Die schwierige Kontrolle der Söldnerunternehmen
Auf vielen Schlachtfeldern der Welt haben private Militär- und Sicherheitsfirmen konventionelle Streitkräfte ersetzt. Ein Blick hinter eine verschwiegene Branche.
Von einem Geschäftsturm im internationalen Viertel von Genf aus verfolgt Jamie Williamson aufmerksam, wie neue Einzelheiten zur Rekrutierung von GefangenenExterner Link sowie mutmassliche KriegsverbrechenExterner Link durch die «Wagner-Gruppe» ans Licht kommen, nachdem einer ihrer Rekruten im Januar nach Norwegen übergelaufen ist. Die von einem russischen OligarchenExterner Link geführte Privatarmee hat massgeblich zur Stärkung der russischen Präsenz in der Ukraine und in mehreren afrikanischen LändernExterner Link beigetragen.
Die «Wagner-Gruppe» ist eines der bekanntesten Beispiele für einen allgemeinen Trend zur Privatisierung von Krieg und Sicherheit. Daten zur genauen Zahl der Rekrut:innen und zum Geld, das in den privaten Sicherheitssektor fliesst, sind rar und werden von Branchenexperten oft unterschiedlich bewertet.
Future Market Insights schätzt den Wert des Marktes auf 80 Milliarden Dollar im Jahr 2022 und erwartet ein durchschnittliches Wachstum von 3,7% bis 2032. Vantage Market Research beziffert den Wert des Sektors im Jahr 2021 auf 242 Mrd. USD und prognostiziert ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 7,2% bis 2028.
Die Schätzung schliesst militärische Operationen mit ein. Das Genfer Zentrum für die demokratische Kontrolle der Streitkräfte (DCAFExterner Link) schätzt, dass es 2017 insgesamt 11,5 Millionen Sicherheitskräfte und 77’000 Personen gab, die bei privaten Militärunternehmen angestellt waren. Diese Zahlen scheinen noch immer ungefähr gleich hoch zu sein.
Williamson arbeitet daran, die mutmasslichen Kriegsverbrechen, die Gruppen wie Wagner zugeschrieben werden, zu verhindern. Er leitet die Vereinigung, die für den Internationalen Verhaltenskodex privater Sicherheitsdienstleister (ICoCA) zuständig ist.
Der Kodex geht auf eine Schweizer Initiative zurück, die 2010 im Zuge des letzten Irak-Kriegs entwickelt wurde, nachdem Söldner der Firma Blackwater 14 Zivilisten auf einem zentralen Platz in Bagdad getötet hatten. Regierungen, private Sicherheitsfirmen und Organisationen der Zivilgesellschaft einigten sich auf gemeinsame Grundsätze, um die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Rechts zu stärken. Im Jahr 2013 wurde die ICoCAExterner Link, eine in der Schweiz eingetragene gemeinnützige Organisation, gegründet.
«Dieser Sektor ist viel grösser als Wagner», erklärt Williamson in seinem kleinen Büro und verweist auf den Anwendungsbereich des Kodex. «Sicherheit wird überall angeboten, und überall dort, wo die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen durch private Dienste besteht, ist der Kodex relevant», sagt er. Dazu gehören Asylzentren, die von Auftragnehmer:innen bewacht werden, Bergbauunternehmen, die sich auf externe Sicherheitskräfte verlassen, oder private Sicherheitsfirmen in Kriegsgebieten, an die das Militär Aufgaben wie Ausbildung, Transport oder die Verwaltung seiner Munition auslagert.
Die Verbesserung der Standards in einer stetig wachsenden und verschwiegenen Branche erscheint manchmal wie ein aussichtsloses Unterfangen. Viele private Auftragnehmer:innen sehen mehr Transparenz als Reputations- oder Sicherheitsrisiko, auch wenn in den meisten Unternehmen keine Waffen eingesetzt werden.
Der Anteil des Marktes, den die ICoCA abdeckt, ist gering. Etwa 117 Unternehmen sind auf der ICoCA-Website aufgeführt. Sie haben sich verpflichtet, nach dem Kodex zu arbeiten und die Anforderungen an Berichterstattung, Überwachung und Bewertung zu erfüllen. Nur 54 von ihnen haben ihre Geschäftspraktiken extern prüfen lassen und gelten somit als «zertifizierte Mitglieder».
Einige der grösseren Sicherheitsunternehmen wie G4S oder GardaWorld haben sich mittlerweile dem Kodex angeschlossen, was andere Akteure veranlasst hat, ihrem Beispiel zu folgen. Williamson erklärt: «Die ICoCA-Mitgliedsunternehmen sind an über 50 verschiedenen Standorten tätig und beschäftigen Zehntausende von Mitarbeiter:innen.»
Constellis, die Gruppe, welche die Überbleibsel von Blackwater nach mehreren Rebranding-RundenExterner Link übernommen hat, zertifizierte ihre in Afghanistan und im Irak tätige Tochtergesellschaft im Jahr 2017. Ihre globale Vizepräsidentin für Geschäftsentwicklung, Michelle Quinn, sitzt nun im Vorstand der ICoCA. «Eine Überprüfung machte deutlich, dass sie sich sehr von Blackwater unterscheiden», erklärt Williamson.
Eine Wette auf die Prävention
Im Prinzip ist die ICoCA bereit, mit allen zusammenzuarbeiten, die Einfluss haben, auch mit der Wagner-Gruppe. «Es wäre jedoch nahezu unmöglich für sie, Mitglied zu werden», erklärt Williamson, der vor seiner Tätigkeit bei der ICoCA für das IKRK in mehreren Krisengebieten im Einsatz stand. «Doch wir müssen uns mit Unternehmen auseinandersetzen, die eine schlechte Leistungsbilanz aufweisen – das ist genau der Punkt, an dem es einen Unterschied macht, um weiteres Fehlverhalten zu verhindern und Verantwortlichkeit zu gewährleisten.»
In der Ukraine jedoch, wo Angehörige der Wagner-Gruppe in Wladimir Putins Krieg kämpfen, verfehle man das Ziel, wenn man sich an das Unternehmen wende, sagt Williamson. «Das Modell in der Ukraine ist neu. Sie sind nicht staatlich, aber eindeutig mit dem Staat verbunden – ein privater Flügel des russischen Militärs. Die Debatte und die Lösungen haben sich auf eine viel politischere und staatlichere Ebene verlagert.»
Aus rechtlicher Sicht sind die Wagner-Kämpfer in der Ukraine keine Söldner. In den Genfer Konventionen ist definiertExterner Link, dass Söldner nicht die Staatsangehörigkeit einer Konfliktpartei besitzen dürfen und durch den Wunsch nach privatem Gewinn motiviert sein müssen.
In anderen Ländern könnten jedoch viele der von Wagner angebotenen Dienstleistungen von jeder Sicherheitsfirma erbracht werden, erklärt Williamson. «Sie kooperieren mit Friedenstruppen oder bilden lokale Polizei- oder Militärkräfte aus. Viele westliche Unternehmen tun seit Jahrzehnten genau das Gleiche.»
Die ICoCA versucht, mit jedem dieser Auftragnehmer:innen in Kontakt zu treten, um ihnen die rechtlichen Parameter und Grenzen ihres Handelns aufzuzeigen. Ziel ist es, Schaden von der Zivilbevölkerung abzuwenden. Zudem erklärt die ICoCA, an welchem Punkt die Auftragnehmer die Schwelle überschreiten, selbst zu Kombattanten zu werden und ihren eigenen Status als Zivilisten verlieren.
«Es geht vor allem um Prävention», sagt Williamson. «Sobald ein Schuss fällt oder Zivilist:innen zu Schaden kommen, ist es zu spät.»
Die Macht des Kunden
Die Regierungen spielen ebenfalls eine Schlüsselrolle bei der Eindämmung und Regulierung privater Sicherheitsunternehmen. Mit der Annahme des Montreux-DokumentsExterner Link, einer weiteren Initiative der Schweiz und des IKRK zur Verbesserung der Einhaltung des Völkerrechts durch private Militär- und Sicherheitsunternehmen, bekräftigten 2008 mehrere Staaten ihre Verpflichtung, Mindeststandards für private Sicherheitsfirmen zu gewährleisten, die auf ihrem Staatsgebiet tätig sind.
Als Auftraggeber von Sicherheitsunternehmen legen die nationalen Behörden die Standards fest, deren Einhaltung sie von den Unternehmen erwarten. Die Vereinigten Staaten verlangen von Auftragnehmer:innen, die für die diplomatische Sicherheit in risikoreichen Umgebungen eingesetzt werden, eine Zertifizierung durch die ICoCA.
Andere Länder wie das Vereinigte Königreich verweisen in ihren Beschaffungsunterlagen darauf. Aber je enger die Dienstleistungen mit militärischen Operationen verknüpft sind, desto komplizierter wird jegliche Art von Aufsicht, da die Informationen oft geheim sind, erklärt Williamson.
Insgesamt bleibt die ICoCA ein westlicher Club. Mit dabei sind die Regierungen Australiens, Kanadas, Norwegens, Schwedens, der Schweiz, des Vereinigten Königreichs und der USA.
«Wir ermutigen alle Regierungen, der ICoCA beizutreten, um die Sicherheitsstandards zu erhöhen», schreibt das Schweizer Aussenministerium in seiner Antwort auf eine Frage von SWI swissinfo.ch zum Status von Russland und China. «Da die ICoCA ihren Sitz in Genf hat, steht sie mit den ständigen Vertretungen in Kontakt, wenn es um Fragen der privaten Sicherheitsstandards geht.»
Rechtliche Anpassungen
Die Schweiz hat ihr Bundesgesetz 2013 aktualisiert, um Unternehmen, die sich an Feindseligkeiten im Ausland beteiligen, innerhalb der Landesgrenzen zu verbietenExterner Link. Der Schritt erfolgte, nachdem die britische Firma Aegis Defence Services, einer der grösseren Akteure der Branche mit Einsätzen in den Kriegen im Irak und in Afghanistan, ihren Hauptsitz nach Basel verlegt hatte.
Die Sicherstellung der Schweizer Neutralität war einer der Hauptgründe für die Verabschiedung des Gesetzes, das es Unternehmen mit Sitz in der Schweiz ausdrücklich untersagt, Dienstleistungen im Zusammenhang mit schweren Menschenrechtsverletzungen zu erbringen.
Das Gesetz verlangt von Schweizer Unternehmen, den Behörden im Voraus zu melden, wenn sie Sicherheitsdienstleistungen im Ausland erbringen wollen – und es verpflichtet sie, dem Internationalen Verhaltenskodex beizutreten.
Während die UNO-Arbeitsgruppe betreffend Einsatz von Söldner:innen bei einem Länderbesuch 2019Externer Link das internationale Engagement der Schweiz lobte, kritisierte sie die nationalen Regelungen für im Inland angebotenen Sicherheitsdienstleistungen:
«Das Fehlen einheitlicher Standards innerhalb der Branche ist äusserst besorgniserregend, da die Anzahl privater Sicherheitskräfte die der Polizeibeamten übersteigt», schreiben die Expert:innen.
Neben den Regierungen gehören auch multinationale Konzerne zu den einflussreichen Akteuren für die Verbesserung des Verhaltens privater Sicherheitsdienste.
«Die Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Menschenrechte ist entscheidend», betont Jamie Williamson. Als Kunden haben multinationale Unternehmen ein Mitspracherecht bei den Standards, die von den beauftragten Sicherheitsfirmen eingehalten werden müssen.
Der britische Öl- und Gaskonzern BP ist seit Jahren Beobachter der ICoCA, der Rohstoffhändler Glencore und Holcim, ein weltweit tätiger Baustoffkonzern, sind gerade beigetreten. Andere grosse Unternehmen, die für ihre globalen Aktivitäten auf externe Sicherheitsdienste zurückgreifen, könnten folgen. Die Idee ist, auf ein etabliertes Protokoll zu setzen, um Rechtsverletzungen durch Auftragnehmer zu verhindern – und die Auswirkungen, die diese für multinationale Kozerne haben könnten.
Eine Rechenschaftspflicht fehlt
Die Expert:innen der UN-Arbeitsgruppe begrüssen den Kodex, fordern jedoch mehr. In einem aktuellen BerichtExterner Link an den UN-Menschenrechtsrat betonen sie die Notwendigkeit eines internationalen Abkommens, «um eine weltweit einheitliche Regulierung privater Militär- und Sicherheitsfirmen zu gewährleisten und einen angemessenen Schutz der Menschenrechte sicherzustellen.»
In einer E-Mail an SWI swissinfo.ch erklärt Sorcha MacLeod von der UN-Arbeitsgruppe, dass Söldner:innen selten für Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen werden. Laut ihr sind die Verschwiegenheit rund um solche privaten Sicherheitsakteure, komplexe Geschäftsstrukturen und Lücken in der Regulierung dafür verantwortlich.
Vier Blackwater-Mitarbeiter wurden von einem US-GerichtExterner Link für die Morde in Bagdad verurteilt, später aber vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump begnadigtExterner Link. Ein erstes Verfahren gegen die Wagner-Gruppe wurde 2022 von einem russischen Gericht abgewiesenExterner Link und liegt nunExterner Link dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor.
«Eine der grössten Veränderungen der letzten Zeit in Bezug auf den Einsatz von Söldner:innen ist das Ausmass. Heute sind Tausende von ihnen in verschiedenen bewaffneten Konflikten im Einsatz. In der Vergangenheit waren es viel weniger», erklärt MacLeod.
In seinem Genfer Büro stimmt Jamie Williamson der Einschätzung zu, dass private Akteure auf dem Vormarsch sind: «Wir könnten in Zukunft mehr Gruppen wie Wagner sehen. Es wird unmöglich sein, in eine Welt zurückzukehren, in der es nur konventionelle Streitkräfte gibt.»
Eine der unmittelbaren Folgen ist die Verwischung der Grenzen zwischen konfliktiven und nicht konfliktiven Operationen. Williamson nennt dies eine «Kommunalität der Probleme»: Probleme wie unfaire Arbeitsbedingungen, sexuelle Belästigung, mangelnde Ausbildung, unangemessene Gewaltanwendung, Festnahme oder Inhaftierung werden in jedem Kontext auftreten.
In einer Branche, in der Ressourcen leicht transferiert werden können, gehen Drittstaatsangehörige, die im Irak als Wachpersonal arbeiten, vielleicht als nächstes zur Fussballweltmeisterschaft in Katar oder zu den Olympischen Spielen in Paris, erklärt Williamson. «Dahinter stehen die gleichen Markttreiber. Die Sicherheitsbranche umfasst das gesamte Spektrum.»
Editiert von Virginie Mangin, Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger
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