Jean Ziegler ist zurück im Menschenrechtsrat
Der Schweizer Soziologe ist am Donnerstag ins Konsultativkomitee des Menschenrechtsrats gewählt worden, trotz einer feindlichen Kampagne gegen ihn. Der für seine scharfe Polemik bekannte Jean Ziegler wird aber auch für seine Verdienste zugunsten der Genfer UNO-Institution anerkannt.
Für den in der ganzen Welt bekannten 79-jährigen Schweizer dürfte die Wahl eine Genugtuung sein. Die 47 Mitgliedstaaten haben ihn mit 33 Stimmen (12 Gegenstimmen, 2 ungültige) als Experten ins Konsultativkomitee des Menschenrechtsrats der UNO gewählt.
Diese «Groupe de réflexion» arbeitet ohne Entscheidungsbefugnisse unter der Leitung des Menschenrechtsrats. «Das Komitee kann nicht eigenmächtig handeln, es ist dem Menschenrechtsrat unterstellt. Die Mitglieder sind besondere Berichterstatter (vom Menschenrechtsrat beauftragte Experten, N.d.R.), welche die Alarmglocke läuten und die neuen Themen auf den Tisch legen», betont der Genfer Fachberater Yves Lador, einer der Kenner der internationalen Organisationen in Genf.
Die Wahl Jean Zieglers ist in erster Linie eine Niederlage für Spanien, das den Juristen Fernando Mariño Menendez für den Posten vorgeschlagen hatte. «Die Schweiz hat sich im Menschenrechtsrat durch ihre zahlreichen Initiativen für die Menschenrechte sehr profiliert. Spanien deutlich weniger», meint Adrien Claude Zoller, UNO-Experte für Menschenrechtsfragen.
Dem Menschenrechtsrat gehören 47 Mitgliedstaaten an. Sie werden für jeweils 3 Jahre gewählt. Die Sitze werden auf die Länder aus 5 regionalen Gruppen verteilt.
Afrika-Gruppe: Angola, Benin, Botswana, Burkina Faso, Kongo, Elfenbeinküste, Gabun, Kenia, Libyen, Mauretanien, Sierra Leone, Uganda
Asien-Gruppe: Indien, Indonesien, Japan, Kasachstan, Kuwait, Malaysia, Malediven, Philippinen, Katar, Südkorea, Thailand, Vereinigte Arabische Emirate
Lateinamerika-Gruppe: Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Ecuador, Guatemala, Peru, Venezuela
Westeuropa-Gruppe und USA: Deutschland, Österreich, Irland, Italien, Spanien, Schweiz, USA
Osteuropa-Gruppe: Tschechien, Estland, Montenegro, Polen, Moldawien, Rumänien
Eine kontraproduktive Kampagne
Die Rückkehr Zieglers im Konsultativkomitee (dessen Mitglied er bereits von 2008 bis 2012) war, ist auch eine Missbilligung für all jene, die seine Kandidatur in der Schweiz und anderswo bekämpft hatten.
An vorderster Front im Lager von Zieglers Gegnern stand die Organisation UN Watch, die für ihre israelfreundliche Position und Diplomatie bekannt ist, gefolgt von einer Reihe Vereinigungen, die dem hebräischen Staat nahe stehen.
Laut Ziegler erklärt sich diese Opposition durch die kritische Haltung, welche er der israelischen Politik gegenüber in der Palästina-Frage eingenommen hat. Gegenüber der Schweizerischen Nachrichtenagentur (SDA) sagte Ziegler, er habe damals als Sonderberichterstatter des Menschenrechtsrats für das Recht auf Nahrung (von 2000 bis 2008) in seinem 2002 publizierten kritischen Bericht deutlich auf das Recht auf Nahrung in den besetzten palästinensischen Gebieten aufmerksam gemacht.
In einem Kommentar auf der Website der französisch-israelischen Handelskammer bestätigt der Präsident des Rats jüdischer Institutionen in Frankreich diese Einschätzung. Richard Prasquier schreibt darin: «Wie hätte er eine Wahlniederlage erleiden können, wo er sich doch als absolut Kuba-kompatibel erwiesen hatte und mit einem Bericht berühmt wurde, der die Nahrungssituation der Palästinenser als dramatisch qualifiziert hatte. Die Verantwortlichen des Welternährungsprogramms hatten Zieglers Inkompetenz angeprangert. Für einen UNO-Experten ist dies nicht weiter schlimm: Sein Hass gegenüber Israel ist ein ausreichendes Diplom.»
UN Watch und die Israelische Mission an der UNO in Genf bemängeln seit Jahren die ihrer Meinung nach anti-israelische Haltung des Menschenrechtsrats. Vor allem zu Beginn hatte das UNO-Organ die israelischen Aktionen auf palästinensischem Territorium regelmässig kritisiert – laut UN Watch auf Kosten anderer dramatischer Situationen.
«UN Watch hat eine ausgezeichnete Kampagne zugunsten von Jean Ziegler geführt», sagt Adrien Claude Zoller mit Ironie. «Im Menschenrechtsrat sind die Länder Afrikas und Asiens in der Mehrheit. UN Watch kritisiert systematisch die muslimischen Länder. Und wenn gewisse Staaten zwischen den beiden westlichen Kandidaten zweifelten, dann wurden sie von UN Watch überzeugt, für Ziegler zu stimmen.»
Vor der Wahl hatte sich Pakistan im Namen der Organisation der islamischen Konferenz zugunsten von Jean Ziegler ausgesprochen, indem es dessen Unabhängigkeit und Verbundenheit mit den Menschenrechten hervorhob und die Kampagne gegen den Schweizer kritisierte.
«Die 1993 gegründete United Nations Watch ist eine Nicht-Regierungsorganisation (NGO), deren Auftrag darin besteht, sicherzustellen, dass die UNO ihre eigene Charta respektiert und die Menschenrechte für alle respektiert werden», schreibt UN Watch auf seiner Website.
Die Unabhängigkeit von UN Watch gegenüber gewissen Staaten wird innerhalb des Internationalen Genfs bestritten.
In den Spalten der Tageszeitung Le Temps stellt der ehemalige Präsident des IKRK diese Unabhängigkeit in Frage: Cornelio Sommaruga hat den Gründer von UN Watch, Morris Berthold Abram, ehemaliger amerikanischer Botschafter an der UNO und eifriger Fürsprecher von Israel, gekannt.
«Er wollte eine Organisation gründen, um die UNO zu kritisieren. Aber bei seinem Projekt stand von Anfang an die Israel-Frage in der UNO im Zentrum. Es ist nicht die Aufgabe einer NGO, im Interesse eines Staates aufzutreten», sagt er.
Auf die Frage nach der finanziellen Unterstützung und den Arbeitsmethoden habe der Direktor von UN Watch, Hillel Neuer, nicht geantwortet, schreibt Le Temps.
Eine negative Meinung im Schweizer Parlament
Die amerikanische Botschafterin an der UNO in New York hatte in einem Tweet vom 15. August dieses Jahres Zieglers Kandidatur als «unsauber» beurteilt.
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Eine Schweizer Parlamentskommission äusserte sich am 20. August ebenfalls negativ. Mit 12 gegen 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen beurteilte die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats (Grosse Parlamentskammer) die Unterstützung des Genfer Soziologen und ehemaligen Nationalrats der Sozialdemokratischen Partei durch die Regierung als «inadäquat».
Trotz dieses Votums hielt der Schweizer Minister für auswärtige Angelegenheiten (EDA) an der Unterstützung Zieglers fest, was bei der UNO den Gepflogenheiten entspricht. Im Rahmen der Institutionen wie dem Menschenrechtsrat präsentieren und unterstützen die Länder jene Landsleute, die sich um einen Expertenposten bewerben. In dieser Funktion soll der Experte nicht sein Land repräsentieren, sondern unabhängig arbeiten können.
Als erster Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung hatte Jean Ziegler auch die Nahrungsmittelindustrie, die in der Schweiz stark verankert ist, nicht verschont. «Er hat der Rolle des Sonderberichterstatters ein Gesicht gegeben. Vorher war diese Expertise vom grossen Publikum verkannt worden», sagt der Genfer Berater Lador.
Mit Diktatoren befreundet
Während seiner Kampagne haben UN Watch, genauso wie gewisse Parlamentarier, die Kontakte des Soziologen zum damaligen libyschen Diktator Muammar Gaddafi kritisiert.
In der Vergangenheit hatte der ehemalige Genfer Professor seine Treffen mit Oberst Gaddafi damit zu rechtfertigen versucht, dass es im Interesse eines Soziologen sei, mit solchen Personen zu sprechen. Kürzlich hat Ziegler zugegeben, dass er 2002 den Gaddafi-Preis für Menschenrechte erhalten, diesen aber kurz danach zurückgeschickt habe.
«Ich hatte ihn tatsächlich erhalten. Aber weil ich zum Berichterstatter für das Recht auf Nahrung ernannt worden war, habe ich ihn auf Ratschlag des Hohen Kommissars für Menschenrechte, Sergio Vieira de Mello, zurückgeschickt», sagte Ziegler gegenüber der SDA.
Diese Äusserungen machte er infolge einer öffentlichen Mahnung von UN Watch, die damit drohte, ein kompromittierendes Video zu veröffentlichen. Das Video zeigt die Übergabe des Preises.
Als Aktivist der ersten Stunde im Kampf um nationale Befreiungen hat Ziegler nie aufgehört, die Person des Guerillaführers Che Guevara zu verehren. Er hat während Jahren den Gründervater von Simbabwe, Robert Mugabe, unterstützt, trotz dessen Autoritarismus, der im Laufe der Jahre immer deutlicher zu Tage trat. Das ehemalige Mitglied der Sozialistischen Internationalen ist auch bekannt für seine bedingungslose Unterstützung des kubanischen Regimes unter Fidel Castro.
Jean Ziegler bleibt seinem Engagement aus jungen Jahren treu, auch seiner Kritik gegenüber dem Finanzplatz Schweiz, die er in seinem Pamphlet «Eine Schweiz – über jeden Verdacht erhaben» öffentlich gemacht hatte. Diese Beständigkeit hat ihm viele Feinde, aber auch eine weltweite Popularität eingetragen.
(Übertragen aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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