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François Hollande zeigt sich als Freund der Schweiz

Präsident François Hollande ist der Schweiz etwas besser gesinnt als sein Vorgänger. Keystone

Der französische Staatspräsident François Hollande wird am 15. und 16. April in der Schweiz auf Staatsbesuch weilen. Die bilateralen Treffen sind ein guter Gradmesser für das französisch-schweizerische Klima. Ein Rückblick auf über 30 Jahre Staatsbesuche… mit Hochs und Tiefs.

April 1983. François Mitterrand stattet der Schweiz einen Staatsbesuch ab. Der junge Journalist Daniel Miéville berichtet für das Journal de Genève und die Gazette de Lausanne. «Die Bedeutung dieses Besuchs, des ersten auf dieser Ebene seit 1919, wird unterstrichen durch das Ausmass des Trosses, der dem Präsident bei dessen Fahrten folgt», schreibt er damals.

«Vier Minister, und darunter nicht die Unwichtigsten (Jacques Delors, Édith Cresson, Claude Cheysson und Charles Hernu; N.d.R.), zahlreiche Berater und rund 50 Journalisten – eine Anzahl, die unsere französischen Berufskollegen für bedeutend halten», schreibt er weiter in seinem Artikel.

33 Jahre später erinnert sich Miéville an den starken Einfluss dieses Besuchs. «In der Schweiz waren wir uns solche grossen diplomatischen Inszenierungen kaum gewohnt. Die Neutralität wurde noch sehr strikt gelebt.» Die Aufnahme der Kommunisten in Mitterrands sozialistischer Regierung zwei Jahre zuvor hatte in der Schweiz für eine gewisse Beunruhigung gesorgt, besonders in konservativen Kreisen.

«Bankensystem seiner Wahl»

Doch Mitterrand kommt nicht als Aktivist, sondern als warmer und beruhigender Freund. Statt die Schweiz zu schelten, wo tausende französische Steuerbetrüger ihr Geld versteckten, beruhigt der französische Präsident das Spiel. «Ich stelle in dieser Sache nie die Schweizer in Frage, sondern die Franzosen, die ihrer Aufgabe gegenüber dem Land nicht nachkommen, indem sie sich solchen Praktiken hingeben (…). Die Schweiz hat das Bankensystem seiner Wahl.» Zwei Kommentare, die heute fast surreal erscheinen mögen.

Fünf Jahre Streit

April 2009: Um der Krise entgegenzuhalten, greifen die G20-Staaten, die sich in London versammelt haben, die Steuerparadiese an. Die Schweiz wird auf eine «graue Liste» der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gesetzt. Nach der Unterzeichnung von 12 Steuer-Abkommen mit Informationsaustausch auf Anfrage kommt sie auf eine weisse Liste.

August 2009: Die französische Finanzministerin Christine Lagarde und ihr Schweizer Amtskollege Hans-Rudolf Merz unterschreiben ein neues Doppelbesteuerungs-Abkommen. Dieses tritt am 1. Januar 2010 in Kraft.

August 2012: Ein neues Erbschafts-Abkommen wird in beiden Ländern paraphiert. Erben mit Wohnsitz in Frankreich, die Vermögen aus Schweiz erben, werden durch den französischen Fiskus besteuert. Das Gesetz erregt in der Schweiz grosse Opposition, besonders von rechter Seite.

Juni 2014: Der Nationalrat weist das neue französisch-schweizerische Erbschafts-Abkommen zurück. Es hätte jenes ersetzen sollen, das seit 1953 in Kraft ist. Frankreich kündigt in der Folge dieses Abkommen auf den 1. Januar 2015 auf. Der Bundesrat nimmt diese erwartete Entscheidung «mit Bedauern zur Kenntnis».

Juli 2014: Frankreich informiert die Schweiz, dass es am gemeinsamen, auf französischem Boden liegenden Flughafen Basel-Mulhouse die Geschäfte im Schweizer Sektor, bisher von der Schweiz besteuert, einseitig nach französischem Recht besteuern will. Es gefährdet damit direkt den binationalen Status des Flughafens.

Oktober 2014: Treffen zwischen François Hollande und Bundespräsident Didier Burkhalter in Paris. Hollande kündigt seinen nächsten Staatsbesuch in der Schweiz an.

«Mitterrand verstand sich sofort mit Pierre Aubert», dem damaligen Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten und Bundespräsidenten, erinnert sich Miéville. Mitterrand wird im Juli 1985 sogar die Familie Aubert in ihrem Haus in Auvernier (Kanton Neuenburg) besuchen.

Ein gutes Verständnis unter Sozialisten? Oder Wohlwollen des «republikanischen Monarchs» gegenüber einem Mann ohne Überheblichkeit, der wie er dem «provinziellen» Bürgertum entstammte? «Ohne Zweifel etwas von beidem.»

«Ich glaube, Mitterrand hatte eine echte Neugier für die Schweiz», ergänzt Miéville. Er wird sieben Mal in die Schweiz zurückkehren. Er drängt die Schweiz dazu, der Europäischen Union beizutreten. Und er wird 1993 der Landesregierung nach dem Nein des Schweizer Stimmvolks zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) die Moral stärken.

Schlechter Start unter Chirac

Diese starke Verbindung bleibt während der Präsidentschaft von Jacques Chirac bestehen – wenn auch mit Ach und Krach. Der Gaullist zeigt nicht das gleiche Interesse für die Schweiz. Der Anfang verläuft übrigens eher schlecht: An einer Pressekonferenz in Genf auf die Anstrengungen von Bundesrat Flavio Cotti in Bosnien angesprochen, fragt Chirac seinen Berater lautstark: «Wer ist dieser Flavio Cotti?»

Als Chirac endlich eine Einladung des Bundesrats – und von Flavio Cotti – annimmt, reduziert er die Dauer des Besuchs im Oktober 1998 auf knapp zwei Tage. «Trotzdem ist es der gleiche Jacques Chirac, der die Idee eines jährlichen Besuchs des Schweizer Bundespräsidenten akzeptiert», sagt François Nordmann, Schweizer Botschafter in Frankreich von 2004 bis 2007. Chirac schätzt besonders Jean-Pascal Delamuraz und Pascal Couchepin, die ihn ebenfalls mögen.

Schwierige Ära Sarkozy

Die gegenseitige Freundschaft kühlt sich während der Ära Sarkozy deutlich ab. «Nicolas Sarkozy hatte nichts übrig für kleine Länder», sagt Nordmann. «Bis zu seiner Scheidung hatte er aber keine besondere Feindseligkeit gegenüber der Schweiz. Doch Enthüllungen über sein Privatleben durch die Schweizer Presse haben ihn verletzt und sein Urteil über die Schweiz gefärbt.» Die Tradition der jährlichen Treffen verschwindet in der Schublade. Erstmals erscheint die Steuerfrage auf dem diplomatischen Parkett.

Es dauert gemäss Nordmann bis zum Dezember 2012 und dem Treffen zwischen Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf und Präsident François Hollande, bis die französisch-schweizerische Freundschaft ihren «Kompass» wieder findet.

«Dieses Treffen markiert einen echten Wendepunkt in der jüngsten Geschichte der französisch-schweizerischen Beziehungen», schrieb der Diplomat in der Zeitung Le Temps. «Das Treffen profitierte von mehreren Protokolländerungen. Es handelte sich um eine echte Verhandlungsrunde, in deren Verlauf man erstmals auf dieser Ebene den Boden der bilateralen Probleme ansprechen konnte, gefolgt von einer gemeinsamen Pressekonferenz.» Das gab es unter Sarkozy nie.

(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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