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Grosser Support für direkte Medienfinanzierung in der Schweiz

Transparent mit dem Schriftzug Hauptstadt.be
Hauptstadt.be: In der Stadt Bern haben Journalist:innen kürzlich ein neues Online-Medium aus der Taufe gehoben. Die crowd-finanzierte Plattform ist eine Ergänzung der beiden Zeitungstitel "Der Bund" und "Berner Zeitung", die beide Tamedia gehören und von einer Zentralredaktion gemacht werden. Sagen die Schweizer Stimmberechtigten im nächsten Jahr Ja zum neuen Medienförderungsgesetz, kann auch die Hauptstadt auf Direktzahlungen vom hoffen. Keystone / Anthony Anex

Das Corona-Virus hat die bereits angeschlagenen Medien auch in der Schweiz weiter geschwächt. Medienministerin Simonetta Sommaruga und das Parlament wollen die Medien stärker fördern und neu auch direkt finanzieren. Die Zustimmung dazu ist in Europa nirgends grösser als in der Schweiz. Das überrascht selbst Fachleute.

Die Schweizer Medienlandschaft: Einst durch Vielfalt und Reichtum geprägt, dann unablässig geschrumpft, dann von den internationalen Digitalriesen kommerziell überrundet und jetzt von Corona hart geschüttelt. Aus dem vielfältigen Biotop von einst ist heute ein Sorgenkind der Schweizer Demokratie geworden.

Um die durch stetige Konzentration geprägte Schweizer Medienlandschaft gegen weitere Risiken gewissermassen zu impfen, hat Medienministerin Simonetta Sommaruga bei Regierung und Parlament eine neue staatliche Medienförderung angestossen.

Das Parlament hat im Sommer ein entsprechendes Gesetz beschlossen. Das Schweizer Stimmvolk wird wohl am 13. Februar 2022 darüber abstimmen.

Neu daran ist der Umfang des Plans. Statt wie bisher mit 30 Millionen Franken jährlich soll der Staat Schweizer Medien neu mit 120 Millionen Franken unter die Arme greifen. Und das sieben Jahre lang.

Geändert hat sich aber auch das Vorgehen. Bisher hat der Staat lediglich die Portokosten für die Zeitungen übernommen, also indirekte Hilfe geleistet. Neu finanziert er – gemäss Vorschlag –auch Inhalte. Dies über Direktzahlungen an private, kommerzielle Online-Medien. Das allein soll jährlich 30 Millionen kosten.

Widerstand

Doch dagegen hat sich Widerstand formiert. Einerseits von bürgerlich-liberalen Vertreter:innen aus Politik und Wirtschaft, andererseits von der ausserparlamentarischen Gruppe «Freunde der Verfassung», welche die Covid-Gesetze und -Massnahmen bekämpfen.

Erstere befürchten eine Zementierung der Medienkonzentration, da der Honigtopf in erster Linie den wenigen dominierenden Verlagshäusern zugutekäme. Letztere sehen die Meinungsfreiheit in der Schweiz in Gefahr. Sie sprechen von Staatsmedien.

Sie ergriffen das Referendum. Die Unterschriften sind beisammen, aber noch nicht beglaubigt – eine Formsache.

Europäische Spitzenreiter

Auffällig zum jetzigen Zeitpunkt: In der Schweiz steht die Bevölkerung der direkten staatlichen Medienförderung so positiv gegenüber wie in keinem anderen Land Europas. 37% der Befragten sind hier dafür, dass die Regierung kommerzielle private Informationsmedien finanziell unterstützen soll, die selber nicht mehr genügend Geld verdienen. Dies zeigt das «Jahrbuch Qualität der Medien 2021»Externer Link, das Wissenschaftler:innen des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (fög) soeben publizierten.

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Dahinter folgen Irland mit 32% und Italien sowie Österreich mit 31%. Die nordischen Länder Norwegen, Schweden und Dänemark weisen eine Zustimmung von 27%, 22% und 16% auf. Schlusslicht der Referenzländer ist Grossbritannien mit einem Rückhalt im Volk von lediglich 11%. Beim europäischen Vergleich stützten sich die fög-Autor:innen auf eine Studie des Reuters Institute von Anfang 2021.

Grosses Medienvertrauen 

«Das Resultat hat uns in dieser Form überrascht», sagt Linards Udris, stellvertretender Forschungsleiter am fög. Ausschlaggebend für den relativ hohen Rückhalt in der Schweiz sei ein höheres Vertrauen in die hiesigen Medien. Auch könnten die öffentlichen Debatten über die SRG-Gebühren, insbesondere zur Abstimmung über die No-Billag-Initiative 2018, einen grossen Teil der Bevölkerung für das Thema sensibilisiert haben, so Udris. «Aber mit 37% gibt es auch einen grossen Teil der Befragten, die in der Frage unsicher und noch unentschieden sind.»

Ein wichtiger Grund für den Spitzenplatz der Schweiz ist für Udris auch das Bewusstsein für die Bedeutung der Medien in der direkten Demokratie, in der die Stimmberechtigten regelmässig informierte Entscheide über Sachfragen fällen müssen.

Das Bewusstsein äussere sich dadurch, dass vor den Abstimmungen traditionelle Kanäle wie Schweizer Radio und Fernsehen, Zeitungen und Online-Plattformen sehr stark genutzt würden. Dies gelte auch für das «Bundesbüchlein», die offizielle Abstimmungsbroschüre der Bundeskanzlei, die an jeden Schweizer Haushalt geht. «Die Schweizerinnen und Schweizer wissen, dass das zuverlässige Quellen sind, wo sie sich informieren können», sagt der Medienforscher.

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Beunruhigende Fake News

Der Rückgriff auf traditionelle Medien habe sich auch in der Verunsicherung der Corona-Pandemie gezeigt. «Gerade wenn es hart auf hart geht, wollen sich die Menschen auf klassischen Medien informieren,» so Udris weiter. Denn 50% der von den fög-Forscher:innen Befragten in der Schweiz hielten Desinformation mit Fake News etc. in Zeiten von Krisen für ein Problem, weniger aber bei Abstimmungen und Wahlen.

Die Autor:innen schlagen die Schaffung unabhängiger Organisationen oder Webseiten zum Fact-Checking vor, die Falschinformationen identifizieren und richtigstellen sollen. Unter den wenigen Schweizer Medien, die bereits Faktenchecks anbieten, wird im Bericht auch swissinfo.ch erwähnt.

Erfreuliche Premiere

Für den Jahresbericht 2021 haben die fög-Forscher:innen erstmals auch SWI swissinfo.ch auf seine Qualität untersucht. Das Ergebnis: Von allen Online-Angeboten der SRG-«Familie» erhielt swissinfo.ch das höchste Qualitäts-Ranking, verantwortlich dafür war der Faktor Relevanz.

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