Corona verschärft Frust: Tausende Schweizer im Ausland können nicht abstimmen
Bis zu 30'000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer haben ihre Abstimmungsunterlagen für den 27. September nicht oder zu spät erhalten.
Covid-19 befällt auch die Demokratie. Die Abstimmung vom 17. Mai wurde auf September verschoben. Am Sonntag kommen darum gleich fünf nationale Vorlagen vors Stimmvolk.
Aber auch dieser Urnengang bringt seine Probleme. Tausende Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer haben ihre Abstimmungsunterlagen nicht oder zu spät erhalten. Und dies, obwohl der Bundesrat in einem Kreisschreiben an die Kantonsregierungen diese am 1. Juli darauf aufmerksam machte, dass ein früher Versand der Unterlagen «gegenwärtig besonders wichtig» sei.
Zahlreiche Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer beschweren sich auf sozialen Medien über fehlende Unterlagen. Katja Wallimann Gates ist Delegierte des Auslandschweizerrats, der die Interessen der knapp 800’000 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland gegenüber der offiziellen Schweiz vertritt. Sie hat Schätzungen zur Zahl der Betroffenen gemacht.
Die in Australien wohnhafte Zürcherin sagt: «Ich gehe davon aus, dass rund 30’000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer ihre Abstimmungsunterlagen nicht oder zu spät erhalten haben.» Sie selber ist auch betroffen: «Das ist in meinen 25 Jahren in Australien bisher nur zweimal passiert.»
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Kritik an Behörden
190’000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer sind im Stimmregister eingetragen. Treffen die Schätzungen zu, kann also knapp jede sechste Person darunter am Sonntag ihr Recht zum Abstimmen nicht ausüben. «Und das ist noch konservativ geschätzt», ergänzt Wallimann Gates. Gemäss Rückmeldungen seien einzig die Unterlagen der Kantone Waadt und Wallis zuverlässig angekommen.
Betroffen seien die weiter von der Schweiz entfernten Regionen: «Auslandschweizer in Europa und Nordamerika scheinen die Unterlagen weitestgehend rechtzeitig erhalten zu haben», sagt Wallimann Gates. Doch in Australien beispielsweise, ihrem Zuhause, hätten wohl gerade einmal neun Prozent der stimmberechtigten Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer das Abstimmungscouvert mit genügend Vorlauf im Briefkasten gehabt.
Sie kritisiert die Behörden. Da die Abstimmung vom Mai mit derjenigen vom kommenden Sonntag zusammengelegt wurde, würden die Betroffenen nun de facto gleich zwei wichtige Abstimmungen verpassen. «Es ist so, als ob die Einwohner einer Stadt in der Grösse von Zug oder eines kleinen Halbkantons nicht abstimmen könnten», sagt Wallimann Gates. «Das ist eine Verfälschung des Wählerwillens.»
Gestörter Postverkehr
Grund für die Verzögerung ist offenbar das Chaos im internationalen Postverkehr, das durch Covid-19 verursacht wurde. In abgelegene Gebiete wie Australien oder Neuseeland konnten während Wochen keine Briefe oder Pakete mehr zugestellt werden.
«Warum die Kantone die Unterlagen nicht früher abschickten, da sie ja wussten, dass der Postverkehr weltweit behindert ist, verstehe ich nicht», sagt Wallimann Gates.
Die Bundeskanzlei, die für die Durchführung der eidgenössischen Abstimmungen zuständig ist, weiss nicht, wie viele Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer vom Problem betroffen sind. Sie teilt in einer Stellungnahme mit, dass es «bisweilen Probleme bei der Zustellung von Stimm- und Wahlunterlagen geben kann».
Sie verweist auf das eingangs erwähnte Kreisschreiben. «Die Kantone wurden aufgefordert, der erschwerten Zustellung im Ausland durch einen vorgezogenen Versand an Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer zu begegnen.» Weiter schreibt Sprecherin Ursula Eggenberger, dass die «rechtzeitige Zustellung massgeblich von der Qualität der ausländischen Postdienste abhängt».
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Kantone weisen Schuld von sich
Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer nehmen an Wahlen und Abstimmungen mittels normalem Stimmcouvert teil. Die Stimme zählt in jenem Kanton, in dem die Stimmberechtigten zum letzten Mal Wohnsitz hatten. Entsprechend sind die Kantone für den Versand der Unterlagen zuständig.
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Verspätete Auslandstimmen: Bundesgericht weist Beschwerde ab
Der Kanton Zürich als bevölkerungsreichster Kanton hat diese Aufgabe der Stadt Zürich übergeben. Sprecherin Christina Stücheli schreibt, dass die «entscheidenden Faktoren für den Versand ausserhalb unseres Einflussbereichs liegen».
Die zeitlichen Vorläufe seien durch zahlreiche Vorgaben bestimmt. Der letztmögliche Zeitpunkt für die parlamentarische Verabschiedung einer Vorlage sei «ziemlich eng besetzt». Der Zeitraum für die Erstellung und den Druck der Unterlagen und die Logistik sei deswegen sehr eng bemessen und damit auch der frühestmögliche Zeitpunkt für den Versand. Auf Deutsch: Wegen behördlicher und parlamentarischer Abläufe sind den Kantonen die Hände gebunden.
Warten auf E-Voting
Das tröstet die betroffenen Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer kaum. Viele von ihnen sind frustriert, gerade weil am 27. September mit der Begrenzungs-Initiative und der Beschaffung neuer Kampfflugzeuge über gewichtige Anliegen abgestimmt wird.
Bis Anfang 2019 hatten zehn Kantone und auch die Post E-Voting Systeme, mit denen man per Internet abstimmen kann. Diese sind wegen Sicherheitsbedenken nun aber auf Eis gelegt. «Wir Auslandschweizer sind darauf angewiesen, denn auch vor Covid-19 trafen Wahl- und Abstimmungsunterlagen bei vielen immer wieder zu spät ein», sagt Wallimann Gates.
Eine Taskforce arbeitet für den Bund momentan an einem neuen System. Wann und ob dieses je bereit sein wird, bleibt offen.
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Covid-19-Pandemie prägt auch Abstimmungen in der Schweiz
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