Botswana: Die älteste Demokratie Afrikas will ein Leuchtturm nach Schweizer Vorbild werden
Der von US-Präsident Joe Biden initiierte zweite Gipfel für Demokratie bietet kleinen Ländern mit einer starken demokratischen Identität wie Botswana, der Mongolei – und der Schweiz – eine einzigartige Bühne. Ende März fand er gleichzeitig auf fünf Kontinenten statt.
Der zweite Gipfel für Demokratie fand vom 28. bis 30. März statt und brachte mehr als 100 Länder zusammen. Die erste Ausgabe dieser globalen Veranstaltung wurde von US-Präsident Joe Biden angeregt und im Dezember 2021 in Washington DC durchgeführt.
An diesem ersten Gipfel verpflichteten sich die teilnehmenden Regierungen, darunter auch die Schweiz, zu konkreten Massnahmen zur Unterstützung der Demokratie, welche bei der zweiten Auflage des Gipfels nicht bewertet wurden. Der zweite Gipfel wurde in Afrika (Sambia), Asien (Südkorea), Europa (Niederlande) und Amerika (Costa Rica und USA) ausgerichtet.
Der Demokratieberater Kaelo Molefhe erzählt SWI swissinfo.ch, wie ein kleines, eingeschlossenes und anfangs nicht sehr reiches Land im südlichen Afrika zu einem friedlichen und wohlhabenden Land geworden ist und nun ein globaler Motor für die Demokratie werden will. Und warum die zunehmende Zusammenarbeit mit der Schweiz Teil dieser Geschichte ist.
Molefhe nahm Ende März an einem Treffen im Vorfeld des Gipfels teil, das von der Schweizer Regierung in Giessbach in den Schweizer Alpen veranstaltet wurde. Ebenfalls anwesend waren Regierungsvertreter aus Indonesien, der Mongolei, Kenia, Südafrika, Kolumbien, Irland, den USA und der EU.
SWI swissinfo.ch: Seit seiner vollständigen Unabhängigkeit im Jahr 1966 ist Botswana ein blühender, offener und wettbewerbsfähiger Mehrparteienstaat und damit die älteste ununterbrochene Demokratie in Afrika. Was sind die Gründe für diesen Erfolg?
Kaelo Molefhe: Diese Entwicklung lässt sich durch eine Reihe von Faktoren erklären. Zunächst möchte ich auf die britische Herrschaft von 1885 bis zur Unabhängigkeit im Jahr 1966 hinweisen. Anders als in anderen Teilen des Kontinents entschieden sich die Briten im damaligen Betschuanaland für eine indirekte Herrschaft, was bedeutet, dass sie den traditionellen Anführern die Autorität und die Macht über ihr Volk überliessen. Auf diese Weise ermöglichten es die Briten unseren lokalen Behörden, das Sagen zu haben, ohne die traditionellen Regierungsstrukturen zu stören, die auf einer breiten Beteiligung und einem Konsens im Entscheidungsprozess beruhen. Es handelt sich um das so genannte Kgotla-System, bei dem jede:r das Recht hat, sich zu äussern, und bei dem der Chief einen Konsens herbeiführt.
Auch nach der Unabhängigkeit [im Jahr 1966, A.d.R.] bleibt der Kgotla ein wichtiger Bestandteil unserer öffentlichen Verwaltung, insbesondere auf lokaler Ebene. So haben wir beispielsweise vor kurzem die umfassende Überarbeitung unserer Verfassung abgeschlossen und dabei das ganze Land durchquert und die Menschen in verschiedenen Kgotlas getroffen, wo sie ihre Wünsche offen und transparent zum Ausdruck brachten. Der Kgotla bleibt daher ein wichtiges Forum für Beratungen, Entscheidungsfindung und Konfliktlösung und hat unserem Land gute Dienste geleistet.
Als das britische Protektorat Betschuanaland zum unabhängigen Staat Botswana wurde, gab es im Gegensatz zu vielen anderen Ländern im südlichen Afrika keine Armee, die die Macht an sich reissen konnte. Der erste demokratisch gewählte Präsident des Landes, Seretse Khama, verzichtete sogar auf eine Armee und konzentrierte sich auf die Entwicklung eines der damals ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder Afrikas. Erst als die rhodesischen und südafrikanischen Sicherheitskräfte Mitte der 1970er-Jahre begannen sich einzumischen, beschloss Botswana 1977, eigene Streitkräfte aufzustellen. Das Land hatte bis dahin wichtige Schritte auf dem Weg zu einem weitaus entwickelteren Land mit einer gut ausgebildeten Bevölkerung gemacht.
Damals wurden die ersten Diamantenminen eröffnet, die Botswana zu grossem Reichtum verhalfen. Heute machen die Diamantenminen einen bedeutenden Teil der Wirtschaft aus. In den letzten Jahren erwirtschaftete die Diamantenindustrie etwa 33% des botsuanischen BIP, 50% der Staatseinnahmen und 70% der Exporteinnahmen. Mit einer Bevölkerung von 2,6 Mio. Menschen auf einer Fläche von 581’000 km (30’000 km grösser als Frankreich) gehört Botswana heute zu den leistungsfähigsten Ländern des Kontinents: So ist das Land beispielsweise die Nummer eins in Afrika, wenn es um Frieden, Menschenrechte und politische Stabilität geht.
Botswana ist ein Binnenland mit Nachbarn, die nicht die gleiche stabile Entwicklung durchlaufen haben, was Frieden und Demokratie angeht. Ich denke da an Südafrika zu Zeiten der Apartheid oder Simbabwe, das immer noch eine Autokratie ist. Wie konnte Ihr Land im Schatten solcher Regime so gut abschneiden?
Botswana ist ein kleiner Staat. Wirtschaftlich und politisch. Wir befinden uns im Herzen einer Region, die über einen langen Zeitraum hinweg mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert war, die unsere Souveränität bedrohten. Doch anstatt eine konfrontative Haltung einzunehmen, setzten wir auf Engagement, um die Probleme zu lösen. In gewisser Weise haben wir unsere traditionellen Fähigkeiten zur Friedenssicherung auch in den Aussenbeziehungen eingesetzt.
Lange Zeit wusste die Welt sehr wenig über Botswana und dessen Aussenpolitik, die sich auf das südliche Afrika fokussierte. Das scheint sich geändert zu haben. Vor einigen Monaten besuchte der Schweizer Bundespräsident Alain Berset zum ersten Mal Botswana und Ihr Präsident Mokgweetsi Masisi besuchte gerade die USA im Vorfeld des zweiten Gipfels für Demokratie. Dort hielt er eine Rede über die Bedeutung der Demokratie für den Umweltschutz. Ist das eine neue Strategie?
Nein, das ist ein natürlicher Schritt für uns. Als die am längsten ununterbrochene Demokratie in Afrika waren wir immer ein Beispiel und ein Richtwert für andere. Wir wissen um die Bedeutung von Frieden und Stabilität für die sozioökonomische und politische Entwicklung. Deshalb engagieren wir uns als Teil der Standby Force der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika in Mosambik.
Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass Frieden eine Voraussetzung für demokratische Entwicklung ist. Auch in der Afrikanischen Union und darüber hinaus engagieren wir uns für die Unterstützung und Förderung der Demokratie. Letztes Jahr waren wir Gastgeber des ersten afrikaweiten Gipfeltreffens zum Thema Konstitutionalismus und demokratische Konsolidierung, und jetzt leisten wir einen aktiven Beitrag zum zweiten Gipfel für Demokratie.
Botswana ist ein Verfechter der Menschenrechte und der Demokratie in Afrika und in der Welt. Daher ist es etwas überraschend, dass der Anteil der Frauen in Ihrem nationalen Parlament – sieben von 65 Abgeordneten – sehr niedrig ist und dass Botswana fast das letzte Land in Afrika ist, das die Todesstrafe aufrechterhält. Wie erklären Sie sich das?
Bei der jüngsten Verfassungsüberprüfung hat sich die Kommission eindeutig für die Beibehaltung der Todesstrafe ausgesprochen. Ich mag zwar meine eigene Meinung zu diesem Thema haben, aber die Menschen im ganzen Land sehen in der Beibehaltung der Todesstrafe ein notwendiges Abschreckungsmittel gegen Gewaltverbrechen.
Frauen sind nicht nur auf der politischen Ebene unterrepräsentiert, sondern auch in anderen Bereichen. Dies ist auf eine Kombination von Faktoren zurückzuführen, insbesondere auf die Tatsache, dass wir eine weitgehend konservative Gesellschaft sind. Die derzeitige Regierung setzt sich jedoch nachdrücklich für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frau ein.
Wir haben jetzt Frauen in Schlüsselpositionen ernannt. Wir können ja nicht leugnen, dass Frauen einen wesentlichen Teil der Bevölkerung ausmachen, und sie auszuschliessen ist nicht die richtige Strategie für die nationale Entwicklung.
Auf dem zweiten Weltgipfel für Demokratie will Botswana eine aktive Rolle bei der Demokratieförderung übernehmen. Wie soll das geschehen?
Wir hatten das Privileg, Vorteile von Demokratie und guter Regierungsführung zu erleben. Deshalb ist es uns ein Bedürfnis, aktiver zur weltweiten Förderung dieser Werte beizutragen, damit auch andere davon profitieren können. Wir teilen vor allem unsere Erfahrungen und motivieren andere dazu, Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung durch natürliche Ressourcen mit einer offenen und partizipativen Demokratie in Einklang zu bringen.
Auf dem Gipfeltreffen werden wir über unser Engagement bei der Vermittlung in und der Lösung von Konflikten im südlichen Afrika berichten, was Voraussetzungen für die Einführung einer demokratischen Staatsführung in einem Land ist.
Darüber hinaus haben wir damit begonnen, zivilgesellschaftliche Organisationen in ganz Afrika bei der Förderung von Demokratie und Menschenrechten technisch und finanziell zu unterstützen. Wir stellen auch eine wachsende internationale Infrastruktur zur Unterstützung der Demokratie im eigenen Land bereit, wie das Botswana Centre for Human Rights und das Southern African Litigation Centre.
Ausserdem raten wir heute afrikanischen Staatschefs nachdrücklich davon ab, zu lange im Amt zu bleiben und wir fordern die allgemeine Einhaltung von Amtszeitbeschränkungen für Präsidenten.
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Die Schweiz hat Joe Biden und der Demokratie-Welt viel zu bieten
Sie haben an einem Vorgipfel in den Schweizer Alpen teilgenommen, der von der Abteilung Frieden und Menschenrechte des Schweizer Aussenministeriums organisiert und ausgerichtet wurde. Was sind Ihre Eindrücke von den Bemühungen der Regierung dieses kleinen Landes im Herzen Europas?
Die Schweiz ist nicht nur ein kleines Land in Europa, sondern auch eine sehr erfolgreiche Wirtschaft. Neben dem Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen waren meiner Meinung nach die gemeinsamen Werte von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit der beiden Länder die wichtigsten Themen.
Und ich bin mir sicher, dass wir viel voneinander lernen können, wenn es darum geht, andere bei der Unterstützung und Förderung der Demokratie zu engagieren. Der Schweizer Weg ist eine Inspiration für uns, um ein Leuchtturm der Menschenrechte und der Demokratie in Afrika zu werden.
Übertragung aus dem Englischen: Janine Gloor
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