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Der militärische Alleingang – eine Illusion

"Wir haben keine Bedrohung mehr aus dem direkten Umfeld": Kurt R. Spillmann Keystone

Die Schweiz sei unfähig, die Armee auf die veränderten Bedrohungen auszurichten. Das Land stecke in einer Selbstblockade und sei blockiert zwischen den Vorstellungen der Nationalisten und der Internationalisten, sagt der Sicherheitsexperte Kurt R. Spillmann im swissinfo-Gespräch.

swissinfo.ch: Der am Freitag vom Bundesrat vorgestellte Bericht zur künftigen schweizerischen Sicherheitspolitik ist ein Kompromiss. Kann es eine Armee überhaupt allen Recht machen?

Kurt R. Spillmann: Aus einer politischen Perspektive heraus natürlich nicht. Die Schweiz steckt in einer Selbstblockade, die daher kommt, dass politisch völlig unterschiedliche Lager bestehen.

Eine sicherheitspolitische Auffassung auf der rechten Seite will die Schweiz abgeschottet behalten und behauptet, nur im Alleingang, nur in der traditionellen Landesverteidigung, liege das Heil. Das ist eine Illusion. Auf der linken Seite gibt es eine Gruppierung, die internationale Kooperation als entscheidendes Element der Sicherheitspolitik sieht. Dazwischen gibt es unklare Positionen in der Mitte.

Ich glaube jedoch, dass eine Armee vom Zweck her definiert werden muss, also von der Aufrechterhaltung der Sicherheit des Landes und vom Schutz gegen Bedrohungen. Aber eine militärische Bedrohung ist nun einfach in vernünftiger Perspektive nicht absehbar. Konsequenzen daraus zu ziehen, das ist politisch unheimlich schwierig.

swissinfo.ch: Bundesrat Maurer sagt, er könne die wahrscheinlichste Bedrohung nicht benennen, denn es komme sowieso anders als man denkt. – Können Sie diese Aussage des Verteidigungsministers nachvollziehen?

K.R.S.: Es fällt mir etwas schwer, diesen sehr allgemeinen Hinweis auf das nicht Vorhersehbare als entscheidende Basis zu erkennen. Jeder Verteidigungsminister muss Prioritäten setzen oder mindestens eine vernünftige Reihenfolge der Prioritäten nennen können. Der Hinderungsgrund ist möglicherweise der, dass eine militärische Bedrohung, die eine konventionelle Massenarmee fordern würde, nicht einsehbar ist.

Ich denke, man müsste die Bedrohung durch Terrorismus weit oben ansetzen. Aber gegen Terrorismus ist die Armee nicht das geeignete Instrument.

swissinfo.ch: Terrorismus, Cyber-Kriminalität oder organisiertes Verbrechen. Wie muss die Schweiz aus Ihrer Sicht auf diese Art von Bedrohung reagieren?

K.R.S.: Im Kampf gegen den Terrorismus müssten wir einen verstärkten Nachrichtendienst haben. Wir müssten mehr Leute haben, die verschiedene Sprachen beherrschen, um auch in jenen Kreisen Nachrichten einzuholen, die allenfalls aus andern Hintergründen unser Land oder mindestens Exponenten davon ins Visier fassen.

Es braucht spezielle Technologiekenntnisse zur Bekämpfung der Cyber-Kriminalität. Das alles ist im Rahmen einer Armee möglich, aber sicher nicht die grundsätzliche Qualität einer Milizarmee.

swissinfo.ch: Der Bericht geht von einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit einer militärischen Aggression gegen die Schweiz aus und das über einen langen Zeithorizont. Dennoch soll die Armee – wenn auch auf einem relativ tiefen Niveau – kampfbereit gehalten werden. Macht das Sinn?

K.R.S.: Ich glaube, das Milizprinzip ist hilfreich im Falle einer Naturkatastrophe grösseren Umfanges, wobei wir in den letzten Jahren glücklicherweise kein Ereignis derartiger Grösse gesehen haben.

Aber: Die Armee als strategische Reserve für einen Betrag von 4 bis 5 Milliarden Franken pro Jahr aufrecht erhalten für Fälle, die nicht erkennbar sind, das ist ausserordentlich teuer. Es wäre realistischer, kleine, professionalisierte Kontingente bereit zu halten, die mit unseren Nachbarn zusammen im europäischen Raum wirksam werden könnten.

Ich sage nicht, es sei jetzt ein solcher Fall gegeben, aber wir sollten das Gespräch mit unseren Nachbarn aufnehmen und mit planen beginnen.

swissinfo.ch: Einen Nato-Beitritt oder auch nur eine Annäherung schliesst der Bundesrat aus. Gleichzeitig soll die Armee im technologischen Bereich auf der Höhe der Zeit bleiben. Geht das überhaupt ohne die Übernahme der Nato-Standards?

K.R.S.: Die militärischen Standards werden von jenen Nationen modernisiert, die am meisten praktische Erfahrungen haben. Das sind die Nato-Staaten und die USA. Dem können wir uns nicht entgegenstellen, wenn wir nicht völlig in einer mittelalterlichen Organisation und Bewaffnung verkrusten wollen.

Das ist aber auch nicht der Fall. Das Verteidigungs-Departement bemüht sich ja um einen angemessenen Modernisierungs-Prozess. Das Thema Interoperabilität ist seit langem ein Traktandum, das auch in der Schweiz intensiv diskutiert wird.

Ein Nato-Beitritt ist im Augenblick sicher kein Thema, aber es gibt eine Zwischenstufe. Das wäre eine Zusammenarbeit mit den europäischen Staaten. Die Battle Groups, die von den Europäern – mindestens auf dem Papier – ständig aus den Kontingenten verschiedener Nationen aufgestellt werden, das wäre ein Gefäss, in das sich auch die Schweiz einbringen könnte.

swissinfo.ch: Sind neue Auslandeinsätze denn überhaupt noch denkbar mit einem Parlament, das konsequent Nein sagt zu neuen Transportflugzeugen oder zu einer Beteiligung an einer EU-Mission wie Atalanta?

K.R.S.: Atalanta war eine sehr unglückliche Allianz von links und rechts, die wieder diese Blockade verstärkt hat Aber, ich kann mir auch ein Parlament denken, das für eine vernünftige Mitwirkung an einer Sicherung des europäischen Raumes ein Ohr hat.

Es ist von mir aus gesehen nicht ausgeschlossen, dass sich die Mitte wieder etwas stärkt und dass die Argumente zugunsten des europäischen Sicherheitsraumes, wenn sie denn von überzeugenden Politikern vorgeschlagen werden, Gehör finden in der Öffentlichkeit.

Andreas Keiser, Bundeshaus, swissinfo.ch

war bis zu seiner Emeritierung 2002 Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung an der ETH Zürich.

1987–1995 Vorsteher der Abteilung für Militärwissenschaften.

Er gründete 1987 die Forschungsstelle für Sicherheitspolitik an der ETH (heute Center for Security Studies).

Das derzeitige Militärsystem überzeugt die Schweizerinnen und Schweizer nicht mehr. Gemäss einer Umfrage befürworten nur 43,5 Prozent der Befragten die Wehrpflicht.

Die Resultate, die am Donnerstag im Westschweizer Wochenmagazin «L’Hebdo» veröffentlicht wurden – zeitgleich mit dem sicherheitspolitischen Bericht des Bundesrates – zeigen, dass die Wehrpflicht sowohl in der Deutschschweiz (47% Befürworter) und noch stärker in der Romandie (32,3% Befürworter) unter Beschuss steht.

Nur 40 Prozent der befragten Frauen stehen für den Status quo ein. Bei den Männern sind es 46,6 Prozent. Einzig die über 50-Jährigen unterstützen das bestehende System der Wehrpflicht.

Bei den jüngeren Schweizerinnen und Schweizer befürworten 37,6 Prozent den
obligatorischen Militärdienst.

Nach Alternativen gefragt, schlagen fast 40 Prozent der Befragten eine Berufsarmee vor. Die Abschaffung der Armee findet geringe 14,6 Prozent Befürworterinnen und Befürworter.

Die Umfrage wurde im März 2010 durch das Institut M.I.S Trend gemacht. Befragt wurden 604 Schweizerinnen und Schweizer. Die Fehlerquote beträgt 4 Prozent.

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