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EU will neue Lösungen von der Schweiz

EU-Flaggen vor dem Hauptsitz der Europäischen Kommission in Brüssel. Reuters

Die 27 EU-Aussenminister haben am Dienstag einen Bericht zum Verhältnis Schweiz - EU verabschiedet: Der Ton gegenüber Bern wird verschärft, und die kantonalen Steuerpraktiken werden erneut kritisiert. swissinfo.ch sprach mit zwei Experten.

«Es erstaunt nicht, dass der Rat der EU-Mitgliedstaaten den Ton verschärft», sagt Europa-Experte Dieter Freiburghaus gegenüber swissinfo.ch. Der Ton sei bereits früher langsam angehoben worden, so der emeritierte Politologie-Professor: «Im letzten Sommer war Wirtschaftsministerin Doris Leuthard in Brüssel bereits relativ deutlich mit den Brüsseler Wünschen konfrontiert worden.» Insbesondere geht es um die automatische Übernahme von EU-Gesetzen und die Akzeptanz eines Gerichtshofs, um strittige Fragen zu klären.

Die Schweizer Medien hätten darauf etwas aufgeschreckt reagiert, und eine gemischte Arbeitsgruppe sei eingesetzt worden. «Diese müsste jetzt Lösungen ausarbeiten, kommt aber offenbar nicht voran», schätzt Freiburghaus. «Die höhere Tonlage war also zu erwarten.»

Es gehe der EU einerseits um das ganze Abkommenssystem (der Bilateralen), das auf eine neue Basis gestellt werden müsse – «etwas zwischen Rahmenabkommen und Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)», so Freiburghaus. Und andererseits bringe die EU einzelne Beispiele, bei denen ihr etwas nicht passt.

Im Bereich der Besteuerung der ausländischen Privatkonten respektive des Bankgeheimnisses sei der Druck etwas gewichen, sagt der Genfer Politikwissenschafter René Schwok dafür werde im Bereich der kantonalen Unternehmensbesteuerung Kritik geübt.

Kantonale Holding-Besteuerung als Stachel

«Letzte Woche hat die EU entschieden, vor 2017 nicht mehr von automatischem Informationsaustausch zu sprechen», sagt Schwok. «Die Schweiz hat also das Messer nicht mehr am Hals. Es bleibt der Stachel der kantonalen Unternehmensbesteuerung.»

Von der EU angepeilt sind die kantonalen Steuern, die Holding-Unternehmen bevorzugt behandeln. Was einer Art staatlichen Subventionierung respektive einer Verzerrung des Standortwettbewerbs gleichkomme, so die EU. Dies verstosse gegen das alte Freihandelsabkommen zwischen ihr und der Schweiz.

Wenn in anderen Ländern der EU, zum Beispiel in Grossbritannien auf den Kanalinseln, Holdings ebenfalls steuerlich profitierten, habe das mit den kantonalen Steuern der Schweiz nichts zu tun, sagt Freiburghaus. «Innerhalb des Verhältnisses EU – Schweiz wirft die EU der Schweiz eine steuerliche Subventionierung vor, die den Wettbewerb zwischen den beiden Standorten verzerre – Jersey hin oder her.»

«In der Schweiz sind diese unterschiedlichen Praktiken zwar üblich, in der EU aber nicht.» Die Schweiz könne nun nicht mit irgendwelchen Gegenforderungen kommen, «sonst können wir ja den Gotthard-Tunnel schliessen oder einen Handelskrieg beginnen – da zögen wir ohnehin der Kürzeren.»

«Früher oder später wird Brüssel Bern sicher in die Knie zwingen», glaubt Schwok. Falls sie diese Regeln nicht akzeptiere, werde sie andere grosse Zugeständnisse machen müssen.

Brüssel verlangt einen neuen Rahmen

«Der neueste EU-Bericht zielt offensichtlich darauf ab, dass die Schweiz innerhalb der bestehenden Arbeitsgruppe in einen neuen institutionellen Rahmen einlenken sollte», so Freiburghaus.

Doris Leuthard und Micheline Calmy-Rey hätten im Sommer vor den Medien zugegeben, es sei einzusehen, dass man mit 120 verschiedenen Abkommen nicht mehr kutschieren könne. «Dennoch zögert die Schweiz, sich auf etwas Neues einzulassen, zum Beispiel auf ein Rahmenabkommen.»

Es sei eine grosse Schwäche des Bilateralismus, kein Gericht zu haben, das man anrufen könne, wenn man sich über die Interpretation des Abkommens streite, sagt Freiburghaus. Deshalb fordere die EU eine Instanz, die Streitfälle entscheide.

Kurzfristig besteht noch Spielraum

Die Schweiz müsse man deshalb aus Brüsseler Sicht etwas durchschütteln, sagt Schwok. Doch müsse das Land noch nicht wirklich besorgt sein, denn der EU eile es nicht wirklich. Ausserdem habe sie ja eine Reihe EU-interner Probleme zu bewältigen.

Der Schweiz verbleibe deshalb noch Handlungsspielraum in diesem Pokerspiel. Sowohl im Bereich Steuern, als auch beim EU-Rechtsbestand (Acquis communautaire), dem zweiten Gordischen Knoten in dieser Ausmarchung.

Im jüngsten Bericht verlangt die EU einmal mehr, die Schweiz müsse sich den Entwicklungen des EU-Rechtsbestands anpassen, wie es die Länder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), wie Norwegen und Island, auch täten.

Hier wolle die Schweiz nicht nachgeben, aus Gründen ihrer staatlichen Souveränität und Autonomie.

Die EU übe verschiedentlich Kritik an der Schweiz, schreibt das Integrationsbüro EVD/EDA, das die Schweizer Interessen gegenüber der EU vertritt.

Aus Schweizer Sicht funktionierten die bestehenden bilateralen Verträge insgesamt gut.

Die Schweiz habe konstruktive Lösungsvorschläge über bestimmte kantonale Steuer-Regime gemacht, die aber von mindestens einem EU-Mitglied verworfen worden seien.

Die schweizerischen flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit seien allesamt mit dem Freizügigkeits-Abkommen vereinbar.

Auch andere EU-Mitglieder hätten solche Massnahmen eingeführt.

Eine Lösung und künftige Abkommen CH-EU müsse die Souveränität beider Parteien und das gute Funktionieren ihrer Institutionen berücksichtigen. 

Der Bundesrat halte weiterhin am bilateralen Weg fest, um die notwendige Konvergenz der Interessen der Schweiz und der EU sicherzustellen.

1992: Der EWR-Vertrag wird abgelehnt.

1997: Die Stimmberechtigen lehnen den Vorschlag ab, dass Verhandlungen über einen EU-Beitritt Gegenstand einer nationalen Abstimmung sein müssen.

2000: Die ersten bilateralen Verträge werden in einer Volksabstimmung angenommen. Es geht um Handel, Arbeit und Transport.

2001: Der Vorschlag, sofort Beitritts-Verhandlungen zur EU aufzunehmen, wird abgelehnt.

2005: Die zweiten bilateralen Verträge (Asyl, Steuerausgleich, Schengen-Dublin) werden in einer Volksabstimmung angenommen. Die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf 10 weitere EU-Länder wird ebenfalls gutgeheissen.

2006: Die Stimmberechtigten sagen ja zu Zahlungen an die Länder der EU-Osterweiterung.

2009: Auch Zahlungen an die neuen EU-Länder Rumänien und Bulgarien werden angenommen.

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