Die Grenzen des Streubomben-Verbots
107 Staaten haben bisher die Konvention zum Verbot von Streubomben unterzeichnet. Und 37 Staaten haben das Abkommen bereits ratifiziert, das nun am 1. August in Kraft treten wird. Blick auf eine Erfolgsgeschichte mit Abstrichen.
Das Abkommen verbietet Einsatz, Produktion, Lagerung und Handel von Streumunition. Die Schweiz hat die im Mai 2008 in Dublin vereinbarte Konvention unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Unter israelischer Lizenz produzierte die Schweizer Ruag Streumunition des Typs M85. Die Ratifikation des Abkommens dürfte nicht vor Ende nächsten Jahres erfolgen.
Paul Vermeulen, Direktor der Schweizer Sektion der Organisation Handicap International, ist zuversichtlich, dass die Vorlage im Parlament durchkommen wird. Beide Parlamentskammern hätten bereits zwei Motionen für eine rasche Ratifikation verabschiedet.
Auch Oberstleutnant Alexandre Vautravers schätzt, dass die Vorlage zur Ratifikation und Anpassung des Kriegsmaterialgesetzes, die in den kommenden Monaten in die Vernehmlassung gehen soll, nicht unter ein Sperrfeuer von Militärs und Waffenindustrie kommen wird.
«Für die Armeeführung geht es nicht um eine entscheidende Schlacht», erklärt der Chefredaktor der Revue militaire suisse (das Magazin richtet sich an Armeeoffiziere). Doch gleichzeitig unterstreicht Vautravers: «Durch den Verzicht auf diese Munition wird die Schweizer Artillerie rund 75% ihrer Feuerkraft verlieren.»
Vautravers sagt auch, die Unterzeichnung der Konvention durch die Schweiz sei ohne wirkliche Konzertation im Vorfeld erfolgt. Bei deren «grossen Schwester», der Ottawa-Konvention zum Verbot von Anti-Personenminen, sei das anders gewesen.
Anpassungen des Abkommens?
Der Offizier schliesst auch nicht aus, dass die Armee versuchen wird, Anpassungen des Abkommens zu erreichen. Etwa, dass Produktion und Einsatz von Streumunition im Fall eines Krieges erlaubt wären, wenn die Effizienz dieser Waffen verbessert würde.
Effizienter heisst in diesem Fall, dass die einzelnen Sprengkörper der Streumunition nach dem Abwurf auch wirklich alle explodieren, was heute oft nicht der Fall ist. Entwickler denken an einen Selbstzerstörungsmechanismus.
Solche Anpassungen würden bei den Unterstützern der Konvention allerdings zu lautstarken Protesten führen, denn ihrer Ansicht nach würde die Ächtung der Streubomben so nicht nur verwässert, sondern ihrer Substanz beraubt.
Vautravers erklärt auch, dass die von den USA während dem Vietnamkrieg als Ersatz für die schrecklichen Napalmbomben entwickelten Streubomben das kleinere von zwei Übeln seien.
Hypothek für die Zukunft
Zwischen 1964 und 1973 hatte die US-Luftwaffe 270 Millionen Streubomben über Vietnams Nachbarland Laos abgeworfen. Mehr als ein Drittel der Bomben explodierte nicht richtig, die liegengebliebenen Streubomben wirken wie Landminen und gefährden bis heute das Leben der Menschen dort.
Es brauche ein halbes Jahrhundert, um diese nicht explodierten Sprengsätze zu neutralisieren, die weite Landstriche von Laos unbestellbar machen und die auch heute, 30 Jahre nach dem Ende des Vietnam-Kriegs, Menschen töteten und verstümmelten, wurde Hansjörg Eberle, Direktor der Schweizer Minenräumungs-Stiftung (Fondation suisse de déminage, FSD) von der Westschweizer Tageszeitung Le Temps zitiert.
Die erste Konferenz der Vertragsstaaten der Konvention zur Ächtung der Streubomben (8.-12. November 2010) wird in Vientiane stattfinden, der Hauptstadt von Laos.
Laut Florian Westphal, Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), sollte bei der Konferenz ein Aktionsplan verabschiedet werden, um eine effiziente Umsetzung des Vertrags und die Kontrolle zu stärken.
Auf gutem Weg?
Aufgrund der Erfahrungen mit der Umsetzung der Konvention zum Verbot von Anti-Personenminen, die seit 1999 in Kraft ist, denkt Paul Vermeulen von Handicap International, dass die öffentliche Bekanntmachung von Staaten, die das Abkommen verletzen, ein gutes Druckmittel für eine effiziente Kontrolle sei.
Hunderte von unabhängigen Forschern, die für diese Arbeit eine besondere Ausbildung durchliefen, erstellen jedes Jahr einen Bericht («Landmine and Cluster Munition Report») zum Anti-Personenminen-Abkommen und zum Streubomben-Abkommen. Und zwar unter der Ägide einer Koalition von Nichtregierungs-Organisationen (NGO), die sich um die beiden Konventionen kümmern.
Im jüngsten «Landmine Report» heisst es, in den letzten zehn Jahren sei der staatliche Einsatz von Anti-Personenminen stark gesunken (1999 waren noch 15 Staaten als wahrscheinliche Nutzer aufgelistet). Einige Vertragstaaten, vor allem in Afrika, standen in der letzten Dekade zwar noch unter Verdacht, doch konnte der Einsatz der Waffen nicht schlüssig belegt werden.
Weiter schreiben die Forscher, 2008-2009 hätten nur noch zwei Nichtunterzeichner-Staaten – Russland und Birma (Myanmar) – diese Waffen eingesetzt. Dazu kamen nicht-staatliche bewaffnete Gruppen in mindestens sieben Ländern, darunter Afghanistan, Kolumbien und Peru, die das Abkommen unterzeichnet haben.
Weiter heisst es, weltweit hätten sich in den vergangenen Jahren auch gegen 60 bewaffnete nicht-staatliche Gruppen verpflichtet, keine Landminen mehr einzusetzen.
Kontrollmechanismus
Paul Vermeulen verweist denn auch darauf hin, dass der Markt mit Anti-Personenminen langsam austrockne. Oder anders gesagt, die Art des Abkommens, dessen Kontrolle im Verbund mit einer starken NGO-Koalition, habe seine Effizienz bewiesen.
Vautravers zieht diese Einschätzung in Zweifel und verweist darauf, dass die meisten wichtigen Herstellerländer wie die USA, China, Russland, Nordkorea, der Iran oder Israel den Konventionen nicht beigetreten sind.
Nach Ansicht von Vautravers, Direktor des Abteilung für Internationale Beziehungen an der amerikanischen Universität Webster in Genf, sollte man ein Kontrollregime einführen, das diesen Namen auch verdiene, zum Beispiel über Institutionen wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Tatsache ist: Gerade weil sich die Staatengemeinschaft nicht selber auf die Ächtung dieser Waffen einigen konnte, hatten Norwegen – im Fall der Anti-Personenminen – und Kanada – im Fall der Streubomben – in enger Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und dem damit verbundenen Druck der Öffentlichkeit die Bemühungen wieder aufgenommen – erst so waren die Abkommen zu Stande gekommen.
Frédéric Burnand, swissinfo.ch, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
Streubomben werden aus der Luft oder von Raketenwerfern am Boden aus abgefeuert.
Jede enthält bis mehrere Hundert, einzelne Sprengsätze, die über grosse Flächen verteilt ungezielt niedergehen.
Die meisten Opfer fordern Streubomben unter der Zivilbevölkerung.
Viele Sub-Geschosse explodieren beim Aufprall nicht und wirken danach wie Anti-Personenminen.
Noch Jahrzehnte nach dem Abwurf töten oder verstümmeln sie in den betroffenen Regionen willkürlich Menschen.
Im Rahmen ihrer Sicherheits- und Friedenspolitik unterstützt die Schweiz in Genf drei Ausbildungs- und Experten-Zentren:
Das Internationale Zentrum für Humanitäre Minenräumung (GICHD) engagiert sich in der Beratung und Unterstützung von betroffenen Ländern und der Erarbeitung weltweit anwendbarer Standards zur humanitären Minenräumung.
Es dient zudem der UNO als verlässlicher Partner im Kampf gegen Anti-Personenminen, Blindgänger sowie verlassene und nicht explodierte Kriegsmunition.
Das GICHD amtet zudem als Sekretariat der Ottawa-Konvention zum Verbot von Anti-Personenminen.
Das Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP bietet praxisorientierte Ausbildungen für Teilnehmer aus nationalen Verwaltungen, Armeen, internationalen Organisationen sowie der Zivilgesellschaft.
Zu den behandelten Themen gehören Abrüstung, bewaffneter Extremismus bis hin zu Fragen der menschlichen Sicherheit.
Das Zentrum für die Demokratische Kontrolle der Streitkräfte (DCAF) unterstützt Staaten, internationale Organisationen und die Zivilgesellschaft in ihren Bemühungen, die zivile und parlamentarische Kontrolle des Sicherheits-Sektors zu verbessern.
Das DCAF unterstützt insbesondere junge Demokratien und Staaten, die von einem Konflikt betroffen sind oder waren, bei der Reform ihres Sicherheitssektors sowie dessen Kontrolle durch das Parlament und die Zivilgesellschaft.
Quelle: Schweizer Aussenministerium
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