen Departements zurück. Der Schweizer Anteil wurde verteilt auf den Bund (100 Mio.), den Kanton (465 Mio.) und die Genfer Gemeinden (155 Mio.).

Laut einer Studie des Genfer Steuerexperten Xavier ObersonExterner Link von 2014 hätten die Kantone Jura und Neuenburg bei einem Wechsel zum System der Quellenbesteuerung viel zu verlieren. Weil damit ihre Zahlungsfähigkeit zunehmen würde, müssten sie im komplexen System des interkantonalen Finanzausgleichs, das eine gewisse Solidarität zwischen finanzstarken und ressourcenschwachen Kantonen gewährleisten soll, wohl Federn lassen.

In den Augen des jurassischen Finanzministers Charles Juillard, Präsident der kantonalen Finanzdirektoren-Konferenz (FDK), würde die Quellensteuer auch einen erheblichen Steueraufwand und eine zusätzliche Belastung für die betroffenen Unternehmen bedeuten.

«Mit dem aktuellen System reicht es aus, das gesamte Einkommen der Grenzgängerinnen und Grenzgänger zu nehmen und davon 4,5% zu berechnen. Es ist das einfachste verfügbare System», sagt er gegenüber swissinfo.ch.

Der Geldsegen der Grenzgängerinnen und Grenzgänger, deren Anzahl sich innerhalb der letzten 15 Jahre verdoppelt hat, weckt unweigerlich Begehren. Umso mehr, als das Thema heikel ist und von einigen politischen Parteien regelmässig für Wahlzwecke genutzt wird.

So kämpft die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) bereits seit einigen Jahren in den kantonalen Parlamenten für eine Erhöhung des Steuerbeitrags von Grenzgängerinnen und Grenzgängern, den sie für unzureichend hält.

«Eine Verdoppelung des Steuersatzes vorzuschlagen, mag gewagt erscheinen, aber es ist der richtige Preis, der zu zahlen ist.»
Andreas Jurt, Grossrat Kanton Neuenburg

Kürzlich hat das Kantonsparlament von Neuenburg einstimmig ein Postulat angenommenExterner Link, gemäss dem die Eidgenossenschaft aufgefordert werden soll, so bald wie möglich über eine Erhöhung des Steuersatzes für Grenzgänger von 4,5 auf 9% zu verhandeln.

Der Urheber des Vorstosses, der Neuenburger Grossrat Andreas Jurt von der rechtsbürgerlichen Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen), wehrt sich gegen jegliche Vorwürfe der Fremdenfeindlichkeit gegenüber Grenzgängerinnen und Grenzgängern. Vielmehr weist der kantonale Abgeordnete hin auf Beeinträchtigungen durch den täglichen Pendlerverkehr, mangelnde Einkäufe im lokalen Handel und die hohe Arbeitslosenquote, die durch die Konkurrenz der Grenzgänger verursacht werde.

«Eine Verdoppelung des Steuersatzes vorzuschlagen, mag gewagt erscheinen, aber es ist der richtige Preis, der zu zahlen ist», sagt Jurt gegenüber swissinfo.ch. «Diese Frage muss Teil der laufenden Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen mit der Europäischen Union sowie über die Entschädigung arbeitsloser Grenzgänger sein.»

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Charles Juillard
Der Jurassier Charles Juillard ist Präsident der kantonalen Finanzdirektoren-Konferenz (FDK). © KEYSTONE / LAURENT GILLIERON

Der jurassische Finanzminister Charles Juillard glaubt, es sei illusorisch, dieses Abkommen in einem für die Schweiz vorteilhafteren Sinn neu zu verhandeln. «Frankreich wäre sicherlich einverstanden, die Höhe des Steuersatzes neu zu verhandeln, aber nur einen tieferen. Mehrere diesbezügliche Anträge wurden bereits in der Nationalversammlung und im Senat eingereicht», sagt er.

Hingegen sind die kantonalen Finanzdirektoren einstimmig der Meinung, es sei eine Änderung des bilateralen Abkommens von 1983 auszuhandeln. Eine solche würde die Einführung von Verzugszinsen bei Nichteinhaltung der Zahlungsfristen durch Frankreich vorsehen.

Letztes Jahr überwies das französische Finanzministerium am 26. Dezember 320 Millionen Euro, die für Steuern 2016 fällig waren und vor dem 30. Juni hätten überwiesen werden sollen. Ein solches Problem gab es bereits 2013 einmal, weswegen mehrere Schweizer Gemeinden gegen Jahresende ein Darlehen aufnehmen mussten.

Während Frankreich technischen Problemen bei der Datenübermittlung die Schuld gibt, sind die Schweizer Behörden verärgert über die mangelnde Bereitschaft ihrer französischen Nachbarn.

«Bereits heute bezahlt die Schweiz einen Teil der Arbeitslosenunterstützung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger. Künftig könnten wir uns vorstellen, dass wir diese Beträge als Ausgleich einbehalten, bis Frankreich seinen Steuerverpflichtungen nachkommt», sagt Juillard.

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(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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