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Boris Malagurski: Nutzt ein serbischer Nationalist die Schweiz für Propaganda?

Trauernde zwischen Grabsteinen in Sarajevo
Keystone / Jasmin Brutus

Der serbisch-nationalistische Regisseur Boris Malagurski tourt mit seinem neuen Film ab heute durch die Schweiz. Nach der Intervention bosnischer Aktivist:innen wurden bereits zahlreiche Aufführungen abgesagt. Unsere Recherche.

Das Schreiben holt das Trauma einer Volksgruppe in die Schweizer Gemeindekanzleien. Es werde ein «Propagandafilm» gezeigt, der Überlebenden und Hinterbliebene des Völkermords an den Bosniak:innen von neuem traumatisiere, steht in den Emails, die in den letzten Tagen auch an zahlreiche Medien verschickt wurden Viele weitere Menschen, gerade aus der albanischen Diaspora in der Schweiz, würden die Aufführung ebenfalls einen «Skandal» finden. Denn der Film minimiere die «Gräueltaten der Polizei und Armee der Republika Srpska von 1992 bis 1995». Auch in den Niederlanden, Österreich, Deutschland und Italien engagieren sich Bosnier.innen momentan auf allen Ebenen gegen die Mitteleuropa-Tour des Films «Republika Srpska – Kampf für die Freiheit». Die erste Aufführung in der Schweiz ist für heute Abend geplant.

Zeitweise sah es aus, als würde das zivilgesellschaftliche Engagement die Tour des Films komplett verhindern. Doch nun verlagerten sich die Aufführungen mit anwesendem Regisseur von Kinos in Vereinsräume. Der Regisseur Boris Malagurski gibt sich gegenüber swissinfo.ch optimistisch. Die Redefreiheit stehe über allem. «Die Schweiz ist eine freie und offene Gesellschaft», sagt er.

Der Umgang mit dem Film ist indes alles andere als einheitlich. So hat etwa die Gemeinde Neuenhof im Kanton Aargau die Aufführung in einem serbischen Vereinslokal untersagt. Die Kleinstadt Altstätten im Kanton St. Gallen intervenierte hingegen nicht – eben mit dem Argument, dass der umstrittene Film bloss in einem Vereinslokal gezeigt werde. Bellinzona teilt mit, man beobachte die Situation.

Verdrehung der historischen Realität

Der Film erzählt, soweit bekannt, die Geschichte der Republika Srpska als Freiheitskampf. Die Republika Srpska bildete sich im Bosnienkrieg und ist heute die autonome Teilrepublik der Serb:innen in Bosnien-Herzegowina. Dies basiert auf dem Abkommen vom Dayton, einem Friedensvertrag von 1995. Im Trailer heisst es über die Serb:innen, «Sie waren versklavt.» Bosniak:innen, also bosnische Muslim:innen, werden als Aggressoren dargestellt, die Serb:innen hätten «Widerstand geleistet» – das ist eine Verdrehung der durch zwei Internationale Gerichtshöfe bestätigten historischen Realität.

Boris Malagurski galt manchen einmal als serbischer Michael Moore. Seine Dokumentarfilme pflegen einen ähnlich überspitzten Stil wie jene des US-Regisseurs. Doch dabei verfolgen sie immer ein klar geschichtsrevisionistisches Narrativ. Der Politologe Jasmin Mujanovic kennt Malagurskis Schaffen. “Seine ‹Weight of Chains›-Serie, ebenso wie seine Filme über Kosovo und Montenegro, verlaufen nach den Blaupausen des bekannten Revisionismus von serbischen Nationalist:innen», sagt er. Aus den bisher veröffentlichten Auszügen schliesst Mujanovic, dass Malagurskis neuer Film diese Reihe fortsetzen wird.

«The Weight of Chains” von 2010 erzählt ausführlich von serbischen Opfern im Bosnienkrieg statt vom Genozid an den Bosniak:innen. Dabei bietet der Film Hand für verschwörungstheoretische Weltbilder: Interviewte zimmern westliche Mainstreammedien als Feindbilder. Journalist:innen seien nach Bosnien gekommen, «um mit vorgeschriebenen Storys die Serben zu beschuldigen». Während die Off-Stimme von «den Verantwortlichen» für die Eskalation spricht, wird im Bild Bill Clinton gezeigt – der den Friedensvertrag von Dayton ermöglichte. Der Film ist heute, wie alle früheren Malagurski-Filme, frei im Internet verfügbar.

Neuer Film nicht überprüfbar

Boris Malagurski teilt swissinfo.ch mit, er und sein neuer Film würden den Genozid von Srebrenica explizit anerkennen. «Im Bezug auf Srebrenica sprechen wir von, und das ist ein Zitat aus dem Film, ‘abscheulichen Verbrechen, die als die grösste einzelne Massentötung in den Jugoslawienkriegen und als die schlimmsten in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg gelten’.»

Doch der neue Film ist online nicht verfügbar. Er könne den Film swissinfo.ch auch nicht zur Sichtung zur Verfügung stellen, schreibt Malagurski. Warum? Weil sein «Vertrieb» den Film «nur an Kinos und Festivals» schickt. Das klingt, als ob Malagurskis Vertrieb wie früher schwere Filmrollen per Post versendet.  Oder nach einer Ausflucht.

Tatsache ist inzwischen aber, dass der Film in der Schweiz gar nicht in Kinos gezeigt wird. Malagurski gibt sich als Gastgeber: Er lade swissinfo.ch gerne zu einer Vorführung ein. Dieselbe Strategie nutzt er nicht nur gegenüber swissinfo.ch. «Haben Sie meinen Film denn gesehen?», entgegnet Malagurski auf Social Media kritischen Aktivist:innen.

Bis vor kurzem hat der 34-Jährige für die russischen Staatsmedien Sputnik und RT gearbeitet. Diese Tätigkeit habe er eingestellt, teilt er swissinfo.ch mit. Aufmerksamkeit erlangte vor ein paar Jahren ein Nazivergleich des Regisseurs: So sagte er  2016 im Fernsehsender N1Externer Link, dass das, was «Amerikaner Muslimen antun bei weitem niederträchtiger sei», als das, was «die Nazis Juden im Zweiten Weltkrieg angetan haben». In derselben Sendung sprach er davon, dass die «Propagandamaschinerie» der westlichen Medien heute «entwickelter» sei als «zu Zeiten Nazi-Deutschlands».

Gegenüber swissinfo.ch sagt Malagurski, es sei «extrem geschmacklos», dass ihm deshalb eine Relativierung der Naziverbrechen vorgeworfen werde. Er verweist darauf, dass im Zweiten Weltkrieg «mehr als eine Million» Serb:innen von den Nazis ermordet worden seien, darunter auch Mitglieder seiner Familie.

Angriff auf die Gesundheit der Überlebenden

Die bosnisch-deutsche Journalistin und Filmemacherin Melina Borčak gilt als Genozidexpertin. Sie kennt Malagurskis Arbeit – und deren Folgen. Über dessen neuen Film sagt sie: «Die Armee der Republika Srpska war eine genozidale Armee. Wenn ehemalige Soldaten einer solchen Armee zu ihrem angeblichen Kampf für die Freiheit befragt werden, ist das das schlimmste, was man den traumatisierten Überlebenden des Genozids antun kann.» Das Aufführen solcher Filme verletze nicht einfach Gefühle: «Es ist ein neuer Angriff auf die Gesundheit jener Überlebenden, die seit Jahrzehnten keine Nacht durchschlafen können.»

Die Republika Srpska existiert seit 1992. «Das ist keine Region mit einer eigenen Geschichte, wie Schottland oder das Baskenland. Die Entität gibt es heute nur, weil alle Nicht-Serb:innen aus der Region vertrieben oder ermordet wurden», sagt Borčak.

Borčak hat den neuen Film – natürlich – auch nicht gesehen. Sie geht davon aus, dass er mindestens revisionistische oder verharmlosende Züge hat. «Genozidleugnung fängt schon an, wenn man die Zahlen kleiner darstellt oder die genozidale Absicht leugnet.»

Seit einem Jahr ist die Leugnung des Genozids an den Bosniak:innen in Bosnien-Herzegowina strafbar und wird mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft. Borčak sagt: «Solche Gesetze, wie sie auch Ruanda zum Genozid an den Tutsi kennt, sind sehr gut.» Obwohl es in Bosnien noch keine Verurteilungen gibt, seien die Fälle bereits zurückgegangen.

In der Schweiz ist die Leugnung, Verharmlosung oder Rechtfertigung von Genoziden durch die Rassismusstrafnorm verboten. Giulia Reimann von der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus schreibt Swissinfo.ch auf Anfrage, dass bisher bloss ein Fall bekannt sei, wo in der Schweiz die Geschehnisse in Srebrenica geleugnet wurden. Das Bundesgericht hat den Beschuldigten aber 2019 freigesprochen, «da der fragliche Text weder zu Gewalt, Hass oder Diskriminierung aufgerufen, noch Vorwürfe gegenüber den bosnischen Muslimen enthalten habe.» Für das Bundesgericht müsse eine «gewisse Diskriminierungsabsicht gegeben sein».

Früher war das Bundesgericht weniger zurückhaltend. Doch es wurde von Strassbourg korrigiert. Ein Leugner des Völkermords an den Armenier:innen, den das Bundesgericht verurteilt hatte, gewann 2015 mit seiner Beschwerde am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Menschenrechtsgericht gewichtete die Meinungsfreiheit sehr hoch; das Bundesgericht passte danach seine Rechtssprechung an.

Womöglich werden sich nun auch Schweizer Gerichte mit Boris Malagurskis neuem Film befassen: Jemand aus dem Umfeld des Verbands bosnischer Kulturvereine reicht heute noch eine Strafanzeige ein. Ob Malagurskis neuer Film den Genozid an den Bosniak:innen leugnet – und ob er das auf in der Schweiz strafrechtlich relevante Art tut, ist nun also Sache von Polizei und Staatsanwaltschaft.

In Bosnien-Herzegowina hat die Opferrechtsorganisation «Mütter von Srebrenica» zu einem Verbot des Films aufgerufen. In ihrer Erklärung in den bosnischen Medien heisst es: „Der Film leugnet den Völkermord, die Aggression gegen Bosnien-Herzegowina und die Geschichte von Bosnien-Herzegowina. Er hat die Absicht den Leugnern des Völkermords in Srebrenica, denjenigen, die die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, zusätzliche Kraft zu geben. Er feiert diese Verbrecher und unterstützt ihre Täter.“

Malagurski reagierte so, wie er es momentan immer tut: Er behauptete, dass die Organisation seinen Film nicht gesehen habe – und lud die «Mütter von Srebrenica» zu einer Aufführung ein.

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