Bund hat sich am Wahlsonntag verrechnet: FDP liegt doch vor Mitte
Der Bund hat am Sonntag falsche Parteistärken bei den Nationalratswahlen publiziert. Die jetzt erfolgte Korrektur hat auf die Sitzzahl keinen Einfluss, aber eine aufgeregte Debatte entfacht. Es gibt Häme wie auch Verständnis und eine Forderung zum künftigen Umgang mit den Resultaten.
Gemäss den korrigierten Zahlen bleibt die FDP entgegen früherer Angaben die drittstärkste politische Kraft im Land. Ihr Ergebnis wurde zwar um 0.13 Prozentpunkte auf 14.3 Prozent nach unten korrigiert.
Weil die Stärke der Mitte-Partei am Sonntag aber sogar um 0.52 Prozentpunkte zu hoch angegeben wurde, fällt sie nun hinter die Freisinnigen zurück. Die Mitte kommt gemäss korrigierten Zahlen auf einen Wähleranteil von 14.1 Prozent.
Drei- bis fünffach gezählt
Am grössten ist die Differenz bei der SVP. Sie kommt auf einen Wähleranteil von 27.9 Prozent – statt wie am Sonntag angegeben auf 28.6 Prozent. Die SP kommt auf 18.3 Prozent – statt wie angegeben auf 18.0 Prozent. Der Grund: Wegen eines Programmfehlers waren die Stimmen der in den beiden Appenzell sowie Glarus angetretenen drei Parteien drei- bis fünffach gezählt.
Diesen Parteien wurden demnach zu viele Stimmen zugerechnet, was sich in einer zu hohen nationalen Parteistärke der SVP, der Mitte und der FDP niederschlug. Mit der Berechnung der korrekten Werte sinkt der nationale Wähleranteil dieser Parteien und die Stärke der anderen Parteien ändert sich entsprechend.
Die falschen Zahlen entstanden nach Angaben des Bundesamtes wegen einer fehlerhaften Programmierung im Datenimportprogramm für die beiden Appenzell und Glarus. Alle drei verfügen über je einen Sitz im Nationalrat und übermitteln ihre Daten in einem anderen Format als die restlichen Kantone.
So hat sich der Bund verrechnet:
Administrativuntersuchung angefordert
Ihre Daten vom Sonntag lieferten sie zwar korrekt, wie es in der Mitteilung heisst. Bei der Verarbeitung kam es dann aber zu einer fehlerhaften Berechnung. Bundespräsident Alain Berset, Chef des zuständigen Departements des Innern, ordnete nach der Bestätigung des Fehlers umgehend eine Administrativuntersuchung an.
Das BFS veröffentlichte eine korrigierte Statistik der Parteistärken. Die Zahlen seien mehrfach nachberechnet und kontrolliert worden, schrieb es dazu und äusserte sein Bedauern über den Fehler.
Es will zudem die Prozesse «in diesem sensiblen Statistikbereich» anpassen. Dazu gehöre zum einen eine umfassendere, automatisierte Plausibilitätsprüfung der Berechnungen. Zum andern will das BFS am Wahltag mehr Kontrollpersonal einsetzen und Abläufe und der Kontrollmodalitäten integral überprüfen.
BFS: «Ist so das erste Mal angewendet worden»
Das neue System sei bei den Wahlen 2023 so das erste Mal angewendet worden. Dies sagte BFS-Direktor Georges-Simon Ulrich vor den Medien. Deshalb könnten Fehler bei vorgängigen Wahlen oder Abstimmungen ausgeschlossen werden.
«Ich glaube, es ist Teil dieser Arbeit, dass Fehler geschehen könnten», sagte Ulrich weiter auf die Frage nach personellen Konsequenzen. Aus heutiger Sicht sei es aber zu früh, über solche Themen auszusagen.
Den Schaden, den das Vertrauen der Bevölkerung in die Wahlen in der Schweiz genommen habe, könne er nicht beurteilen, so Ulrich weiter. «Wir erheben die Daten, wir publizieren die Daten, wir kommunizieren die Daten.» Wie der Fehler in der Bevölkerung ankomme, sei schwierig abzuschätzen.
Die Panne am Wahlsonntag sei die grösste seit den 1990er-Jahren, hiess es an der Medienkonferenz weiter.
So fallen die Reaktionen aus
Die FDP spricht von einem bedauerlichen und besorgniserregenden Fehler, ist aber «glücklich», ihren dritten Platz gerettet zu haben, wie Andrea Caroni, der Vizepräsident und Ständerat von Appenzell Ausserrhoden, auf X schreibt.
Mitte-Präsident Gerhard Pfister stellte seinerseits fest, dass das Ergebnis immer noch besser sei als das Ergebnis, das die beiden Parteien, aus denen die Mitte hervorgegangen ist (CVP und BDP), 2019 erzielt haben.
Michael Hermann, Politologe des Sotomo-Instituts, das die Vorwahlumfragen durchgeführt hat, meinte auf X: Es sei vielleicht eine Weltpremiere, die Wahlumfrage sei genauer gewesen als die offiziell vom Bundesamt für Statistik veröffentlichten Endergebnisse.
«Sicherlich sind Fehler menschlich, aber dieser Fehler ist beschämend, vor allem fast drei Tage nach der Veröffentlichung der endgültigen Ergebnisse», reagierte seinerseits der Politologe Sean Müller.
Auch wenn die Korrektur keine Auswirkungen auf die Sitzverteilung hat, führt sie doch zu erheblichen Veränderungen: «Die Mitte zieht nicht an der FDP vorbei, die SVP gewinnt weniger als erwartet, die SP gewinnt mehr. Der Rechtsruck im Parlament ist also weniger ausgeprägt.»
«Es besteht die Gefahr, dass Personen, die den Behörden nicht vertrauen, in ihren Überzeugungen bestärkt werden», meint Sean Müller. Um dies zu verhindern, schlägt der Politikwissenschaftler vor, die Überprüfungsprozesse zu verstärken, auch wenn sich dadurch die Veröffentlichung der Ergebnisse verzögert.
Der Direktor des Jahrbuchs Schweizer Politik, Marc Bühlmann, ist anderer Meinung. «Es ist normal, dass Fehler passieren. Das passiert überall, wo Menschen arbeiten», sagt er. Der Politologe erinnert daran, dass es vor 50 Jahren üblich war, zwei oder drei Tage zu warten, bis die endgültigen Ergebnisse vorlagen.
«Das Problem ist, dass die Medien und die Öffentlichkeit sie heute sofort haben wollen. Der Kanton Bern musste sich viel Kritik anhören, weil er als letzter seine Zahlen veröffentlichte.
Je schneller man arbeiten muss, desto grösser ist aber das Fehlerrisiko», stellt er fest. Um dies zu vermeiden, schlägt Marc Bühlmann vor, provisorische Ergebnisse zu veröffentlichen und mehrere Tage zu warten, bevor die endgültigen Ergebnisse nach allen Überprüfungen veröffentlicht werden.
Der Politologe sieht die Tatsache, dass der Fehler schnell gefunden und gemeldet wurde, eher positiv: «Das sollte unser Vertrauen in die Schweizer Demokratie eher stärken».
Er rechnet jedoch damit, dass das Ereignis politisch genutzt wird. «Es ist Teil des Spiels, auf die Verwaltung einzuprügeln, aber man sollte aufpassen, dass man nicht zu sehr insistiert, denn das könnte das Vertrauen der Wählerschaft untergraben.»
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