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Der Aussenblick: Wie die Sorgen der Wählerschaft die Wahlen entscheiden

Sarah Bütikofer blickt in die Kamera, daneben das Bundeshaus
Illustration: Helen James / swissinfo.ch

Die Krankenkassenprämien steigen stark – und die hohen Gesundheitskosten werden zur grössten Sorge der Schweizer:innen. Trotzdem wird davon wohl keine Partei allein profitieren. Anders als von der Zuwanderung, die auch die Schweizer:innen im Ausland stark beschäftigt.

Kurz vor den Wahlen sorgen sich die Wähler:innen in der Schweiz am meisten um die hohen Gesundheitskosten. Das Thema Krankenkassenprämien liegt wieder auf dem ersten Platz bei den politischen Herausforderungen.

Das zeigte die September-Ausgabe des Wahlbarometers von SRF. Für vier von zehn Personen sind die hohen Krankenkassenprämien das wichtigste Problem der Schweiz, welches die Politik zu lösen hat. Seit dem Ende der Pandemie hat diese Thematik wieder deutlich an Bedeutung gewonnen.

In Abbildung 1 finden Sie die drei für die Bevölkerung wichtigsten politischen Problembereiche dargestellt:

Die wichtigsten Sorgen der Bevölkerung über die Zeit
SRF-SWI

Obwohl die Auswirkungen des Klimawandels die Bevölkerung nach wie vor stark beschäftigen – gerade in den vergangenen für die Schweiz ausserordentlich warmen Herbsttagen – zeigt sich aber seit den letzten Wahlen doch ein langsamer Rückgang der Wichtigkeit dieses Themas.

Nach 2019 sank der Anteil der Bevölkerung, der den Umgang mit dem Klimawandel zu den drei grössten Herausforderungen zählt. Im Herbst 2021 betrachtete mit 44% fast die Hälfte der Bevölkerung den Klimawandel als das klar wichtigste politische Problem der Schweiz.

Mittlerweile sind es noch 37%. Eine gegenläufige Entwicklung ist auf der anderen Seite beim Thema der Zuwanderung in die Schweiz feststellbar. Diese Thematik hat in den letzten Jahren stetig an Bedeutung gewonnen und ist nun wieder – wie in länger zurückliegenden Jahren – ganz oben angelangt.

Unterschiedliche Problembetrachtung im Inland und der Fünften Schweiz

Im grossen Ganzen sehen die Auslandschweizer:innen die Situation ziemlich ähnlich wie die Schweizer:innen im Inland, doch einige Unterschiede gibt es. Zum Beispiel bei den Spitzenplätzen:

Die im Ausland lebenden Schweizer:innen betrachten die Sorgen um die Krankenkassenprämien als eine etwas weniger wichtige Herausforderung als die Schweizer Bevölkerung.

Der Umgang mit dem Klimawandel wird gleich gewichtet, die Zuwanderung hingegen ist für die Auslandschweizer:innen eine noch wichtigere Herausforderung als für die Schweizer:innen, die in ihrem Heimatland leben.

In Abbildung 2 ist dargestellt, in welcher Reihenfolge die Auslandschweizer:innen die politischen Herausforderungen betrachten:

Die wichtigsten Sorgen unterschieden für Auslandschweizer:innen und Schweizer:innen im Inland.
SRF-SWI

Bei den weniger wichtigen Herausforderungen zeigen sich ebenfalls einige Unterschiede. Die Reform der Altersvorsorge beschäftigt die Fünfte Schweiz weniger.

Wer gar nicht in der Schweiz im Sozialversicherungssystem integriert oder bereits dann bereits in Rente ist, ist von künftigen Reformen auch weniger betroffen als in der Schweiz lebende Schweizer:innen, die planen, nach der Pensionierung weiterhin in der Schweiz zu leben.

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Den Auslandschweizer:innen sind dafür gute Beziehungen zur EU und der Umgang mit der Unabhängigkeit und Souveränität der Schweiz etwas wichtiger als den Schweizer:innen im Inland.

Mobilisierung dank Kompetenzzuschreibung

Der Klimawandel und die Zuwanderung sind politisch besonders kontroverse Themen. Vor vier Jahren, im Vorfeld der nationalen Wahlen 2019, war die Debatte um den Klimawandel in der öffentlichen Diskussion sehr dominant und entwickelte eine sehr grosse Mobilisierungskraft.

Dagegen war die Thematik der Zuwanderung, die mehrere Parlamentswahlen in der Schweiz stark geprägt hatte, im Wahljahr 2019 von viel tieferer Relevanz für das Wahlvolk. Entsprechend fiel denn auch das Ergebnis an der Urne aus.

Diese Top-Themen sind von besonderer Brisanz und entsprechend wichtig für den Wahlentscheid. Die Parteien, die von den Wähler:innen als kompetente Lösungsbringerinnen im jeweiligen Sachbereich betrachtet werden, können diese Kompetenzzuschreibung in der Regel in Stimmengewinne ummünzen.

Die gebündelte Mobilisierung von Klimathematik und der 2019 ebenfalls breit debattierten Untervertretung der Frauen in der Politik führte zu einem Wahlsieg der Parteien mit grün im Namen.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hingegen, die viele Jahr lang mit einer starken Mobilisierung über das Zuwanderungsthema Wahlen gewinnen konnte, verlor zum ersten Mal deutlich.

Im aktuellen Wahljahr ist die Situation eine andere. Der Umgang mit dem Klimawandel steht zwar noch immer oben auf der Prioritätenliste, aber die anderen Themen beschäftigen viele Wähler:innen genauso stark, wenn nicht sogar stärker.

Einfluss der Problemwahrnehmung auf den Wahlentscheid

Welchen Einfluss hat nun die individuelle Priorisierung einzelner politischer Problembereiche auf den Wahlentscheid? Oder ganz konkret gefragt, welches Thema wird die Wahl entscheiden können?

Wie die Forschung, die im Nachgang der Wahlen 2019Externer Link durchgeführt wurde, zeigt, gaben die Wähler:innen ihre Stimme einer ökologischen Partei, wenn dieses Thema für sie absolute Priorität hatte.

Analog galt das auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums für die SVP: Da die Thematik der Zuwanderung im Wahlkampf von 2019 nicht die erste Geige spielte, blieb die Wählerschaft der Urne öfter fern, was in Verlusten resultierte.

Die Konkurrenz um die Wichtigkeit der Themen hat im aktuellen Wahljahr gegenläufige Trends zur Folge:

Viele Wähler:innen betrachten den Klimawandel nach wie vor als grosse politische Herausforderung. Doch etliche andere Wählende sehen keine besondere politische Herausforderung im Umgang mit dem Klimawandel.

Das gleiche gilt für die Zuwanderung. Diese wird vorwiegend von der Wählerschaft der SVP als sehr grosses Problem betrachtet. Für viele andere Wähler:innen ist dies kein vordringliches Problem.

Allerdings ist die SVP die grösste Partei. Wenn sie mit dieser Thematik ihre ohnehin grosse Anhängerschaft mobilisieren kann, profitiert sie deutlich.

Für jene Stimmberechtigten, die den Umgang mit dem Klimawandel nur noch als eine von mehreren wichtigen Herausforderungen betrachten, gibt es Parteien, die ein besseres Gesamtangebot zu bieten haben als die ökologischen.

Denn die beiden Parteien mit Grün im Namen werden primär mit der Klimathematik in Verbindung gebracht. Dies gilt für die Wähler:innen in der Schweiz genauso wie ausserhalb.

Selbst, wenn die Auslandschweizer:innen ihre Stimme vor vier Jahren noch am häufigsten der grünen Partei gegeben haben.

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Nun stehen die Krankenkassenprämien als Herausforderungen neu ebenfalls ganz oben auf der Sorgenliste. Anders als bei den Themen Klima und Zuwanderung gilt aber weder eine Partei noch ein politisches Lager per se als die kompetenteste Kraft in dem Feld.

Folglich dürfte keine einzelne Partei überproportional davon profitieren, dass dieses Problem die Stimmberechtigten so stark beschäftigt.

Möglicherweise entscheiden sich Wählerinnen und Wähler aber aus diesem Grund einfach auch wieder vermehrt für die ihnen vertrauten, altbekannten Parteien. Genau wissen werden wir es erst am 22. Oktober.

Editiert von David Eugster

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