COP26 Glasgow: Präsident der UNO-Klimakonferenz setzt auf die Schweiz
Alok Sharma, Präsident der UNO-Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow, ruft alle Länder auf, die nötigen Anstrengungen zu unternehmen, um die globale Erwärmung deutlich unter 2ºC zu halten. Der ehemalige britische Minister setzt dabei auch auf die Schweiz, die er für ihre aktive Rolle in der Vorbereitung des Gipfels lobt.
Am 31. Oktober begrüsst Grossbritannien die Länder der Welt in Glasgow zur 26. UNO-KlimakonferenzExterner Link. Der COP26-Gipfel ist unser Moment, die Welt auf den richtigen Weg zu bringen, um die enorme Bedrohung durch den Klimawandel zu bewältigen und eine sauberere, bessere Zukunft für uns alle zu schaffen.
Wir wissen alle, was zu tun ist, denn wir haben uns bereits auf unsere Ziele geeinigt: 2015 unterzeichneten die UNO-Mitgliedstaaten das Pariser Abkommen – eine internationale Vereinbarung zur Bewältigung der Klimakrise. Darin verpflichten wir uns, den globalen Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen und 1,5 Grad anzustreben. Denn die Wissenschaftler:innen sagen uns, dass wir so die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels abwenden könnten.
Jedes Zehntelsgrad zählt
Jeder Bruchteil eines Grades macht einen Unterschied aus. Bei einem durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg von zwei Grad anstelle von 1,5 Grad wären Hunderte Millionen Menschen mehr betroffen, und doppelt so viele Pflanzen- und dreimal so viele Insektenarten würden grosse Teile ihres Lebensraums verlieren.
Für die Schweiz ist dies von besonderer Bedeutung, steigen doch im Alpenland die Temperaturen doppelt so schnell an wie im globalen Durchschnitt.
Seit der Festlegung des 1,5-Grad-Ziels hat die Welt jedoch nicht auch nur annähernd genügend getan, und unser Planet Erde erwärmt sich weiter. In meiner Funktion als designierter COP26-Präsident habe ich die Auswirkungen aus erster Hand miterlebt: schmelzende Gletscher, zerstörte Ernten, Dorfbewohner, die aus ihren Häusern vertrieben wurden. Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden diese Auswirkungen noch schlimmer werden, und zwar schnell.
Entscheidendes Jahrzehnt
Der Bericht des Weltklimarats IPCC (Zwischenstaatlicher Ausschusses für Klimaänderungen) besagt, dass die Erde in den frühen 2030er-Jahren wahrscheinlich die entscheidende Grenze von 1,5 Grad Erwärmung erreichen wird, wenn wir in den kommenden Jahrzehnten nicht tiefgreifende Einschnitte bei den CO2- und anderen Treibhausgasemissionen vornehmen.
Der Klimawandel und seine Folgen sind bereits jetzt spürbar. Bei einem Anstieg über 1,5 Grad hinaus wird sich die Situation wahrscheinlich rasch verschlechtern. Deshalb ist dies jetzt das entscheidende Jahrzehnt, in dem wir handeln müssen.
Covid-19 als Push zu grüner Wirtschaft
Wir müssen jetzt handeln und in den nächsten zehn Jahren eine konsequente und konzertierte Anstrengung zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen unternehmen. Und wir müssen den Aufschwung von Covid-19 nutzen, um unsere Wirtschaft neu zu gestalten und eine bessere Zukunft zu schaffen. Eine Zukunft mit grünen Arbeitsplätzen und sauberer Luft, die den Wohlstand steigert, ohne den Planeten zu schädigen.
Das macht COP26 in Schottland so wichtig. Der Klimagipfel muss der Moment sein, in dem jedes Land und jeder Teil der Gesellschaft seine Verantwortung wahrnimmt, um unseren kostbaren Planeten zu schützen und das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Und wir haben einen klaren Plan, das zu erreichen.
Als designierter Präsident der COP26 dränge ich gemeinsam mit dem britischen Premierminister, weiteren Ministern und dem gesamten diplomatischen Netz Grossbritanniens auf Massnahmen im Hinblick auf vier zentrale Ziele.
1. Netto-Null-Ausstoss bis 2050
Erstens müssen wir die Welt auf den Weg bringen, die Emissionen zu senken, bis sie bis zur Mitte dieses Jahrhunderts netto Null erreichen. Dies ist unabdingbar, um das 1,5-Grad-Ziel am Leben zu halten. Deshalb müssen die Länder klare Ziele für die Emissionssenkung vorlegen.
Das bedeutet kurzfristige Ziele für die Emissionsreduktion bis 2030, die mit einer Netto-Null-Emission bis zur Mitte des Jahrhunderts im Einklang sind. Und diese Ziele müssen wissenschaftlich fundiert sein, damit Netto-Null nicht nur ein vages Ziel ist, sondern ein konkreter Plan.
Auch in den Sektoren mit der grössten Umweltverschmutzung müssen wir Massnahmen ergreifen. Wenn wir es mit dem 1,5-Grad-Ziel ernst meinen, muss Glasgow jener Klimagipfel werden, an dem die Stromgewinnung aus Kohle zur Vergangenheit wurde, die Abholzung der Wälder gestoppt und das Ende der umweltschädlichen Fahrzeuge eingeläutet wird.
Deshalb arbeiten wir mit Regierungen und internationalen Organisationen zusammen, um die internationale Finanzierung der Stromproduktion aus Kohle zu beenden. Dies ist eine meiner persönlichen Prioritäten. Wir fordern die Länder auf, aus der Kohlekraft auszusteigen, und arbeiten mit den Entwicklungsländern zusammen, um ihren Übergang zu sauberer Energie zu unterstützen.
Wir sehen echte Fortschritte. Ich habe mich sehr gefreut, dass wir beim Treffen der G7-Klima- und Umweltministerinnen und -minister im Juli die historische Vereinbarung erzielt haben, dass kein G7-Land mehr internationale Kohleprojekte finanzieren wird. Das freut mich besonders, da ich beim Treffen den Ko-Vorsitz innehatte.
An der UNO-Generalversammlung vom September folgte China diesem Beispiel und verpflichtete sich, keine neuen Kohlewerke mehr zu bauen. Und ich gehe davon aus, dass wir auf der COP26 weitere Verpflichtungen in Bezug auf Kohle, Autos, Methan und Abholzung der Wälder erzielen werden.
Um dieses Ziel bis 2030 weiter voranzutreiben, müssen wir auch das Pariser Regelwerk fertigstellen. Diese Frage muss geklärt werden, wenn wir die volle Kraft des Pariser Abkommens entfalten wollen. Die noch offenen Fragen werden seit Jahren diskutiert, ohne dass eine Lösung gefunden wurde.
Ich bin dankbar für die von den Ministerinnen Jeanne d’Arc Mujawamariya (Ruanda) und Simonetta Sommaruga (Schweiz) geführten Konsultationen über gemeinsame Zeitrahmen. Wir haben in diesen und anderen Bereichen Fortschritte erzielt, aber es bleibt noch einiges zu tun, um einen vollständigen Konsens zu erreichen.
2. Schutz für die Verletzlichsten
Unser zweites Ziel ist der Schutz von Menschen und Natur vor den schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels. Die Klimakrise ist bereits da, und wir müssen handeln, um den sehr realen Bedarf an Hochwasserschutz, Warnsystemen und anderen lebenswichtigen Massnahmen zu decken. Nur so können wir die durch den Klimawandel verursachten Verluste und Schäden minimieren, bewältigen oder abwenden.
3. Finanzierung der Klimaschutz-Massnahmen
Unser drittes Ziel ist die Finanzierung. Ohne sie ist die vor uns liegende Aufgabe nahezu unmöglich. In dieser Woche hat der britische COP-Vorsitz einen Klimafinanzierungs-Plan veröffentlicht, um Klarheit darüber zu schaffen, wann und wie die Industrieländer das Ziel von 100 Milliarden Dollar für die Klimafinanzierung erreichen werden. Damit sollen sie die Entwicklungsländer bei der Bekämpfung des Klimawandels und der Anpassung an seine Auswirkungen unterstützen.
Das Vereinigte Königreich geht mit gutem Beispiel voran und hat zwischen 2021 und 2025 knapp 14 Milliarden Franken zugesagt. Und unter der britischen Präsidentschaft haben sich alle G7-Staaten verpflichtet, mehr für die 100 Milliarden Dollar zu tun. Aber wir brauchen alle Industrieländer, die sich engagieren. Das ist eine Frage des Vertrauens.
Das Pariser Abkommen hat uns auf den Weg gebracht, alle globalen Finanzströme zu verändern, um eine grüne und nachhaltige Wirtschaft zu schaffen. Wir müssen also nicht nur öffentliche Finanzmittel bereitstellen, sondern auch private Finanzmittel in Höhe von Billionen Dollar für den Übergang zu einer grüneren Welt freisetzen.
Im Anschluss an die Empfehlungen der von der G20 mandatierten Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) hat die Schweiz wertvolle Gesetze zur Umsetzung bis 2024 verabschiedet. Diese neuen Regeln wird grosse Schweizer Unternehmen dazu verpflichten, über klimabezogene Risiken ihrer Geschäftstätigkeit zu berichten. Auch hat die Schweiz Richtlinien aufgestellt, welche Unternehmen und welche Risiken in diesen Geltungsbereich fallen werden.
4. Es geht nur mit inklusiver Zusammenarbeit
Wir müssen zusammenarbeiten, um diese Ziele zu erreichen. Dazu gehört auch, einen Konsens zwischen den Regierungen herzustellen, damit die Verhandlungen in Glasgow ein Erfolg werden. Ausserdem müssen wir Unternehmen und die Zivilgesellschaft für unsere COP26-Ziele gewinnen und die internationale Zusammenarbeit in wichtigen Sektoren ausbauen.
Wir werden einen inklusiven Ansatz verfolgen, um dieses Ziel zu erreichen, und zählen auf Länder wie die Schweiz, die als Vorsitzende einer Verhandlungsgruppe sehr aktiv an diesen Verhandlungen teilnimmt, um mit starker Unterstützung Lösungen zu finden.
Ich rufe alle Länder dazu auf, ihre Anstrengungen zur Erreichung dieser Ziele zu verstärken. Denn COP26 ist unsere letzte Hoffnung, das 1,5-Grad-Ziel zu halten, unsere beste Chance, eine bessere Zukunft aufzubauen, eine Zukunft mit grünen Arbeitsplätzen und sauberer Luft. Denn wie der Held meiner Kindheit und Fürsprecher unseres COP26-Präsidenten, Sir David Attenborough, gesagt hat: «Der Moment der Krise ist gekommen… Die Zukunft der Menschheit, ja von allem Leben auf der Erde, hängt von uns ab.»
Dies ist unser Moment. Es gibt keine zweiten Chancen. Ergreifen wir sie gemeinsam.
Die Zwischentitel wurden von swissinfo.ch gesetzt.
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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