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Die neue Energiestrategie im Gegenwind

Unter den verschiedenen Vorschlägen der Regierung ist auch eine neue Lenkungsabgabe auf Treibstoffe, die für etwa ein Drittel der CO2-Emissionen in der Schweiz verantwortlich sind. Keystone

Die Schweizer Regierung plant eine grosse Energiewende und will die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 um 70 Prozent senken. Das Ziel ist klar vorgegeben, doch der Weg dorthin bleibt ungewiss. Das von der Regierung vorgeschlagene Projekt einer ökologischen Steuerabgabe stösst bei den grössten politischen Parteien auf keine Gegenliebe.

Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 gehörte die Schweiz zu den ersten Ländern, die ihre Energiepolitik neu ausrichteten. Innerhalb weniger Monate verabschiedeten Regierung und Parlament die so genannte Energiestrategie 2050. Dies sieht nicht nur die schrittweise Stilllegung der fünf Schweizer Atomkraftwerke vor, sondern strebt auch eine substanzielle Reduktion des Energiekonsums und der CO2-Emissionen an sowie die Förderung erneuerbarer Energien und eine Erneuerung des Stromnetzes.

Doch vier Jahre nach diesem Entscheid ist immer noch nicht klar, innerhalb welcher Fristen sich dieses Ziel erreichen lässt. Laut Regierung ist ein neuer Verfassungsartikel nötig, um die Energiestrategie ab 2021 umzusetzen. Doch dieser stösst allenthalben auf Widerstand. Gemäss Bundesrat soll statt eines Fördersystems, das vor allem auf Subventionen beruht, ein Lenkungssystem mit Abgaben auf den Energiekonsum eingeführt werden.

Die Einnahmen sollen an die Haushalte und Unternehmungen rückvergütet werden. Anders gesagt: Statt erneuerbare Energieträger finanziell zu unterstützen, würden Energieträger mit negativer Umweltbilanz verteuert. Demnach würden grosse Energiekonsumenten zur Kasse gebeten, während andere Akteure von einer Rückvergütung profitieren könnten.

Die Regierung ist überzeugt, dass dieses System die wirksamste Art und Weise darstellt, um Anreize für Bevölkerung und Unternehmen zu schaffen, den Energieverbrauch zu drosseln, speziell von fossilen Energieträgern wie Erdöl, Erdgas und Kohle, die heute noch 66 Prozent des Energiebedarfs der Schweiz abdecken.

Die Lenkungsabgabe stellt einen Paradigmenwechsel in der Steuerpolitik dar. Denn die neuen Abgaben würden nicht eingeführt, um die Einnahmen des Staats zu erhöhen, sondern um Private und Firmen davon zu überzeugen, ein umweltfreundlicheres Verhalten an den Tag zu legen.

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Hohe Belastung

In anderen europäischen Staaten wie Deutschland, Grossbritannien und den Niederlanden werden solche Lenkungsabgaben bereits angewandt. Doch in der Schweiz muss der Vorschlag der Regierung noch einige Hürden nehmen. Alle grösseren Parteien haben im Rahmen der soeben ausgelaufenen Vernehmlassung den bundesrätlichen Vorschlag kritisiert, der vier Varianten von Abgaben auf Benzin, Heizöl und Strom vorsieht. Fundamentalwiderstand kommt von rechts und aus dem Mitte-Rechts-Lager. Diese Kreise widersetzen sich auch dem definitiven Ausstieg aus der Kernenergie.

«Wir weisen diese neue Energiesteuer zurück, weil sie eine übermässige Belastung für die kleinen und mittleren Unternehmen darstellt sowie für viele Haushalte. Der Vorschlag der Regierung würde beispielsweise zu einer Verdoppelung der Heizölpreise führen. Angesichts des starken Frankens gegenüber dem Euro ist es nicht opportun, unsere Unternehmen zusätzlich zu belasten», meint Albert Rösti, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Energiestrategie 2050

Der Bundesrat will die Energiestrategie in zwei Etappen umsetzen.

Ein erstes Paket, das die Subventionierung von erneuerbaren Energien vorsieht, wurde im Dezember 2014 vom Nationalrat dank der Stimmen aus dem Mitte-Links-Lager gutgeheissen. Das Mitte-Rechts-Lager will mit seiner ablehnenden Haltung bei der anstehenden Debatte im Ständerat – im Herbst 2015 – nochmals gegen die Vorlage ankämpfen.

Ab 2021 soll ein Übergang vom Förder- zum Lenkungssystem stattfinden, das eine Art Ökosteuer auf Heizöl, Benzin und Strom basiert. Grundlage für diese zweite Etappe bildet ein Verfassungsartikel.

Die Energieabgabe soll gesamthaft zu keiner Erhöhung der Steuerbelastung für Haushalte und Unternehmen führen. Die Einnahmen aus der Energieabgabe sollen an Unternehmen und Haushalte rückverteilt werden, etwa durch Abschläge auf die Bundessteuer oder auf Beiträge für die Sozialversicherungen.

Anzumerken ist, dass im Februar 2015 eine Volksinitiative der Grünliberalen namens «Energie- statt Mehrwertsteuer» von 92% der Stimmenden bachab geschickt wurde. Der Kern der Initiative bestand in der Einführung von neuen Energiesteuern, um die Energiewende zu beschleunigen.

Ganz ähnlich tönt es bei der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen). «Wir sind gegen die Einführung einer globalen Energiesteuer. Die künstliche Verteuerung des Benzin- und Dieselpreises hätte nur negative Folgen», hält FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen fest. Während die SVP die Strategie der Regierung im Ganzen ablehnt, würde die FDP zumindest eine Lenkungsabgabe akzeptieren, die Heizöl betrifft.

Offene Fragen

Skeptisch sind aber auch Vertreter aus dem Mitte-Links-Lager, welche die Energiestrategie 2050 grundsätzlich mittragen. «Die Regierung will das Prinzip eines Anreizsystems in der Verfassung verankern, ohne anzugeben, wie es konkret umgesetzt werden soll. Um das genannte Ziel zu erreichen, braucht es sowieso gar keinen neuen Verfassungsartikel. Es würde genügen, die bestehenden Möglichkeiten gesetzlich zu erweitern», sagt Martin Bäumle, Präsident der Grünliberalen.

Diese Haltung wird von Roger Nordmann, Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei (SP), geteilt. «Im Prinzip handelt es sich um einen guten Vorschlag. Die Regierung will aber die bestehenden Instrumente der Förderung erneuerbarer Energie streichen, ohne verbindliche Massnahmen im neuen System zu präsentieren. Doch genau diese Massnahmen müssten festgelegt sein, bevor über einen Verfassungsartikel abgestimmt werden kann. Nur so wäre sichergestellt, dass das Volk genau weiss, worüber es abstimmt», führt Nordmann aus.

Auch die Grünen verlangen mehr Klarheit, bevor sie einer Lenkungsabgabe zustimmen. «Es gibt noch immer viele offene Fragen. Beispielsweise ist nicht klar, auf welche Art und in welchem Ausmass dieses System der Entwicklung erneuerbarer Energieträger förderlich ist. Wenn das bestehende Förderungssystem abgeschafft wird, ohne neue Anreize zu schaffen, läuft die Schweiz Gefahr, in Zukunft erneuerbare Energie im Ausland einkaufen zu müssen», meint Nationalrat Bastien Girod von der Grünen Partei.

Umstrittene Kosten

Zu den Streitpunkten gehört auch die Frage, welche Kosten die Energiewende mit sich bringt. Die Gegner der Energiestrategie 2050 halten diese auf alle Fälle für zu hoch. «Gemäss einer Studie der Universität Basel werden bis 2050 mehr als 100 Milliarden Franken nötig sein», betont Albert Rösti. «Diese Schätzung scheint uns realistisch angesichts der bereits vom Parlament verabschiedeten Massnahmen. Unserer Ansicht nach können Wirtschaft und Staat diese enormen Ausgaben nicht stemmen.»

Diese Schätzung wird von Befürwortern der Energiestrategie aber bestritten. «Das sind absurde Berechnungen, weil sie überhaupt nicht in Betracht ziehen, dass wir auf alle Fälle die alten Atomkraftwerke ausser Betrieb nehmen und die Stromnetze erneuern müssen», meint Bastien Girod. «Man müsste eher umgekehrt fragen, welche Kosten durch einen Verzicht auf die Energiewende entstehen könnten. Denken wir nur an das Risiko eines Nuklearunfalls oder an die Abhängigkeit in der Energieversorgung vom Ausland», fügt Girod an.

«Wir sind überzeugt, dass die Energiewende gar nichts kosten wird. Es ist umgekehrt: Die Investitionen in erneuerbare Energien werden zum Wirtschaftswachstum beitragen und einen schrittweisen Ersatz der fossilen Energieträger ermöglichen, für die wir heute jedes Jahr Milliarden von Franken ausgeben», meint Martin Bäumle von den Grünliberalen. «Doch dies wird nur möglich sein, wenn wir von dem kostspieligen System der Subventionen wegkommen und in den nächsten Jahren ein Lenkungssystem im Klima- und Energiebereich einführen.»

Klimaziele

In Hinblick auf die Beratungen über ein neues Klimaabkommen in Paris im Dezember 2015 hat die Schweizer Regierung vor wenigen Monaten ihre Zielvorgaben in Hinblick auf die Reduktion von Treibhausgasen vorgestellt.

Der Ausstoss von Treibhausgasen soll in der Schweiz bis 2030 um 50% im Vergleich zum Jahr 1990 reduziert werden. Diese Reduktion muss zu 30% im Inland erfolgen, für den Rest kann auch auf Projekte im Ausland ausgewichen werden.

Bis zum Jahr 2050 soll der Ausstoss von Treibhausgasen sogar um 70 bis 85% gesenkt werden.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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