Entspannung mit Präsident François Hollande?
Im Rennen um Frankreichs Präsidentenamt haben Nicolas Sarkozy und Herausforderer François Hollande die Schweizer Steuerpolitik scharf kritisiert. Gewinnt Letzterer, hoffen Schweizer Linke auf eine Besserung der nachbarlichen Beziehungen.
Am Sonntag wird die erste Runde der französischen Präsidentenwahlen eingeläutet. Der zweite und entscheidende Wahlgang findet dann am 6. Mai statt.
Letzte Umfragen sehen den sozialistischen Herausforderer Hollande gegenüber dem bisherigen Amtsinhaber Sarkozyziemlich deutlich in Front.
Aber wer von den beiden das Rennen in der so genannten Présidentielle auch immer machen wird: Die Töne, die im Wahlkampf von beiden Seiten zu hören waren, verheissen nicht unbedingt Gutes für das Verhältnis Frankreichs zur Schweiz.
Im letzten November hatte Präsident Nicolas Sarkozy «Mängel» des Nachbarlandes bei der Zusammenarbeit in Steuerfragen kritisiert und die Schweiz im selben Atemzug genannt wie die Steuerparadiese Zentralamerikas.
Im März kündete er an, dass der Fiskus französische Steuerflüchtlinge, die ihr Vermögen auf Schweizer Banken platziert haben, künftig härter anfassen werde. Dies würde bedeuten, dass das bestehende Doppelbesteuerungs-Abkommen von beiden Ländern neu ausgehandelt werden müsste.
François Hollande stimmt ausnahmsweise mit seinem Konkurrenten überein, was die Schwäche des DBAs betrifft. Darüber hinaus will Hollande aber alle Franzosen, die nicht im Land selber steuerpflichtig sind, dem Satz für hohe Einkommen unterstellen.
Noch weniger zimperlich tönt es von Seiten von Jean-Luc Mélenchon. Der Kandidat der Linken bezeichnete die Schweiz schlicht als «Tresorraum für alle Schurken dieser Welt».
Bern wartet ab
Bern lässt die Vorwürfe unkommentiert. «Etwas anderes wäre es, wenn es sich um die Umsetzung eines konkreten Programms durch einen gewählten Amtsträger handeln würde», lässt sich das Schweizer Finanzministerium vernehmen.
Woher rühren die Attacken? Noch 2007 hatte der damalige Kandidat Sarkozy keine Skrupel gehabt, bei Landsleuten mit Wohnsitz in der Schweiz auf Geldsammel-Tour zu gehen. Sarkozy-Berater Manuel Aeschlimann hob seine Berner Wurzeln hervor und Ségolène Royal, die unterlegene Kandidatin der Sozialisten, zeigte starkes Interesse am politischen System der Schweiz und lobte insbesondere die «partizipative Demokratie».
Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09 wurde alles anders. Paris intensivierte jetzt den Kampf gegen Steuerflüchtlinge: Die Schweiz mit ihrem Bankgeheimnis wurde auf den Index gesetzt, das Verhältnis kühlte merklich ab.
«Nicolas Sarkozy hat wahrscheinlich ein Problem mit uns», sagte im letzten November eine erstaunte Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey, nachdem ihr Amtskollege die Schweiz unter den Bann der internationalen Gemeinschaft hatte stellen wollen.
Zur Steuerkrise kam eine Vernachlässigung der bilateralen Beziehungen. In der Ära von Präsident François Mitterrands tauschten sich die Staatsspitzen beider Länder an traditionellen, praktisch jährlichen Treffen aus. In der fünfjährigen Amtszeit Sarkozys kam es nur zu zwei Gipfeln.
«Hollande stabiler»
«Sarkozy griff gegenüber der Schweiz zum verbalen Zweihänder, auch wenn seine Schläge meist ohne konkrete Folgen blieben», sagt Didier Berberat, Mitglied der Neuenburger Kantonsregierung. Mit Hollande als Präsidenten könne es diesbezüglich kaum schlimmer kommen, glaubt der Sozialdemokrat.
«Der Kandidat der Sozialisten scheint mir stabiler als der unberechenbare Sarkozy», sagt Berberat. Sollte der neue Präsident Frankreichs tatsächlich Hollande heissen, müsse Bern sehr rasch mit der neuen Regierung im Elysée Kontakt aufnehmen und versuchen, die Beziehungen zu stärken, empfiehlt der SP-Vertreter.
Am vergangenen Sonntag hatte Didier Berberat ein persönliches Treffen mit François Hollande.»Wir haben nach seinem Auftritt in Vincennes bei Paris einige Minuten miteinander gesprochen und vereinbart, die Verbindungen zwischen unseren Parteien zu vertiefen», sagt der Neuenburger. Er wertet die Drohungen, welche die Kandidaten gegenüber der Schweiz geäussert haben, «eher für den internen als für den externen Gebrauch».
Oberhand für «Helvetophile»?
Hollande verspricht eine Präsidentschaft, die weniger «hyperaktiv» zu werden verspricht als diejenige Sarkozys. Dieser Meinung sind selbst neutrale Beobachter.
Zwar zählen Vincent Peillon und Arnaud Montebourg zu Hollandes Lager, zwei vehemente Kritiker der Schweiz und ihres Bankgeheimnisses. Vertreten sind aber auch «helvetophile» Köpfe wie Manuel Valls, dessen Mutter aus der Schweiz stammt, oder der konziliante Laurent Fabius.
In Bern wartet man aber erst einmal das Ende des Wahlkampfs ab. «Sollte Sarkozy siegen, ist es nicht ausgeschlossen, dass er Interesse an einem Rubik-Abkommen zeigen wird», glaubt ein Kenner aus dem Umfeld der Schweizer Diplomatie. Dasselbe gelte für den Fall eines Sieges von Hollande.
Rubik-Abkommen hat die Schweiz bereits mit Deutschland, Grossbritannien und Österreich unterzeichnet. Die Verträge sehen für ausländische Personen mit undeklarierten Guthaben auf Schweizer Banken eine Abgeltungssteuer vor.
Diese spült zwar namhafte Beträge in die Kassen der Herkunftsländer, die Namen der Steuerflüchtlinge bleiben dort indes weiter anonym. Und genau dieser Punkt sorgt in den drei Ländern für starke Opposition. Es ist daher alles andere als gesichert, wann und ob überhaupt die Steuerabkommen je in Kraft treten werden.
Die Europäische Union hat zwar am Dienstag grünes Licht zu den Rubik-Abkommen mit Deutschland und Grossbritannien erteilt. Aber Brüssel beharrt gegenüber der Schweiz auf dem automatischen Informationsaustausch, wie er für die Länder innerhalb der EU gilt.
Historisch vorbelastet
Die französisch-schweizerischen Beziehungen seien kaum je unbelastet gewesen, sagt der Historiker Alain-Jacques Tornare. «Vergessen wir nicht die Gereiztheit Frankreichs angesichts der Kapitalflucht in die Schweiz. Diese findet nicht erst seit gestern statt, sondern hatte schon weit vor der Präsidentschaft François Mitterrands eingesetzt», erinnert Tornare.
In den 1960er-Jahren habe der Kurszerfall des damals neuen französischen Francs zu einem Steuerexodus Richtung Schweiz geführt. «De Gaulle war darüber sehr verärgert», so der Historiker.
Als nach dem Wahlsieg Mitterands viele reiche Franzosen aus Furcht vor der Politik des Sozialisten ihre Vermögen fluchtartig in die Schweiz brachten, hielt das den neugewählten Präsidenten keineswegs davon ab, eine Einladung Berns anzunehmen.
Daraus resultierte nicht nur der erste offizielle Staatsbesuch eines französischen Präsidenten seit 1910, sondern auch eine Entspannung der Beziehungen.
Das Lager der Schweizer Sozialdemokraten mit Didier Berberat setzt natürlich auf François Hollande. Mit dem unaufgeregten Sozialisten an der Spitze Frankreichs hofft man, den Geist des freundschaftlichen, aber nicht immer einfachen Dialogs aus der Ära Mitterrand wieder neu zu beleben.
Gemäss Gesetz ist es französischen Medien am Sonntag verboten, Resultate des ersten Urnengangs vor 20 Uhr zu veröffentlichen.
Das Publikationsverbot betrifft aber nur französische Medien. Internationale sowie die sozialen Medien wie Twitter und Facebook fallen nicht darunter.
Bei den Präsidentschaftswahlen 2002 und 2007 wurden Internetseiten von Medien in der Schweiz und Belgien mit Zugriffen überflutet, weil sie die Resultate schon früher publiziert hatten.
Schweizer Medien, insbesondere solche aus der Westschweiz, haben angekündigt, den Sieger auch dieses Jahr bereits um 18.30 zu verkünden.
Gemäss Pariser Staatsanwaltschaft ist es auch verboten, ab Freitag Mitternacht Umfragen zu publizieren.
Vergehen werden mit Bussen bis zu 75’000 Euros bestraft.
Laut der Zeitung Le Parisien- Aujourd’hui en France (Freitagausgabe) wird Hollande am Sonntag 30% der Stimmen erreichen, Sarkozy 26,5%.
In der zweiten und entscheidenden Runde vom 6. Mai würde gemäss der vom Institut BVA durchgeführten Umfrage Hollande mit 57% der Stimmen klar das Rennen machen. Der bisherige Präsident käme lediglich auf 43%.
In einer anderen Umfrage sieht die Zeitung Le Monde für den ersten Wahlgang François Hollande mit 29% der Stimmen in Front, Sarkozy liegt mit 25,5% zurück.
Gemäss dieser von Ipsos durchgeführten Befragung würde Hollande die Schlussausmarchung mit 56% gegenüber 44% Sarkozy gewinnen
(Übertragen aus dem Französischen: Renat Kuenzi)
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