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Ist die Schweiz zu klein für die Hochgeschwindigkeit?

Mit 200km/h durchs Mittelland: Mattstetten-Rothrist ist die einzig echte Hochgeschgeschwindigkeits-Bahnstrecke der Schweiz. Ex-press

In der Vorlage zu Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI), über die am 9. Februar abgestimmt wird, geht es in erster Linie um Kapazitätserweiterung, nicht aber um Hochgeschwindigkeit. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern ist die Hochgeschwindigkeit in der Schweiz nicht prioritär. Doch gemäss Professor Daniel Mange ist der HG-Zug noch nicht ganz abgefahren.

Kapazität vor Geschwindigkeit: Das Projekt zu Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI) stellt eindeutig einen Paradigmenwechsel gegenüber der Vergangenheit dar.

«Alle bisherigen Bahnausbauprojekte konzentrierten sich im Prinzip auf einen Fahrzeitgewinn. In den Ausbauschritten bis 2025 spielt dieser Aspekt aber praktisch keine Rolle», betonte Peter Füglistaler, Direktor des Bundesamtes für Verkehr (BAV), vor kurzem in einem Artikel der Zeitschrift La vie économique.

Unter den zahlreichen Ausbauprojekten, die aus dem neuen 6,4 Mrd. Franken schweren Fonds finanziert werden sollen, gibt es nur ein einziges, das eine Reduzierung der Fahrzeit beinhaltet. Konkret geht es um die Strecke zwischen Bern und Lausanne.

Für Daniel Mange, Honorarprofessor an der ETH Lausanne und Mitglied der Interessengemeinschaft Öffentlicher Verkehr, stellt FABI gleichwohl keinen Todesstoss für die Hochgeschwindigkeit (HG) in der Schweiz dar. Denn gemäss Mange, der den Sammelband «Plan Rail 2050 – Plaidoyer pour la vitesse» (Le Savoir suisse, 2010) herausgegeben hat, beinhaltet FABI immerhin «die Grundlagen, um ein Hochgeschwindigkeitsnetz in Zukunft bauen zu können.»

swissinfo.ch: Im Gegensatz zu Frankreich, Deutschland und Italien hat sich in der Schweiz die Hochgeschwindigkeit bei der Bahn nicht durchgesetzt. Ein Projekt aus den 1970er Jahren wurde zurückgezogen. Warum?

Daniele Mange: Dieses Projekt sah vor, eine Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Genf und St. Gallen sowie einen Seitenast zwischen Basel und Olten zu realisieren. Es bestand die Idee, die grossen Schweizer Metropolen mit diesen Achsen zu verbinden. Doch peripher gelegene Kantone opponierten, weil sie sich ausgeschlossen fühlten. Und so wurde das Projekt ad acta gelegt.

10 Jahre später, im Jahr 1987, verwirklichte man mit dem Projekt Bahn 2000 eine 45 Kilometer lange Neubaustrecke zwischen Mattstetten und Rothrist, auf der Züge mit 200 km/h fahren können. Das ist schon eine sehr hohe Geschwindigkeit. Zudem sind alle Tunnels der Neuen Alpentransversalen (Lötschberg, Gotthard, Ceneri) für Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 250 km/h konzipiert. Die Behauptung, dass Hochgeschwindigkeit bisher überhaupt keine Rolle spielt, ist also nicht ganz korrekt.

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swissinfo.ch: Doch die FABI-Vorlage setzt den Schwerpunkt eindeutig auf den Kapazitätsausbau. Ist die Hochgeschwindigkeit begraben?

D.M.: Sicher nicht. Das Projekt der Regierung hat drei Prioritätsstufen. Zuerst soll der Taktfahrplan verbessert werden, mit Fahrzeiten zwischen den Zentren von maximal einer Stunde. Dann sollen die Frequenzen erhöht werden, mit einem 15-Minuten-Takt. Das bringt eine Erhöhung der Kapazität. Schliesslich soll in einer dritten Stufe auch die Geschwindigkeit erhöht und damit die Fahrzeit verringert werden. Wir sprechen hier vom Jahr 2040.

Unter den Projekten im ersten FABI-Ausbauschritt, der bis 2025 verwirklicht sein sollte, befinden sich wichtige Vorhaben aus dem Raum Zürich und Luzern. Beispielsweise der zweite Zimmerbergtunnel zwischen Thalwil und Zug, oder der Axentunnel, der Arth-Goldau mit dem Nordportal des neuen Gotthard-Basistunnels verbinden soll.

Diese neuen Verbindungen müssen schon sämtliche Normen für Hochgeschwindigkeitsstrecken erfüllen. Und dadurch bleibt die Möglichkeit erhalten, in Zukunft ein echtes HG-Netz in der Schweiz verwirklichen zu können.

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swissinfo.ch: Über diesen Aspekt wurde im Abstimmungskampf zur FABI-Vorlage kaum gesprochen. Wie erklärt sich das?

D.M.: Die Situation ist tatsächlich ein wenig schizophren. Beim Bau der neuen Bahnlinien werden die bautechnischen Voraussetzungen für Hochgeschwindigkeit berücksichtigt. Gleichzeitigt sagt man, dass keine HG-Verbindungen vorgesehen sind.

Im Moment steht die Bahn-Hochgeschwindigkeit generell etwas im Gegenwind. Denn es wird behauptet, dass man langsamer fahren müsste, weil ansonsten zu viel Energie verbraucht werde. Niemand fordert, dass Flugzeuge langsamer fliegen sollten. Bei den Zügen hingegen will man auf die Bremse stehen. Doch so wird der Bahnverkehr eines enormen Entwicklungspotentials beraubt.

 

Die Schweizerinnen und Schweizer sind Weltmeister im Bahnfahren, zumindest in Bezug auf die gefahrenen Bahnkilometer pro Jahr. Im Jahr 2012 legte jeder Einwohner der Schweiz im Durchschnitt 2274 Kilometer mit der Bahn zurück.

Diese Zahl wurde vom Internationalen Eisenbahnverband (UIC) ermittelt und vom Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr (LITRA) publiziert.

Nach der Schweiz folgen die Einwohner von Japan (1912 km), Dänemark (1365), Frankreich (1301) und Österreich (1233).

Die Schweizer sind durchschnittlich 51 Mal pro Jahr mit der Eisenbahn unterwegs. Damit stehen sie in Europa an erster Stelle, gefolgt von den Einwohnern in Luxemburg (40), Dänemark (37), Österreich (27) und Grossbritannien (25).

Im weltweiten Vergleich kann hier einzig Japan die Schweiz überholen. Im Land der aufgehenden Sonne wird 69 Mal pro Einwohner und Jahr gefahren.

Quelle: Litra

swissinfo.ch: Ist Hochgeschwindigkeit in der Schweiz angesichts der Siedlungsdichte und der relativ kurzen Distanzen zwischen den grossen Städten überhaupt sinnvoll?

D.M.: Die Entfernungen sind gar nicht so gering: Zwischen Lausanne und Genf zirka 60 Kilometer, zwischen Lausanne und Bern 100km, zwischen Bern und Zürich 120km. In Deutschland gibt es viele mittelgrosse Städte und die ICE-Züge halten alle 60 Kilometer.

Moderne Züge können schnell abbremsen und schnell beschleunigen. Die Maximalgeschwindigkeit lässt sich in Kürze erreichen. Die Behauptung, dass Hochgeschwindigkeitszüge in der Schweiz sinnlos wären, weil sie abbremsen müssten, sobald die Höchstgeschwindigkeit erreicht sei, ist vollkommen falsch.

swissinfo.ch: Doch wären die Investitionen für ein HG-Netz nicht unverhältnismässig hoch?

D.M.: Es ist teurer, eine bestehende Linie zu verdoppeln oder um ein weiteres Gleis zu erweitern, als eine neue Verbindung zu bauen. Das haben wir am Beispiel der Strecke Lausanne-Genf aufgezeigt. Das Bundesamt für Verkehr kommt in einer Studie zum Schluss, dass der Bau eines dritten Gleises zwischen Renens und Allaman auf einer Strecke von 17 Kilometern 1,9 Milliarden Franken Kosten würde. Das macht umgerechnet 100 Millionen Franken pro Kilometer.

Wir sind in einer Studie zum Schluss gekommen, dass eine Neubaustrecke, die zu 60 Prozent in Tunnels verlaufen würde, 70 bis 80 Millionen Franken pro Kilometer kosten würde.

Für den Abschnitt Aarau- Zürich gibt es ein offizielles Projekt der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) und des Bundesamts für Verkehr (BAV), wonach ein Teil der bestehenden Strecke erneuert und mit neuen Tunnels erweitert würde. Das wäre sehr teuer. Eine Expertengruppe namens «Bahn 2000 Plus» bevorzugt hingegen eine komplette Neubaustrecke, die Olten und Aarau umfahren würde. Die Fahrzeit zwischen Zürich und Bern liesse sich so halbieren – von einer ganzen auf eine halbe Stunde.

Diese Neubaustrecke würde auch weniger kosten als die Erneuerung der bestehenden Strecke, weil sich die kostspieligen Anpassungen der Durchfahrten durch die Städte sowie eine Renovation der Bahnhöfe vermeiden liessen. Die Debatten über solche Projekte, die nach 2025 in Betracht gezogen werden, werden jedoch erst nach der FABI-Abstimmung vom 9.Februar stattfinden.

swissinfo.ch: Besteht nicht die Gefahr, dass neue Hochgeschwindigkeitsstrecken zu Lasten des Regionalverkehrs gehen?

D.M.: Diese Gefahr sehe ich nicht. Im Gegensatz zu Frankreich oder Italien kämen bei uns die HG-Strecken – eine auf der Ost-West-Achse und eine auf der Nord-Süd-Achse – zum bestehenden Netz hinzu. Würden wir beispielsweise eine HG-Verbindung zwischen Lausanne und Genf bauen, könnten Kapazitäten auf der alten Strecke für den Regional- und Güterverkehr geschaffen werden.

Eine Fahrzeit von einer Stunde von Zürich nach Lausanne oder von Zürich nach Lugano wäre eine echte Revolution für unser Land. Die Sprachregionen rückten so wirklich nahe zueinander.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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