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Wird der Kanton Aargau den Auslandschweizern neue Rechte einräumen?

Eine Gruppe von Männern sitzen um einen Tisch mit einem Kronleuchter.
Vielleicht können die im kantonalen Aargauer Wählerverzeichnis eingetragenen Auslandschweizer und Auslandschweizerinnen im Oktober 2019 erstmals an den Ständeratswahlen teilnehmen. Keystone

Im Kanton Aargau steht am kommenden Sonntag im Rahmen einer Volksabstimmung eine wichtige Ausweitung der politischen Rechte für Auslandschweizer an. Die Stimmenden müssen entscheiden, ob den Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern die Teilnahme an den Ständeratswahlen ermöglicht wird.

Die Chancen auf eine Annahme der Vorlage stehen gut. Der Vorschlag der Kantonsregierung, die Kantonsverfassung so zu ändern, dass die Auslandschweizer das Recht auf eine Teilnahme an den Ständeratswahlen erhalten, fand im Kantonsparlament eine breite Mehrheit. 78 Ja-Stimmen standen 41 Nein-Stimmen gegenüber.

Nun empfiehlt die Mehrheit der politischen Parteien ein Ja. Einzig die Schweizerische Volkspartei (SVP) und die konservative Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) opponieren gegen die Vorlage.

Forderungen der ASO umgesetzt

Die Verfassungsänderung wurde in Folge eines Briefes der Auslandschweizer-OrganisationExterner Link (ASO) vom Februar 2017 in Angriff genommen. Damals hatte die ASO an alle Kantonsregierungen der 14 Stände geschrieben, welche es ihren im Ausland wohnenden Landsleuten nach wie vor verwehren, an Ständeratswahlen teilzunehmen. Das Anliegen der ASO wird von der Aargauer Regierung im AbstimmungsbüchleinExterner Link als «sinnvolle Ausweitung des Stimmrechts» bezeichnet. Das Volk im Kanton Aargau entscheidet am 25.November.

Für die Kantonsregierung gibt es keinen vernünftigen Grund, dass die Auslandschweizer über das aktive und passive Wahlrecht für den Nationalrat (Volkskammer) verfügen, aber nicht an den Wahlen für den Ständerat (Kantonskammer) teilnehmen können, die im Aargau gleichentags wie die Nationalratswahlen stattfinden. Es gebe zudem viele Entscheide des Parlaments und somit des Ständerats als Zweitkammer, welche die Auslandschweizer direkt beträfen. Dieser Argumentation folgte die Mehrheit des Aargauer Kantonsparlaments.

«Es freut uns sehr, dass unsere Argumente gehört und öffentlich verteidigt werden – das ist eine schöne Anerkennung», kommentiert ASO-Direktorin Ariane Rustichelli. Der Entscheid der Aargauer Regierung und des dortigen Kantonsparlaments seien ermutigend, «vor allem in einer Zeit, in der auch feindselige Stimmen zu hören sind.» Damit spielt sie auf einige Politiker an, die das Stimmrecht für Auslandschweizer einschränken wollen.

Im Zeichen des Kompromisses

Gemäss Umfragen wird das Aargauer Stimmvolk der Vorlage zustimmen. Bereits die breite Unterstützung durch die politischen Parteien liess eine solche Mehrheit erahnen. Mit dem zu erwartenden Entscheid wird sich eine neue Tendenz konsolidieren, die eigentlich ein Charakteristikum der Schweizer Politik ist: Die Fähigkeit, Kompromisse zu schliessen.

In der Vergangenheit hatten zehn Kantone ihren Auslandschweizern sämtliche politischen Rechte eingeräumt, das heisst auch auf kantonaler und kommunaler Ebene. 1893 machte der Kanton Tessin den Anfang. Erst 1979 folgte der neu gegründete Kanton Jura.

Im Jahr 2005 beschritt der Kanton Zürich einen neuen Weg, dem zuerst Basel-Stadt folgte und nun auch der Kanton Aargau folgen will: Demnach erhalten die Auslandschweizer ein aktives und passives Wahlrecht für den Ständerat, während sie von kantonalen und kommunalen Urnengängen ausgeschlossen bleiben. In Bezug auf diese Abstimmungen herrscht die Meinung vor, dass die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer nicht genügend im Bilde sind und auch kein unmittelbares Interesse haben.

Eine politische Frage

Der von den Kantonen Zürich, Basel-Stadt und Aargau vorgezeichnete Weg lässt indes Fragen aufkommen: Lässt es sich mit dem Föderalismus vereinbaren, dass die Auslandschweizer von 13 Kantonen unterschiedliche politische Rechte haben? Oder muss der Bund einer mutmasslichen Ungleichbehandlung den Riegel schieben?

Corsin BisazExterner Link, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Demokratie in AarauExterner Link (ZDA) und Dozent an der «FernUni Schweiz»Externer Link, hat keine Zweifel: «Das Problem ist ein politisches», sagt der Rechtsexperte. Die unterschiedlichen Regelungen stellten keine Diskriminierung dar. Denn die Bundesverfassung (Artikel 150Externer Link) sei in diesem Punkt sehr klar: «Die Wahl des Ständerats wird von den Kantonen geregelt.» Anders als bei den Wahlen zum Nationalrat, deren Regeln vom Bund festgelegt werden.

«Die Tatsache, dass die Parlamentarier der beiden Kammer am gleichen Tag gewählt werden, ist eine rein organisatorische Frage; es handelt sich nicht um eine bindende Vorschrift», betont Bisaz. Eine Ausnahme mache nur der Kanton Appenzell-Innerrhoden, der während der Landsgemeinde im April seinen Standesvertreter wähle. Von Kanton zu Kanton gebe es viele Unterschiede, nicht nur in Bezug auf die Auslandschweizer.

So werden die Ständeräte in den Kantonen Neuenburg und Jura beispielsweise nach dem Proporz gewählt, während alle anderen Kantone das Mehrheitswahlrecht kennen.  In Glarus beträgt das Wahlrechtsalter 16 Jahre, während man in allen anderen Kantonen mindestens 18 Jahre alt sein muss. Einige Kantone erlauben stille Wahlen bereits ab dem Ersten Wahlgang, andere ab dem Zweiten Wahlgang, andere wiederum überhaupt keine.

Und jeder Kanton kann sein Stimmrecht ändern, wie das Beispiel vom kommenden Sonntag im Kanton Aargau zeigt. Für die Auslandschweizer ist dies von Bedeutung. Wenn ihre Erwartungen von den Aargauer Stimmbürgern erfüllt werden, steigt die Zahl der Kantone, welche auch den Auslandschweizern erlauben, ihre Ständeräte zu wählen, auf 13 an – das ist die Hälfte 26 Kantone, welche die Eidgenossenschaft bilden.

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E-Voting im Gegenwind

Der Kanton Aargau hat schon unter Beweis gestellt, dass er für die Anliegen der Auslandschweizer sensibel ist, indem die versuchsweise Erprobung der elektronischen Stimmabgabe erlaubt wurde. Seit 2010 bietet der Kanton den Auslandschweizern das E-Voting an, sofern sie im Stimmregister eingetragen sind. Diese Möglichkeit musste im August 2015 vorübergehend ausgesetzt werden, weil die Schweizer Regierung die Bewilligung für das System des Konsortiums «vote électronique» aufgehoben hatte, das der Kanton Aargau und acht weitere Kantone nutzten.

Der Kanton Aargau setzte die E-Voting-Versuche im September 2017 fort, indem er auf ein neues, vom Kanton Genf entwickeltes System setzte. Dieses hat jüngst heftige Diskussionen ausgelöst, weil es einigen Hackern nachweislich gelungen war, Manipulationen durchzuführen. Alle politischen Jungparteien haben nun im Kanton Aargau eine Online-PetitionExterner Link lanciert, in welcher sie «den Regierungsrat dazu auffordern, für die folgenden Abstimmungen auf die Ausweitung des E-Votings zu verzichten, bis die Wahrung des Stimmgeheimnis und die Manipulationssicherheit zweifelsfrei garantiert werden können.»

An der letzten Eidgenössischen Abstimmung vom 23. September 2018 haben 23,58% der 9720 Auslandschweizer teilgenommen, die im Aargau im Stimmregister eingetragen sind. Davon stimmten 63,18% online via Internet ab.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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