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Moutier in einen bernischen und jurassischen Teil spalten?

Oriane Grimm und Arnaud Forster vor dem Rathaus
Arnaud Forster und Orianne Grimm, Mitglieder des Vereins "Réconciliation", schlagen vor, die Stadt Moutier in zwei Teile zu unterteilen, einen bernischen und einen jurassischen. © KEYSTONE / JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Die Spannung in Moutier zieht sich über ein vertretbares Mass in die Länge. Die Berner Justiz wird in einigen Monaten über die Annullation der Abstimmung vom 18. Juni 2017 entscheiden müssen, bei der es um die Kantonszugehörigkeit der Stadt gegangen war. Unterdessen zeichnet sich ein "dritter Weg" ab: Moutier in zwei Teile aufspalten.


Die Stadt Moutier administrativ in zwei Teile aufspalten, um die oppositionellen politischen Lager zu beschwichtigen, die sich seit mehr als 40 Jahren gegenüberstehen. Aufteilen zwischen Pro-Jurassiern und Pro-Bernern, zwischen denen im Süden und denen im Norden. Und so die toxischen Altlasten beseitigen, die sich im Lauf der Zeit hier und dort ansammelten, indem man unter «Tapferen eine Friedenspfeife» anzündet.

Eine Aufteilung der Stadt als Ultima Ratio, um aus dieser offenen Schlacht herauszukommen? Mit einem bernischen und einem jurassischen Teil der Stadt Moutier? Bis zur Lancierung dieser Idee Ende Januar, die von der jurassischen Regierung sogleich als verrückt bezeichnet wurde, hatte noch nie jemand ernsthaft diese Möglichkeit zur Diskussion gestellt. Eine Aufteilung der Stadt, was an Belfast, Mostar oder Berlin erinnern mag.

«Eine neue Grenze, aber keine Mauer»
Verein Réconciliation

Der Verein «Réconciliation» (Versöhnung) in Moutier, der hinter dieser Idee für eine Aufteilung der Stadt steckt, stiess beim Kanton Bern anfänglich auf einige Zurückhaltung. «Ich kann nicht sagen, dass die bernischen Behörden uns bremsten. Aber sagen wir einmal, dass sie uns bei der Suche nach rechtlichen Informationen über die Aufteilung von Gemeinden nicht einfach alles auf einem Tablett servierten. Denn der Trend geht in Richtung Gemeindefusionen», scherzt Orianne Grimm andeutungsweise.

Sie ist eine der treibenden Kräfte im Verein «Réconciliation», der zur Zeit etwa 30 Mitglieder hat. Wegen ihrer früheren Verbindungen zur anti-separatistischen Bewegung «Moutier résiste», von der sich Grimm losgesagt haben will, wird «Réconciliation» eher als pro-bernisch betrachtet; im fünfköpfigen Vorstand sitzen im Interesse der Ausgewogenheit jedoch auch zwei «Pro-Jurassier». 

Hartnäckige Bitterkeit

«Diese beiden Personen, die sich als gemässigt betrachten, wollen anonym bleiben», erklärt Orianne Grimm gegenüber swissinfo.ch. «Eine der beiden ist eine angesehene Persönlichkeit in Moutier und möchte nicht, dass ihr Name öffentlich gemacht wird», sagt sie.

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Seit der Abstimmung vom 18. Juni 2017, die mit 51,7% der Stimmen knapp für einen Wechsel Moutiers zum Kanton Jura ausging, hält sich in der Stadt ein hartnäckiger Groll. Und seit diese Abstimmung am 5. November letzten Jahres von der Regierungsstatthalterin des Verwaltungskreises Bern-Jura für ungültig erklärt wurde, ist die Sache noch vertrackter geworden.

Der Entscheid, gegen den Rekurse eingelegt wurden, fachte die Spannungen zwischen Projurassiern und Berntreuen in und um Moutier weiter an. In Erwartung des Entscheids des bernischen Verwaltungsgerichts, der im Prinzip kurz vor oder nach diesem Sommer fallen soll, ist die Situation blockiert, ja grotesk geworden.

«Wir rechnen mit einem Prozess, der noch zehn Jahre dauern könnte», schätzt Orianne Grimm. Es ist praktisch sicher, dass je nachdem, wie der Entscheid der zweiten bernischen Justizinstanz ausfällt, eines der beiden Lager die Sache bis vor Bundesgericht weiterziehen wird. Das bedeutet eine weitere Ära der Unsicherheit. Und die allem zugrunde liegende Frage: Werden die Bürgerinnen und Bürger Moutiers ein weiteres Mal in einer Abstimmung über Schicksal ihrer Stadt entscheiden?

Hier kommt der Vorschlag zur Aufspaltung Moutiers in zwei Teile ins Spiel. Mit diesem «dritten Weg», sagt der Verein «Réconciliation», könnte man vermeiden, dass eine Hälfte der Stadt der anderen ihren Willen aufzwingen würde.

Die Idee sei die administrative Aufteilung der Stadt in zwei Teile, mit ihren jeweiligen politischen Behörden. Ein Teil Moutiers würde zum Kanton Jura gehören, der andere würde bei Bern bleiben. Jede Einwohnerin, jeder Einwohner könnte selber wählen, zu welchem Teil sie oder er gehören wolle. In der Stadt würde es eine neue Grenze geben. «Aber keine Mauer», betonte der Verein «Réconciliation» Ende Januar, als er sein innovatives Konzept vor den Medien präsentierte. Es sei ein «apolitisches» Projekt.

Demo in Moutier
Als Reaktion auf den Beschluss der Präfektin des Berner Juras, die Abstimmung vom 18. Juni 2017 für ungültig zu erklären, fand am 9. November in den Strassen von Moutier ein Schweigemarsch statt. © KEYSTONE / JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Als wäre nichts geschehen

Im Rathaus erfüllt Stadtpräsident Marcel Winistoerfer (Pro-Jurassier) weiter seine Aufgaben als Chefadministrator. Offenbar zur Zufriedenheit der mindestens 60% der Stimmenden, die ihr Vertrauen in ihn bei den Gemeindewahlen am 25. November 2018 bekräftigten. «Die aktuelle Blockade behindert meine tägliche Arbeit nicht», sagt er.

«Andererseits könnten Investoren möglicherweise zögern, sich in Moutier zu engagieren. Aber was ich eben sagte, ist nicht wirklich sicher. Im letzten Jahr wurden zwei neue Fabriken gebaut, zwei weitere könnten in diesem Jahr errichtet werden. Das industrielle Gefüge (Mikromechanik und Uhrmacherei) ist in gutem Zustand. Wenn es Tornos gut geht, gilt das auch für den Rest», räumt der Stadtpräsident ein. Und der Werkzeugmaschinenhersteller Tornos, der grösste private Arbeitgeber der Stadt, ist in guter Verfassung: 2018 erzielte er einen um 20% höheren Nettoumsatz.

«Wir haben innerhalb von zwei Jahren 200 Einwohner verloren»
Marcel Winistoerfer

Was dem Stadtpräsidenten mehr Sorgen macht, betrifft die Tatsache, dass sich viele Menschen von Moutier abwenden, wie die letzte Volkszählung zeigte. «Wir haben in zwei Jahren 200 Einwohner und Einwohner verloren (von 7550 im Jahr 2016 auf 7350 im Jahr 2018). Portugiesische Staatsangehörige sind wegen der Doppelbesteuerung weggezogen, aber es ist nicht nur das. Auch Schweizer zogen es vor, zu verschwinden, aus politischen Gründen.»

Das schlägt sich in der Leerstandsquote der Wohnungen nieder. Ein Spaziergang durch die Stadt reicht aus, um sich davon selbst ein Bild zu machen. In den Strassen und Gassen sieht man viele Plakate an leeren oder verlassenen Gebäuden, mit denen versucht wird, die Aufmerksamkeit von potentiellen Mietern zu erhaschen. Junge zeigen den modernen Wohnungen, die in den vergangenen zehn Jahren gebaut wurden, den Rücken und geben sich stattdessen mit einer Vierzimmer-Wohnung zu einem bescheidenen Preis von 800 Franken pro Monat in einem Altbau mit relativ einfachem Komfort «zufrieden».

Keller-Sutter – die Neue im Bund

«Ich bin nicht dafür, noch einmal abzustimmen. Wir haben genug abgestimmt. Moutier wird so oder so eines Tages eine jurassische Stadt sein», erklärt Marcel Winistoerfer, der sich seines Anspruchs sicher ist. Es würde ihn auch nicht von vornherein stören, wenn das eidgenössische Bern den Stier bei den Hörnern packen würde, um eine Lösung für dieses heikle Problem zu finden, das schon lange genug gedauert habe und noch lange andauern könnte. Von der Jura-Frage bis zur Moutier-Frage – bald einmal 50 Jahre Kampf…

Marcel Winistoerfer
Der Bürgermeister von Moutier, Marcel Winistoerfer, wird am 25. November nach seiner Wiederwahl durch das Volk gefeiert. © KEYSTONE / LAURENT GILLIERON

Dass seit Anfang Jahr an Stelle der Bernerin Simonetta Sommaruga (ein Aspekt, der für Jurassier alles andere als anekdotisch ist) die St. Gallerin Karin Keller-Sutter an der Spitze des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) steht, könnte eine Rolle spielen – angesichts der angeblich weniger starken Verbindung der neuen Bundesrätin mit dem Dossier.

«Bisher gab es zwischen dem EJPD und dem Rathaus von Moutier keinen Kontakt. Aber Frau Keller-Sutter könnte unter Umständen das Thema Moutier anders angehen», hofft der Stadtpräsident insgeheim.

Das EJPD konzentriert sich auf seine Rolle als Mediatorin in der Jura-Frage. Die EJPD-Chefin «hat den Vorsitz der tripartiten Konferenzen, an denen ausschliesslich Delegationen der Kantone Bern und Jura teilnehmen. Die Behörden Moutiers sind nicht direkt in den Prozess eingebunden», antwortet man in Bern auf eine Frage unsererseits.

Seit das Kriegsbeil in Moutier wieder ausgegraben wurde, hagelt es aus beiden Lagern Beleidigungen und Vorwürfe. Und zwar in einem solche Masse, dass sie zu einem festen Bestandteil des Alltags wurden. So wurden die Mitglieder des Vereins «Réconciliation» als «Zauberlehrlinge», «Manipulatoren» oder «sanfte Träumer» bezeichnet, vor allem von der pro-jurassischen Seite, sobald ihre Idee, Moutier in zwei Teile aufzuspalten, öffentlich gemacht wurde.

«Wir möchten, dass sich die Debatte auf rationellere Elemente konzentriert», erklärt Orianne Grimm. Der «dritte Weg», den sie vorschlägt, also die Aufspaltung der Stadt, ist derzeit Gegenstand einer Meinungsumfrage im Internet.

«Wir möchten, dass sich die Debatte auf rationellere Elemente konzentriert»
Orianne Grimm

Während sich in gewissen Mentalitäten bereits seit mehreren Jahren eine Art Mauerdenken eingenistet hat, geht Stadtpräsident Marcel Winistoerfer weiter seinen Aufgaben nach und will im aktuellen vergifteten Klima keine Anzeichen für einen neuen «Blitzkrieg» sehen. Nach Art der 1970er- und 1980er-Jahre, als Sabotageakte schon fast an Gewissenlosigkeit grenzten.

«Ich fühle nichts von dem, was manche Leute als eine schlechte Atmosphäre in Moutier bezeichnen. Ich persönlich lebe hier sehr gut. Beleidigungen… das kennen wir hier seit 40 Jahren. Und ich habe meinen Anteil eingesteckt. Das bedeutet aber nicht, dass wir daran gross Anstoss nehmen müssen.»

Dennoch räumt der Stadtpräsident schliesslich ein, dass er zwei bestimmte Unternehmen in der Stadt nicht frequentiert, ohne diese aber zu nennen. «Ich werde mich nicht dazu zwingen. Zudem könnte meine Anwesenheit dort als Provokation betrachtet werden.» Mehr ist dazu nicht zu erfahren.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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