Dank Völkerbund entdeckt die internationale Presse Genf
Im Juni 1919 legte der Vertrag von Versailles den Grundstein für den Völkerbund mit Sitz in Genf. Fast 1500 Journalisten berichteten anlässlich der Gründung dieser ersten internationalen Friedensorganisation für die ganze Welt aus Genf.
Als die Welt am Ende des Ersten Weltkriegs eine neue internationale Ordnung suchte, setzte sich der Genfer Gustave AdorExterner Link, damaliger Bundespräsident und Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), zusammen mit anderen während der Friedenskonferenz in Paris im Januar 1919 für die Kandidatur Genfs als Sitz des Völkerbundes ein. Dass die Siegernationen der Bewerbung Genfs zustimmten, hat die Bekanntheit Genfs in der Welt erheblich gesteigert.
Es strömten Journalisten (damals ausschliesslich Männer) nach Genf, um über den Beginn der internationalen Beziehungen, den Multilateralismus und die internationalen Organisationen zu berichten. Ihre Artikel erschienen in der Schweizer sowie internationalen Presse.
Laut Davide RodognoExterner Link, Professor für Internationale Geschichte am Graduate Institute of International and Development Studies (IHEIDExterner Link), spielten diese Journalisten am Anfang des VölkerbundesExterner Link eine wichtige Rolle, weil sie ihm Legitimität und Autorität verliehen, was die junge Organisation dringend benötigte.
«Ich glaube, dass auch die Werbeabteilung des Völkerbundes eine wichtige Erfindung für die Organisation war, weil Informationen kanalisiert, verwaltet und verbreitet wurden, auch in den kritischeren Kreisen der Journalisten. Das Gleiche gilt für die Schweiz, die plötzlich auf der politischen Weltkarte war.»
Zu der Zeit, als die vom damaligen US-Präsident Woodrow Wilson befürwortete Gründung des Völkerbundes konkrete Formen annahm und ausländische Reporter nach Genf strömten, dauerte eine Reise beispielsweise von Japan nach Genf etwa einen Monat.
Ein japanischer Journalist, Seigo Watanabe, begab sich sofort an den für den Völkerbund vorgesehenen Sitz. Watanabe schrieb am 6. August 1919 in der grossen Tageszeitung Asahi Shimbun, dass der Hauptsitz des Völkerbundes zwar «ein riesiges Gebäude im gotischen Stil» sei, er aber «überrascht ist, dass es zu klein für einen Hauptsitz» sei.
Die in Genf stationierten Journalisten berichteten hauptsächlich über internationale Politik, Friedenspolitik, soziale Gerechtigkeit und internationale Bemühungen zum Schutz der Arbeitnehmer. Die beiden letztgenannten Themen wurden von der Internationalen ArbeitsorganisationExterner Link (ILO) behandelt, die ebenfalls mit dem Versailler Vertrag in Genf gegründet wurde.
Mit der russischen Revolution und der Gefahr einer Ausbreitung in andere Länder, interessierten sich die Medien stark für die Arbeit der ILO.
Journalisten des Völkerbundes
Seit Gründung des Völkerbundes besuchen Politiker, Intellektuelle, Reporter und Touristen die Stadt Genf. Dokumente aus dieser Zeit sind nicht vollständig erhalten, aber die Archive des Völkerbundes im Palais des Nations bewahren einen Teil der Listen und Fotografien ausländischer Journalisten auf. Die folgende Fotografie zeigt niederländische, dänische, schwedische und schweizerische Journalisten, die das Sekretariat des Völkerbundes besucht haben.
Im Januar 1921 wurde die «International Association of Journalists Accredited to the League of Nations » gegründet, ein Jahr nach der offiziellen Lancierung des Völkerbundes. Nach Angaben des Archivs waren 1456 Journalisten aus 55 Ländern Teil davon. Journalisten kamen auch aus Ländern, die nicht Mitglied des Völkerbundes waren, wie den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion oder aus Ländern wie Deutschland, Italien oder Japan, die sich in der Zwischenkriegszeit aus dem Völkerbund zurückzogen.
Einige kamen auch aus der freien Stadt Danzig oder dem Saarland, das in der Zwischenkriegszeit unter dem Protektorat des Völkerbundes stand. 1933 strömten etwa 2000 Journalisten nach Genf, um über Treffen zu berichten, als die internationalen Spannungen Anfang der 1930er-Jahre wieder zunahmen. Manchen Journalisten wurde Spionage vorgeworfen.
Als die Schweiz dem Völkerbund beitrat (Volksabstimmung vom 16. Mai 1920), interessierten sich die internationalen Medien auch für das Funktionieren der Schweizer Politik.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatten ausländische Reporter selten über Ereignisse in der Schweiz berichtet. Sie schrieben vor allem touristische Berichte über die Natur und die Alpen. Als immer mehr ausländische Journalisten sich in der Schweiz aufhielten, vermittelten sie einen breiteren Blick auf die Schweiz.
Diese Artikel konzentrierten sich nicht mehr nur auf die Schönheit der Landschaften, sondern befassten sich auch mit dem politischen System der Schweiz, der Neutralität oder der Kultur des Landes. Die Zahl der in der Schweiz lebenden ausländischen Journalisten nahm zu, und 1928 wurde in Genf die «Vereinigung der Auslandpresse in der Schweiz und in Liechtenstein» gegründet. Sie ist bis heute aktiv.
Das Unternehmen Argus Suisse de la Presse (Argus der Presse), das 1919 seinen Sitz in Genf hatte, verkaufte von der neutralen Schweiz aus Informationen. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen recherchierten und übersetzten Zeitungen, Rezensionen, Telegramme und Telefone aus aller Welt.
Sie erbrachten ihre Dienste für den Völkerbund und andere interessierte Parteien. Hunderte von Menschen waren an der mehrsprachigen Übersetzungsarbeit beteiligt. Auf diese Weise erhöhten sie die Informationsmenge und erweiterten den Verbreitungsradius über ein modernes Kommunikationsnetz.
Die Argus-Leute ermöglichten es, sich auch im Ausland zu informieren. Die Schweiz hatte nur begrenzten Einfluss auf die internationale Politik. Aber die internationalen Informationen, auf die sich die Welt konzentrierte, wurden in der Schweiz hergestellt. Das Ausland blickte aufmerksam auf die aus der Schweiz übermittelten Informationen.
Der Völkerbund hat nicht nur die Schweizer Politik beeinflusst, sondern auch die Genfer Gesellschaft und Kultur. Die Zahl ausländischer Einwohner hat im Lauf der Jahre zugenommen und der Austausch zwischen den ausländischen Gemeinschaften ist intensiver geworden.
Landesdelegationen organisierten im Völkerbund Musikkonzerte. Die Gazette de Lausanne erinnert an Aufführungen einer japanischen Theatergruppe in Genf und Lausanne von 1930, eine Premiere für das Nô-Theater in der Schweiz.
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 verliert der Völkerbund an Bedeutung. Die Vereinten Nationen werden als Nachfolgeorganisation 1945 mit Sitz in New York gegründet. Aber Genf beherbergt immerhin den europäischen Hauptsitz der UNO sowie 37 internationale Organisationen. 179 Staaten sind dort vertreten.
32’000 Diplomaten und Diplomatinnen, 21’500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der UNO und rund 2700 Angestellte von Nichtregierungs-Organisationen arbeiten heute in Genf. Mehr als 3000 Meetings finden dort jedes Jahr statt. Nach Angaben des Swiss Press ClubExterner Link berichten rund 500 Journalisten und Journalistinnen über das internationale Genf.
Eine Friedensinstitution. Der Völkerbund entstand aus dem Wunsch, nie wieder ein Blutbad wie jenes des Ersten Weltkriegs zu erleben. Es war ein wichtiger historischer Meilenstein: Der VölkerbundExterner Link war die erste Organisation, die sich institutionalisiert mit internationalen Angelegenheiten befasste.
Der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, Woodrow Wilson, war Hauptinitiator des Projekts. Zunächst zögerlich, ratifizierten die europäischen Mächte schliesslich das Völkerbund-Projekt.
Warum Genf. Die Stadt Calvins ist seit 1863 Sitz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Es ist jedoch vor allem dem gemeinsamen Einsatz von Bundesrat Gustave Ador und dem Ökonomen William E. Rappard zu verdanken, dass Genf den Standorten Brüssel oder Den Haag vorgezogen wurde.
Nach einer knapp gewonnenen Volksabstimmung trat die Schweiz im Mai 1920 der neuen internationalen Organisation bei. Dieses Datum markiert den Beginn der internationalen Ausrichtung von Genf. Und es war die erste Abstimmung in der Geschichte der direkten Demokratie, die sich mit einer internationalen politischen Frage befasste.
(Übertragung aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi)
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