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Terror-Prävention auf Kosten der Grundrechte?

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Das neue Gesetz sieht die Möglichkeit vor, "potenzielle Terroristen" unter Hausarrest zu stellen. (Symbolbild) © Marcel Bieri

Der Bundesrat will neue Instrumente zur Terrorismusprävention. Ein neues Gesetz soll helfen, Verdächtige zu überwachen und ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken. Massnahmen, die zu einer ganzen Reihe von Missbräuchen führen könnten, kritisieren Menschenrechts-Organisationen.

Die Schweizer Regierung will die Prävention von Terroranschlägen verbessern. Sie will der Polizei neue Instrumente in die HandExterner Link geben, damit diese «das Phänomen der Radikalisierung in all seiner Komplexität bewältigen» und die Bevölkerung besser schützen kann.

Ziel ist, bereits auf erste Anzeichen einer Radikalisierung zu reagieren. Dazu hat der Bundesrat ein GesetzExterner Link erarbeitet, das eine ganze Reihe von polizeilichen Massnahmen vorsieht, die ausserhalb von Strafverfahren anwendbar sind. So könnte etwa die Bundespolizei (Fedpol)

  • verlangen, dass sich eine Person regelmässig bei einem Büro meldet,
  • jemandem den Kontakt zu bestimmten Personen verbieten,
  • jemanden verpflichten, sich innerhalb eines definierten Bereichs aufzuhalten,
  • jemandem das Verlassen der Schweiz verbieten,
  • oder jemanden unter Hausarrest stellen.

Die Polizei könnte auch die elektronische Fussfessel und die Ortung per Mobiltelefon nutzen.

«Unverhältnismässig und restriktiv»

Dieses Arsenal an Präventivmassnahmen stösst bei Menschenrechts-OrganisationenExterner Link auf grösste Bedenken. «Diese Massnahmen erscheinen uns unverhältnismässig, weil sie sehr restriktiv sind und auf blossem Verdacht beruhen», sagt Alain Bovard, Sprecher der Schweizer Sektion von Amnesty International. «Darüber hinaus könnten sie auch auf Minderjährige angewendet werden, was im Widerspruch zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes steht», befürchtet Bovard.

Das Gesetz sieht tatsächlich vor, dass ein Kontaktverbot und ein Rayonzwang bei Verdächtigen ab 12 Jahren, ein Hausarrest ab 15 Jahren Jahren verhängt werden könnte. Dies könne zur Stigmatisierung oder gar Kriminalisierung junger Menschen führen, ohne dass sie sich einer Straftat schuldig gemacht hätten, geben NGO zu bedenken.

Der Bundesrat anerkennt, dass sein Vorhaben «von teilweise erheblichen Einschränkungen der durch die Verfassung, aber auch durch das Völkerrecht garantierten Grund- und Menschenrechte» begleitet werde. «Daher wird den Grundsätzen der Verhältnismässigkeit und Rechtmässigkeit besondere Aufmerksamkeit geschenkt», schreibt er.

Keine Liste der terroristischen Organisationen

Der Bundesrat will im Rahmen der Umsetzung der Europarats-Konvention zur Terror-Verhütung auch bestimmte Gesetze anpassen. Hier sieht er insbesondere davon ab, eine Liste von Organisationen zu erstellen, die aufgrund folgender einfacher Definition als terroristisch einzustufen wären: «Sie verfolgen den Zweck, kriminelle Gewalttaten zu begehen, welche die Bevölkerung einschüchtern oder einen Staat oder eine internationale Organisation zwingen sollen, irgendeine Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen.»

Das sei zu vage, sagt Bovard: «Der Bundesrat will bestimmte Tätigkeiten verbieten, ohne jedoch anzugeben, welche.» Damit bleibe den kantonalen Richtern viel Ermessensspielraum: «Eine Organisation könnte daher in einem Kanton als Terroristin anerkannt werden und in einem anderen nicht.»

Risiko für humanitäre Akteure

Der neue Entwurf sieht zudem die Bestrafung von Personen vor, die sich an terroristischen Organisationen beteiligen. Aber auch von Personen, die diese unterstützen. Es ist eine Bestimmung, die humanitäre Akteure vor Ort bestrafen könnte.

«Das Verbot von Aktivitäten zur Unterstützung von als terroristisch eingestuften Organisationen könnte zur Kriminalisierung der üblichen Aktivitäten unparteiischer humanitärer Organisationen und ihres Personals führen», schreibt das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in seinem Positionspapier aus der Vernehmlassung.

Die Informationsplattform Humanrights.ch fordert das Parlament auf, den Entwurf zur Korrektur an die Regierung zurückzusenden. Sollte dies abgelehnt werden, fordert sie die neu gewählten Volksvertreter auf, zumindest die restriktivsten Bestimmungen – jene zum Hausarrest und den Minderjährigen – auszuschliessen. «Diese Gesetzesänderungen können zu einer ganzen Reihe von Missbräuchen führen, da die Konzepte vage sind und zu viel Spielraum für Interpretationen lassen. Ausserdem bleiben wir im Bereich des Verdachts», sagt Bovard von Amnesty International zusammenfassend.

Der Aufruf der NGO ist offenbar noch nicht im Parlament angekommen. Der Ständerat befasst sich mit dem Geschäft am Montag. Seine Kommission schlägt im Gegenteil vor, die Vorschläge noch zu verschärfen.

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