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«Das Ziel der Schweiz ist es, international ein positives Demokratie-Narrativ vorwärtszubringen»

Eine zerschossene Wand mit einem gemalten Vogel in den ukrainischen Nationalfarben
Die Ukraine ist ein Land im Krieg, das gleichzeitig versucht demokratischen Fortschritt zu erhalten. Copyright 2023 The Associated Press. All Rights Reserved

Die Schweiz hat den Verfassungsauftrag, rund um die Welt für Demokratie einzutreten. Simon Geissbühler vom Aussenministerium spricht über die Herausforderungen in dieser Zeit, in der die Demokratie global auf dem Rückzug ist.

Vor kurzem veröffentlichte das internationale Demokratie-Institut IDEA seinen jährlichen ReportExterner Link. Eine düstere Lektüre für Demokratie-Fans rund um die Welt. Denn darin beschreibt es einen autokratischen Vormarsch. In der Schweiz wurde, zufälligerweise, in der Woche danach die Veröffentlichung eines neuen Buchs gefeiert: Democracy and Democracy Promotion in a Fractured World.

An der Vernissage in Bern hat SWI swissinfo.ch Simon Geissbühler interviewt. Geissbühler ist Herausgeber des Buches und Chef der Abteilung Frieden und Menschenrechte des Schweizer Aussenministeriums.

SWI swissinfo.ch: Die Demokratie hatte es weltweit seit Jahren schwer. Kann man dasselbe für Demokratieförderung sagen?

Simon Geissbühler: Nun, die Tatsache, dass jetzt viele Demokratien im Rückgang sind, ist auch eine Chance für das Engagement zur Unterstützung der Demokratie. Aber der Ansatz muss angepasst werden; es geht nicht darum, nicht-demokratischen Ländern die Demokratie zu bringen. Während die Unterstützung durch Entwicklungszusammenarbeit oder Wahlmissionen fortgesetzt wird, ist ein neuer Ansatz die Förderung der «demokratischen Resilienz», das heisst, der Unterstützung bestehender Demokratien, die unter Druck von aussen oder innen geraten.

Ein Mann im Anzug
Botschafter Simon Geissbühler, Chef der EDA-Abteilung Frieden und Menschenrechte. EDA

Nehmen wir zum Beispiel die Ukraine: Wie kann man ihr gerade jetzt – in einer Zeit von akutem Stress – helfen, demokratische Elemente wie Meinungsfreiheit, Partizipation und eine lebendige Zivilgesellschaft am Leben zu erhalten?

Während eines Krieges neigt man dazu, sich einzubunkern und zu zentralisieren, aber es bleibt wichtig, dafür zu sorgen, dass demokratische und zivilgesellschaftliche Fortschritte nicht zunichte gemacht werden. Für die Schweiz ist das Engagement in Ländern wie Botswana oder Ghana – ebenfalls Demokratien, die unter einem gewissen Druck stehen – auch ein neuer Ansatzpunkt.

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SWI: Wie kann die Politik der Demokratieförderung mit den gross angelegten antidemokratischen Desinformationskampagnen konkurrieren, die von Staaten wie Russland ausgehen?

S.G.: Innerhalb von Russland können wir sehr wenig tun, weil der Raum so geschlossen ist. Was die Untergrabung der Demokratie im Ausland betrifft, so ist dies ebenfalls schwierig, weil wir es nicht gewohnt sind, zum Gegenangriff überzugehen. Wie ich schon sagte, geht es eher darum, Demokratien zu unterstützen, die Druck erleben. Wirtschaftliche Unterstützung und Entwicklungshilfe sind hier wichtig. Denn um glaubwürdig zu sein, müssen diese Länder für ihre Bevölkerung etwas leisten.

Für die Schweiz wird es in den kommenden Jahren neben der Förderung der Idee der demokratischen Resilienz auch darum gehen, ein positives Narrativ zu forcieren und stärker über die positiven Seiten der Demokratie zu sprechen. In einer Zeit, in der es selbst innerhalb von Demokratien Mode ist, diese schlecht zu reden. Wir wollen auch einen partnerschaftlichen Ansatz verfolgen, anstatt von der Kanzel zu predigen – und von anderen Ländern lernen, anstatt ihnen nur unser Wissen beizubringen.

SWI: Sind die Aussichten für Demokratieförderung nur düster?

S.G.: Der Hauptschwerpunkt der Demokratieförderung in den frühen 1990er- und 2000er-Jahren – Mittel- und Osteuropa – ist auf eine Art eine Erfolgsgeschichte. In einigen Staaten gibt es Probleme. Doch selbst in einem Land wie der Ukraine, das nicht perfekt ist, gab es Machtwechsel, eine lebendige Zivilgesellschaft und eine freie Presse. Vielleicht hätte sich die Demokratie in dieser Region ohnehin durchgesetzt, weil diese Länder in einer guten Ausgangsposition für den Übergang zur Demokratie waren. So oder so war es ein Erfolg.

SWI: Es ist über zehn Jahre her, seit der Arabische Frühling die Hoffnung auf eine Demokratisierungswelle im Nahen Osten und Nordafrika geweckt hat. Was ist geschehen?

S.G.: Zu Beginn wurden die Bewegungen des Arabischen Frühlings nicht von aussen, sondern von innen ausgelöst, was ein Schlüsselelement für die Entwicklung der Demokratie ist – sie muss von innen kommen und darf nicht aufgezwungen werden. Der innere Auslöser des Arabischen Frühlings unterstrich auch den tiefen Wunsch nach Demokratie auf der ganzen Welt – auch wenn er nicht als solcher zum Ausdruck kommt, sondern als Sehnsucht nach Partizipation, Rechenschaftspflicht und grundlegenden Freiheiten.

Zu den Gründen für das Scheitern kann ich als Schweizer Diplomat nicht sonderlich viel sagen! Manche sagen, dass wir [die westlichen Demokratien] nicht kohärent reagiert haben; wir haben die Veränderungen unterstützt, aber vielleicht nicht mit dem ganzen Herzen oder so bedingungslos, wie wir es hätten tun können. Aber so wie der Arabische Frühling von innen heraus entstand, haben sich letztlich auch die internen Kräfte auf der anderen Seite als stärker erwiesen. Es ist sehr schwierig, direkte Lehren daraus zu ziehen. Ich glaube, wir verstehen die Dynamiken in Tunesien oder Ägypten immer noch nicht ganz.

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SWI: Inwieweit ist die Förderung von Elementen direkter Demokratie – Volksabstimmungen und Referenden – Teil der Schweizer Bemühungen im Ausland?

S.G.: Die direkte Demokratie in der Schweiz ist ziemlich einzigartig, in gewisser Weise ist sie der Kern dessen, was wir als demokratischen Sonderfall der Schweiz bezeichnen könnten. Das ist etwas, das wir nicht versuchen als Modell zu exportieren, um es anderswo zu kopieren.

Junge Menschen im Ausland interessieren sich jedoch besonders für den partizipatorischen Charakter der Schweizer Demokratie: Während in anderen Ländern nur alle vier Jahre Wahlen stattfinden, bei denen die Auswahl oft begrenzt ist, können die Schweizer viermal im Jahr über konkrete Themen abstimmen. Und auf lokaler Ebene, in anderen Zusammenhängen, gibt es meines Erachtens Fälle, in denen die direkte Demokratie die Legitimität und die Chance, gute Lösungen zu finden, erhöhen kann.

SWI: Hilft es, wenn Länder Demokratie-Gipfel organisieren, wie etwa der von den USA durchgeführte Summit for Democracy – oder vertieft dies nur Gräben zwischen Demokratien und Nicht-Demokratien?

S.G.: Ich bin skeptisch, wenn es darum geht, die Welt allzu klar in demokratische und autokratische Lager einzuteilen. Die Demokratie existiert in einem Spektrum, und die Mitte dieses Spektrums ist interessant und vielversprechend, was die Demokratieförderung betrifft.

Natürlich sollten wir nicht naiv sein: Autokratien wollen Demokratien aktiv untergraben, und es findet ein Wettbewerb zwischen den Systemen statt. Aber eine autokratische Gruppe von «Ländern, die wir nicht mögen» abzusondern, widerspricht auch dem Schweizer Ansatz von Dialog und Engagement.

Was den Summit for Democracy anbelangt, so hat er vielleicht nicht so viel erreicht wie erhofft, auch aus Gründen der Legitimität, weil die USA in den letzten Jahren ihre eigenen innenpolitischen Probleme hatten. Zumindest für die Schweiz war er insofern nützlich, als er uns zum Nachdenken darüber anregte, wie wir uns international positionieren und einen Beitrag leisten wollen. Letztendlich lieferten zwei hochrangige Klausurtagungen, die wir 2022 und 2023 organisierten, um demokratische Herausforderungen im Kontext des Gipfels zu diskutieren, den Inhalt für dieses Buch.

Übertragung aus dem Englischen: Benjamin von Wyl

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