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«Das wäre eine Diskriminierung von Schweizerinnen und Schweizern»

Swissinfo Redaktion

Auslandschweizer Franz Muheim antwortet auf unseren gestrigen Meinungsbeitrag von Paul Widmer. Dieser forderte, dass Ausländer in der Schweiz mehr Rechte haben sollten. Und Auslandschweizer im Gegenzug weniger.  

Paul Widmer, ehemaliger Diplomat und Lehrbeauftragter für internationale Beziehungen an der Universität St. Gallen, schreibt “Ausländer in der Schweiz haben Pflichten, aber kein Stimmrecht. Für Auslandschweizer ist es genau umgekehrt. Das ist unfair.” 

Widmers Hauptthese ist falsch.

Ein Herr blickt in die Kamera
Franz Muheim ist Professor für Teilchenphysik, lebt in Edinburgh, UK und forscht am CERN. Er ist Delegierter im Auslandschweizerrat und Vorstandsmitglied der Auslandschweizer Organisation. swissinfo.ch

Ausländer in der Schweiz haben kein Stimmrecht, obwohl sie von Entscheidungen direkt betroffen sind. Das ist ein Problem, welches man zu Recht anprangern kann. Aber man löst es nicht, indem man eine andere Gruppe diskriminiert – und den Auslandschweizern das Stimmrecht entzieht. 

Als Auslandschweizer verstehe ich diese Problematik sehr gut. Wie Paul Widmer unterstütze ich das kommunale Stimm- und Wahlrecht auf lokaler Ebene für Ausländer, welche seit mehreren Jahren in der Schweiz leben.

Widmer schreibt aber auch, dass Auslandschweizer in der Schweiz abstimmen und wählen dürfen, die Folgen davon aber nicht tragen müssten. Dieses Argument wird von allen Gegnern des Auslandschweizerstimmrechtes oft wiederholt. Es bleibt aber falsch.

Erstens: Das Verhältnis der Schweiz zu Europa und die Sozialversicherungen sind bei etwa jeder dritten Abstimmung ein Thema. Über 60% der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer leben in Europa und viele von uns haben über Jahrzehnte oder während des ganzen Erwerbslebens in die AHV/IV und zweite Säule in der Schweiz einbezahlt. Da sollte es selbstverständlich sein, dass sie über die Zukunft der Sozialwerke mitbestimmen können.

Schweizerinnen und Schweizer, die in der EU leben, sollten doch nächstes Jahr an der Abstimmung über die Begrenzungsinitiative teilnehmen dürfen. Es betrifft sie ganz direkt, auch wenn sie schon seit über 20 Jahren in der EU wohnhaft sind.

Zweitens: Viele Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer bezahlen Steuern in der Schweiz. Dazu gehören alle, die Eigentum geerbt haben oder an Schweizer Firmen direkt beteiligt sind.

Und drittens: Viele von uns, die einen engen Kontakt zur Schweiz pflegen und sich oft in der Schweiz aufhalten, tragen zur Wirtschaft und zum Tourismus bei. Das bedeutet: Einnahmen für Bund und Kantone.

Ausserdem: Es ist auch nicht automatisch so, dass man als Auslandschweizer abstimmen und wählen kann. Man muss sich im Stimmregister einer Schweizer Gemeinde eintragen lassen.

Ich kann durch viele direkte Gespräche bestätigen, dass wer keine enge Bindung mehr zur Schweiz hat und von den Entscheiden der Schweiz nicht betroffen ist, nicht an Abstimmungen und Wahlen teilnimmt. Insgesamt haben sich über 180’000 oder knapp ein Drittel der über 18-jährigen Swiss Abroad in einem Stimmregister eingetragen. 

Wenn diese Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer abstimmen und wählen, dann liegt ihnen als allererstes das Wohl der Schweiz am Herzen. Sie sind gut informiert, heute meistens online, durch die Swiss Revue und swissinfo.ch. Wenn wir unsere Bürgerrechte wahrnehmen, fühlen wir uns für die Folgen unserer Entscheidungen genauso verantwortlich wie unsere Mitbürgerinnen in der Schweiz. Wir haben dazu einen Vorteil: Wir sehen die Schweiz von aussen und können unsere Erfahrungen im Ausland in den politischen Prozess einbringen.

Diskriminierungen gibt es bereits

Zudem gibt es technische Schwierigkeiten, welche die Auslandschweizer daran hindern ihre Bürgerrechte auszuüben. Ein grosser Teil von uns erhalten die Stimm- und Wahlunterlagen nicht rechtzeitig, da der Postversand in vielen Ländern nicht funktioniert. Dies wurde durch die Sistierung von E-Voting verschlimmert. Diese Probleme müssen gelöst werden.

Die Einwände bezüglich der Doppelbürgerschaft von Paul Widmer sind ebenfalls sehr oberflächlich. Ich finde es heuchlerisch, dass die meisten Gegner der Doppelbürgerschaft gleichzeitig auch am liebsten Einbürgerungen verhindern wollen. Tatsache ist, dass die grosse Mehrheit der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer in dieser Frage gar keine Wahl hat. Viele müssen die Staatsbürgerschaft ihres Wohnlandes annehmen um dort leben und arbeiten zu können.

Es braucht die Doppelbürgerschaft

In der EU ist eine Doppelbürgerschaft nicht notwendig. Dies hat jedoch mit die Brexit für die 3.5 Millionen EU- und Schweizer Bürgerinnen und Bürger, welche in Grossbritannien leben und keinen britischen Pass haben zu grossen Problemen geführt. Auch ich gehöre zu ihnen. Wir werden jetzt anders als die Doppelbürger behandelt.

Vor allem aber ist die Schweiz ein Exportland und viele Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer tragen durch ihre Arbeit – ob als Arbeitgeber oder Kontaktperson für Schweizer Firmen –  direkt zum Wohl der Schweiz bei. Um aber lokal geschäftlich tätig zu sein, ist eine Doppelstaatsbürgerschaft oft Voraussetzung.

Paul Widmer hat als Diplomat selber im Ausland gelebt und müsste dies eigentlich wissen. Nur weil man Doppelbürger ist, fühlt man sich doch nicht weniger als Schweizerin oder Schweizer.

Paul Widmer schreibt, dass die doppelte Staatsbürgerschaft gegen elementares Recht verstösst, weil Doppelbürger in zwei Staaten wählen können. Damit widerspricht er sich selbst, da er genau dasselbe, das Stimmrecht für Ausländer in der Schweiz gefordert hat.

Altes Unrecht, neues Unrecht

Wer  «One man, one vote» sagt, meint oft genau das: das Stimmrecht nur für Männer. Genau so war es jedenfalls noch bis 1952.  Bis dahin hatte die Schweiz Frauen das Schweizer Bürgerrecht weggenommen, wenn sie einen Ausländer heiratetenExterner Link. Das war Diskriminierung pur. Ein Unrecht, das dazu führte, dass Schweizerinnen, auch wenn sie in der Schweiz wohnten, sich später wieder einbürgern lassen mussten.

Wer jetzt den Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, welche Doppelbürger sind, den Schweizer Pass wegnehmen will, macht genau dasselbe. Er verlangt die Diskriminierung von Schweizerinnen und Schweizern.

Nicht nur das: Paul Widmer verlangt auch, dass bestehendes Unrecht durch neues Unrecht ersetzt wird.

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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