Treffen mit dem Top-Unterhändler der Schweiz
Wie ist es, im Zeitalter von Donald Trump und Brexit Top-Unterhändler zu sein? Das wollte swissinfo.ch vom Schweizer Diplomaten Henri Gétaz, dem neuen Generalsekretär der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), wissen.
Henri Gétaz begrüsst uns höflich in seinem grossen, mit vielen Blumen geschmückten Büro in Genf. Er trägt einen Anzug und wählt seine Worte sorgfältig – wie ein Diplomat eben. Sein Lächeln ist warm und am Sinn für Humor fehlt es dem 54-Jährigen nicht. Auf die Frage, wie er seine Arbeit beschreiben würde, sagt er: «Ein früherer Schweizer Staatssekretär hat sich selbst mal als Diplokrat beschrieben. Das trifft es wohl nicht schlecht: Ein Technokrat der Diplomatie.»
Gétaz ist der Mann, der in der Schweizer Botschaft in Washington bei den Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der Schweizer Grossbank UBS und den US-Steuerbehörden mitgewirkt hat. Später leitete er die Direktion für europäische Angelegenheiten im Schweizer Aussendepartement (EDA). Während seiner acht Jahre als «Mr. Europa» der Schweiz, führte er wichtige Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU).
Gétaz sagt, er freue sich «auf diese neue Chance und Herausforderung» bei der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTAExterner Link). Noch lebt er sich ein, doch erwartet er nicht, dass das lange dauern wird, denn Gétaz ist hier kein Fremder: Im Alter von 26 Jahren arbeitete er bereits für die EFTA – als Praktikant.
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Henri Gétaz über seine ersten Erfahrungen bei der EFTA
Die EFTA wurde 1960 als Gegengewicht zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der späteren EU, ins Leben gerufen. Unter den sieben Gründungsmitgliedern befand sich auch die Schweiz. Fünf Staaten, darunter Grossbritannien, traten später der EU bei, so dass die EFTA heute aus vier kleinen Ländern besteht: Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz. Ist diese internationale Organisation in der heutigen Welt überhaupt noch von Bedeutung?
«Ja, die EFTA ist sehr relevant, sowohl für ihre Mitglieder, als auch für andere», antwortet Gétaz. «Mit Blick auf Waren sind wir der neuntgrösste Handelsblock der Welt, mit Blick auf Dienstleistungen der fünftgrösste. Wir sind also ein bedeutender Partner für andere. Ich denke, das ist einer der Gründe, warum es der EFTA in den letzten Jahrzehnten gelungen ist, ihr Netz von Freihandelsabkommen weltweit zu erweitern.»
Ausser der Schweiz haben alle EFTA-Staaten das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ratifiziert, das die Beziehungen zur EU regelt. Der EWR-Beitritt der Schweiz wurde 1992 in einer Volksabstimmung abgelehnt. Seither hat die Schweiz mit der EU eine Reihe von bilateralen sektoriellen Abkommen ausgehandelt. Vor seinem Wechsel zur EFTA anfangs September, führte Gétaz die harzigen Verhandlungen der Schweiz mit Brüssel über ein Rahmenabkommen, das alle bilateralen Abkommen ersetzen soll. Wie ist es, mit der EU zu verhandeln?
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Henri Gétaz über Verhandlungsführung
Auf die Frage, ob sich die Schweiz und die EU bis Ende Jahr auf ein Rahmenabkommen werden einigen können, sagt Gétaz: «Es besteht der Wille beider Seiten, irgendwann zu einem Ergebnis zu kommen», aber «ich weiss nicht, wann das geschehen wird».
Auf sein jetziges Amt zurückkommend, sagt er, dass «die Europäische Freihandelsassoziation, wie ihr Name schon sagt, in erster Linie für Werte in den internationalen Handelsbeziehungen steht», wie Rechtsstaatlichkeit und das Prinzip der freien Märkte. Aber ist der Freihandel nicht gefährdet, zum Beispiel durch die Handelszölle von US-Präsident Donald Trump und den Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union?
Die heutige Zeit sei wohl schon eine Herausforderung für diese Art von Werten, antwortet Gétaz. Sie zeige aber auch, «wie wichtig und relevant diese Werte sind und macht unsere Arbeit und die Arbeit der EFTA-Länder noch wichtiger».
«Kultur des Dialogs»
Es sei wichtig, mit «Regierungen und Partnern» zu sprechen, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden. «Wir führen einen ständigen Dialog mit den USA», sagt Gétaz. «Der Dialog ist Teil unserer Kultur.»
Was den Brexit betrifft, sagt er: Grossbritannien habe für den EU-Austritt gestimmt und müsse die Umsetzung dieses Austritts nun in die eigenen Hände nehmen. Gétaz hält es für unwahrscheinlich, dass Grossbritannien nach dem Brexit wieder in die EFTA eintreten will, sagt aber, wenn dies der Fall wäre, würde der Antrag geprüft. So oder so seien die Handelsbeziehungen zwischen der EFTA und Grossbritannien von Bedeutung. Die EFTA sei seit Monaten in Kontakt mit Grossbritannien, um die guten Beziehungen auch nach dem Austritt sicherzustellen.
Auf die Frage nach der bisher grössten Herausforderung in seiner Karriere antwortet Gétaz, das meiste habe er mit Vergnügen gemacht, weil er Herausforderungen möge:
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Henri Gétaz über Herausforderungen
Dennoch sei es wichtig, sich auch Zeit für Freizeit und Familie zu nehmen, auch wenn seine 17- und 20-jährigen Töchter «auf dem Weg zum eigenen Leben» seien.
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Henri Gétaz über seine Freizeit
Auch wenn die kommenden Zeiten herausfordernd sind, scheint es, dass der neue Generalsekretär der EFTA weiss, wie man in stürmischen Meeren segelt.
(Übertragung aus dem Englischen: Kathrin Ammann)
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