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Fragen zu gesperrten Konten und Migration

Der libysche Staatschef Muammar Gaddafi und der ägyptische Ex-Präsident Hosni Mubarak haben auf Schweizer Konten rund 760 Mio. Franken. Keystone

Zu den eingefrorenen Vermögenswerten der gestürzten Regierungen Tunesiens und Ägyptens gebe es Fragen, sagt der Schweizer Spitzendiplomat Peter Maurer. Die Rückgabe der Gelder sei beim jüngsten Besuch in diesen Ländern das Hauptthema gewesen.

Die Schweiz hat 60 Mio. Franken des ehemaligen tunesischen Machthabers Zine el-Abidine Ben Ali und dessen Clans blockiert.

Im weiteren identifizierte sie rund 400 Mio. Franken des gestürzten Präsidenten Ägyptens, Hosni Mubarak, und dessen Familie sowie 360 Mio. Franken des libyschen Diktators Muammar Gaddafi und dessen Entourage.

«Wir haben uns im Finanz- und im Aussendepartement gefragt, wieso es so viel Geld ist», sagte Peter Maurer, der Staatssekretär im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), Anfang der Woche an einer Konferenz in Genf.

Auch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma untersuche zur Zeit, ob die Schweizer Banken die Geldwäscherei-Richtlinien genau befolgt hätten.

«Sobald die Nachprüfungen publiziert sind, wird es eine politische Diskussion geben», sagte der Staatssekretär.

Rückerstattung

Die Schweiz unterstützt zur Zeit die ägyptische und die tunesische Übergangsbehörde beim gegenseitigen Rechtshilfe-Verfahren, um die Rückgabe der Gelder zu sichern. Der Prozess sei jedoch extrem komplex und langwierig.

«Es war das Hauptthema, nicht etwa die Entwicklungshilfe oder das Wasser oder die Hilfe bei der neuen Verfassung oder bei den bevorstehenden Wahlen», so Maurer im Gespräch mit swissinfo.ch. «Die Frage lautete immer: ‹Wann werdet ihr uns die blockierten Gelder zurückerstatten?'»

Während ihres Besuchs Anfang Mai in Tunesien hatte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey gegenüber tunesischen Vertretern erklärt, die schnellste je erfolgte Rückerstattung eingefrorener Vermögenswerte durch die Schweizer Regierung habe vier Jahre gedauert.

Die Rückführung gestohlener Gelder ist eine der drei Säulen der Schweizer Aussenpolitik als Antwort auf den jüngsten politischen Umbruch in Nordafrika und im Nahen Osten.

An der Schweizer Botschafter-Konferenz von Anfang Monat in Tunis ging es zudem um Migrationsfragen und wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Kooperation

In einer ersten Tranche hat das EDA 12 Mio. Franken für Massnahmen in Nordafrika und im Nahen Osten für humanitäre Hilfe, Migration, strukturelle Reformen, wirtschaftliche Entwicklung und den Kampf gegen die Armut gesprochen.

Die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) hat in Tunis ein Verbindungsbüro mit drei Mitarbeitern eröffnet, welche diese Strategie umsetzen sollen.

Wie Maurer am Genfer Graduate Institute für Internationale Studien und Entwicklung sagte, muss aus dem so genannten arabischen Frühling eine wichtige Lehre gezogen werden: «Die politische Strategie der letzten Jahrzehnte mit einer einzigen Vision, nämlich die Stabilisierung zu sichern und wichtige politische Akteure zu stigmatisieren, ist nicht mehr praktikabel», so Maurer.

«Differenzierte und pluralistische Ansätze sind aussichtsreicher. Handeln zum Wohl der Bevölkerung und deren Sicherheit sowie Entwicklung sind entscheidend und werden in der Zukunft immer wichtiger.»

Die Schweiz ist nach Angaben des Staatssekretärs bereit, bei der Vorbereitung von Wahlen technische Hilfe zu leisten und Wahlbeobachter zu entsenden, um den Urnengang zu überwachen.

«Und wir sind bereit, positiv auf alle Anfragen für gute Dienste bei der Förderung von Dialog und Vertrauen unter allen Gruppen der Gesellschaft zu reagieren», fügte Maurer an.

Migrationsfragen

Während seines jüngsten Besuchs hatte der Schweizer Diplomat zusammen mit Alard du Bois-Reymond, dem Chef des Bundesamts für Migration, mit den tunesischen Behörden über Migration diskutiert. Es ging darum, einen besseren Überblick zu erhalten und die Bereiche der Zusammenarbeit bei Migrationsfragen festzulegen.

Vor dem Schweizer Besuch in Tunesien hatte Justizministerin Simonetta Sommaruga zu einem raschen Rücknahmeabkommen für Migranten aufgerufen. Sie forderte Tunesien zudem auf, den Kampf gegen illegale Schlepperbanden zu verbessern. Appelle zur Aufnahme grösserer Flüchtlings-Kontingente aus Nordafrika lehnte sie ab.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) waren in den ersten vier Monaten des Jahres etwa 27’000 Migranten aus Tunesien und Libyen in Italien und Malta eingetroffen.

Von Libyen nach Ägypten flohen im Vergleich 280’000 Menschen, über 400’000 flüchteten nach Tunesien und 65’000 nach Niger. In der Schweiz trafen zwischen Januar und März lediglich 251 tunesische Staatsbürger ein.

«Es ist wichtig, die Proportionen zu bewahren; die Zahlen sind sehr klar», sagte Maurer. «Ich bin gespannt, was die Schweiz tun will, um die hunderttausenden Flüchtlinge und Migranten zu unterstützen und den Flüchtlingsstrom zu bewältigen.»

Wegen der blutigen Niederschlagung der Protestbewegung hat die EU ihre Sanktionen gegen Syrien verschärft und neu auch Strafmassnahmen gegen Staatschef Bashar al-Assad verhängt.

Die Schweiz zieht gleich und setzt die Massnahmen ab Mittwoch, 25. Mai, um.

Für al-Assad und 22 weitere Angehörige seines Regimes gilt demnach ein Einreiseverbot in die Schweiz. Zudem werden ihre Konten gesperrt.

Assad war von einer vor zwei Wochen beschlossenen ersten Sanktionsrunde ausgenommen worden. Am Montag erweiterte die EU ihre Sanktionen auf ihn und Angehörige seines Regimes

Peter Maurer wurde 1956 in Thun geboren.

Studium: Geschichte, Politische Wissenschaft und internationales öffentliches Recht in Bern und Perugia (Italien).

1987 trat er in den Dienst des EDA ein, wo er verschiedene Funktionen inne hatte:

Von 1996 bis 2000 war Maurer erster Mitarbeiter des Chefs der damaligen Ständigen Beobachtermission der Schweiz bei der UNO in New York.

2000 wurde er zum Botschafter ernannt und war bis 2004 Chef der Politischen Abteilung IV der Politischen Direktion des EDA in Bern.

September 2004 bis Frühjahr 2010: Botschafter und Chef der Ständigen Mission der Schweiz bei der UNO in New York.

Seit März 2010: Staatssekretär im Aussenministerium.

(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

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