E-Voting – es geht langsam, aber stetig voran
Rund 70% der Auslandschweizer können bei den Nationalratswahlen im Oktober 2015 online wählen. Die Dachorganisation ASO bedauert, dass nicht alle Auslandschweizer elektronisch wählen können und hofft, das werde bei den nächsten Wahlen 2019 der Fall sein.
Die Schweiz ist ein E-Voting Pionierland. Und im Gegensatz zu Norwegen, das im Juli 2014 beschlossen hat, die Versuche wegen Sicherheitsbedenken zumindest vorläufig auf Eis zu legen, baut sie das E-Voting kontinuierlich aus.
Das gilt nicht nur für die Zahl der potentiellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sondern auch für die Sicherheit des elektronischen Stimm- und Wahlprozesses. Als nächsten Schritt führen die 14 Schweizer Kantone, die sich an den Versuchen beteiligen, im Jahr 2015 die 2. GenerationExterner Link des E-Votings ein.
Neu erhält jeder Stimmberechtigte zusammen mit dem Wahlmaterial eine Serie von individuellen Verifizierungscodes. Für die Nationalratswahlen heisst das je einen Code pro Kandidatin oder Kandidaten. Nachdem der Wähler abgestimmt hat, sendet ihm das System einen so genannten Verifikations-Code zurück. Diesen kann er mit dem Code auf dem Stimmmaterial vergleichen und kontrollieren, ob er den richtigen Kandidaten gewählt hat. Eine allfällige Manipulation seiner Wahlabsichten würde sofort auffallen.
Mehr Sicherheit: mehr Berechtigte
SicherheitsexpertenExterner Link sind sich einig, dass diese Form der individuellen Verifizierbarkeit das E-Voting grundsätzlich sicherer macht. Der Bundesrat will deshalb die Zahl der potentiellen Teilnehmer in den kommenden Jahren erhöhen. So werden einige Deutschschweizer Kantone ab 2015 ihre Versuche in ausgewählten Gemeinden auf die «Inlandschweizer» ausdehnen.
Im Kanton Genf konnten bereits bisher 30% der Inlandschweizer per Internet abstimmen und wählen. Und auch der Kanton Neuenburg kennt eine Besonderheit: Hier ist ein Vertrag mit dem E-Gouvernement-PortalExterner Link des Kantons Voraussetzung für E-Voting. Alle Stimmberechtigten, die einen Vertrag unterzeichnet haben, können per Internet abstimmen.
Der Entscheid, ob sie bei den Versuchen des Bundes teilnehmen, liegt bei den Kantonen. Der Bundesrat legt die Strategie fest und damit auch die Quoten der Berechtigten. Dabei gilt: Je höher die Sicherheit, je mehr Berechtigte. Bisher lag die Obergrenze bei 10% der Schweizer Stimmberechtigten. Mit der Einführung der 2. Generation – also der individuellen Verifizierbarkeit mittels Codes – wird die Quote auf 30% erhöht, und ab 2020 soll das E-Voting mit der 3. Generation grundsätzlich für 100% der Stimmberechtigten eingeführt werden. Die im Stimmregister registrierten und damit stimmberechtigten Auslandschweizer entsprechen 3% des gesamtschweizerischen Elektorats.
Fortschritte seit 2011
11 Jahre E-Voting
Erste Versuche mit Vote électronique fanden 2004 bei kommunalen Urnengängen im Kanton Genf statt. In den Kantonen Neuenburg und Zürich folgten erste Tests im Jahr 2005.
Genf, Neuenburg und Zürich haben je ein eigenes System. Die Systeme werden kontinuierlich weiterentwickelt. Zürich und Genf stellen ihr System anderen Kantonen vertraglich zur Verfügung.
Das Genfer System wird von den Kantonen Basel-Stadt, Bern und Luzern genutzt. Die Kantone Freiburg, Graubünden, Solothurn, Schaffhausen, St. Gallen, Aargau und Thurgau nutzen eine Kopie des Zürcher Informatiksystems und schliessen sich zum Consortium Vote électronique zusammen.
Bei den Nationalratswahlen von 2011 wurden in den vier Kantonen Basel, Graubünden, Aargau und St. Gallen erstmals Versuche mit E-Voting gemacht.
2011 hat der Kanton Zürich die Arbeit am E-Voting eingefroren, um den Stand der Dinge zu überdenken. Ab 2015 nimmt Zürich wieder an den Versuchen teil. Neu stösst auch Glarus zum Consortium Vote électronique, das nun 9 Kantone umfasst. Damit beteiligen sich 14 Kantone an den Versuchen.
Damit ist allerdings nicht gesagt, dass sich bis dahin alle Kantone am E-Voting beteiligen werden. Bislang sind es 14 KantoneExterner Link. Dass es nicht mehr sind, hat verschiedene Gründe. Es gibt Kantone, die ihr Abseitsstehen mit fehlenden finanziellen Mitteln begründen. Andere bemängeln die Sicherheit der bisherigen Systeme und wollen nun die Erfahrungen mit der 2. Generation abwarten.
Das hat Auswirkungen auf die Zahl der Auslandschweizer, die per Internet abstimmen können, also auf das Elektorat, dem das wegen der zuweilen langen und verschlungenen Postwege am direktesten entgegenkommt. Im Oktober 2015 können die Auslandschweizer aus14 Kantonen elektronisch ihre Nationalräte wählen. Bei den Ständeratswahlen, die nach einem völlig anderen und von Kanton zu Kanton stark unterschiedlichen Wahlsystem durchgeführt werden, sind es die Auslandschweizer aus 12 Kantonen.
«Die Auslandschweizer-Organisation ASOExterner Link hatte angestrebt, dass alle Kantone das E-Voting für die Eidgenössischen Wahlen 2015 anbieten. Wir haben im Jahr 2012 dafür eine Petition mit 15’000 Unterschriften gesammelt. Die ASO bedauert, dass das nun nicht der Fall ist», sagt die Co-Direktorin der ASO, Ariane Rustichelli, gegenüber swissinfo.ch.
14 Kantone, das heisst, dass 70% der rund 155’000 im Stimmregister eingetragenen Auslandschweizer elektronisch werden wählen können. Das entspricht – im Vergleich mit den Eidgenössischen Wahlen 2011 – einer Vervierfachung.
Der Makel des Papiers
Die ASO hofft, dass sie ihr Ziel, also eine 100%-Abdeckung für die Auslandschweizer, bei den Wahlen 2019 erreichen wird. Doch, auch wenn bis sich dahin alle Kantone am E-Voting beteiligen werden, bleibt – vor allem aus Sicht der Auslandschweizer – ein grundsätzliches Problem ungelöst: Das Stimmmaterial (Stimmrechtsausweis, Stimmzettel, Codes) auf Papier und der damit verbundene Postweg.
Papierloses, also voll elektronisches und gleichzeitig sicheres E-Voting, ist technisch zwar machbar, doch seine Umsetzung und Einführung ist komplex, anspruchsvoll und liegt in weiter Ferne. Die Vorstellungen gehen in Richtung eines zweiten Gerätes. Dieses muss vom Internet völlig abgekoppelt sein und ist mit jenenGeräten vergleichbar, die Banken für das E-Banking an ihre Kunden verteilen.
«Es sind Gedanken im Raum zur Einführung des papierlosen E-Votings, aber der Zeithorizont für dessen Einführung ist noch nicht klar», sagt Thomas Wehrli, Projektleiter Vote électronique des Kantons Aargau.
Briefliche Abgabe brauchte 30 Jahre
«Die Wahltechnologie ist immer in eine politische Kultur eingebettet», sagt Uwe SerdültExterner Link, Vizedirektor des Zentrums für Forschung zur direkten Demokratie Aarau und erinnert daran, dass die «meisten Gemeinden immer noch Gemeindeversammlungen» abhalten. Auch die Einführung der brieflichen Stimmabgabe – als zweiter Kanal neben der direkten Stimmabgabe im Wahllokal – habe rund 30 Jahre Zeit in Anspruch genommen, bis sie für alle zugänglich geworden sei.
Baselland hat die briefliche Stimmabgabe im Jahr 1978 eingeführt, die beiden letzten Kantone – Wallis und Tessin – taten dies erst 2005. «Es sieht danach aus, dass der administrative und politische Prozess beim E-Voting auch ungefähr 30 Jahre dauern wird», so Serdült. – So gesehen kann 2030 ein realistischer Zeithorizont für das papierlose E-Voting sein, denn Genf hat 2004 mit den ersten Versuchen begonnen.
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