Milizparlament sträubt sich gegen Transparenz
Ein ehemaliger Schweizer Botschafter, der im Regierungsgebäude verdeckt für die Interessen Kasachstans weibelt; oder undurchsichtige Versuche eines schwedischen Rüstungsbetriebs, den Kauf von Kampfjets durch die Schweiz zu beeinflussen: Die beiden Fälle haben Forderungen nach mehr Transparenz beim Lobbying wieder Auftrieb gegeben.
«Ich beurteile keine Einzelfälle. Es handelt sich hier aber sicher nicht um Lobbying», sagt Lobbyist Andreas Hugi, Präsident des Bundes der PR-Agenturen der Schweiz (BPRA), auf die Frage, was er von den Aktivitäten des ehemaligen Schweizer Botschafters Thomas Borer zugunsten von Kasachstan halte. Lobbying ist eine legitime Einflussnahme auf den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess im Interesse bestimmter Organisationen. Das habe Borer nicht gemacht, sondern versucht, Informationen über ein laufendes Rechtsverfahren zu beschaffen. (Vgl. Kasten).
Ex-Botschafter lobbyiert für Kasachstan
Laut Medienberichten vom Januar 2015 hat Thomas Borer, ehemaliger Botschafter der Schweiz, versucht, Schweizer Justizbehörden, Politiker und Medien im Sinne Kasachstans zu beeinflussen. Das Land wird von Herrscher Nursultan Nasarbajew und dessen Clan mit eiserner Hand regiert. Die Berichte stützen sich auf einen umfangreichen Datensatz, der kürzlich auf einer kasachischen Website veröffentlicht worden sein soll.
Borer, der einst als Chef der Task-Force «Nachrichtenlose Vermögen» amtete, soll Nasarbajew helfen, den an den Genfersee geflüchteten kasachischen Regimekritiker Viktor Chrapunow zu jagen. Der ehemalige Schweizer Botschafter habe seinem Auftraggeber für ein Honorar von monatlich 30’000 Dollar Insider-Informationen aus der Bundesanwaltschaft angeboten. Ausserdem habe Borer einigen «freundlich gesinnten» Parlamentsmitgliedern eine Interpellation an den Bundesrat im Sinne Kasachstans verfasst.
Thomas Borer widerspricht gewissen Darstellungen der Medien. «Ich berate das kasachische Justizministerium bei der Zusammenarbeit mit den Schweizer Behörden im Zusammenhang mit Strafverfahren über Persönlichkeiten, die Kasachstan um Milliarden betrogen und Teile dieser Gelder in der Schweiz gewaschen haben, namentlich Herrn Khrapunov», schreibt er gegenüber swissinfo.ch. Er habe nicht, wie die Neue Zürcher Zeitung behaupte, «Insider-Informationen» aus der Bundesanwaltschaft angeboten. «Ich übergebe Informationen, die ich auf formelle Weise erhalten habe.»
Thomas Borer ist einer von rund 400 «Gästen», die in Bern eine permanente Zutrittsbewilligung ins Bundeshaus haben. Jeder Parlamentarier hat das Recht, zwei dieser Zutrittsbewilligungen an irgendjemand zu vergeben. Borer hat seinen Götti-Badge – wie die Zutrittsbewilligung auch genannt wird – von Thomas Matter, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP), erhalten. «Ein reiner Freundschaftsdienst», sagte Matter dazu gegenüber Medien. Was all diese «Gäste» im Bundeshaus treiben, ist nicht in jedem Fall klar.
Gibt es noch andere «Gäste» im Bundeshaus, die im Interesse ausländischer Staaten weibeln? Hugi ist überzeugt, dass es sich bei Thomas Borer um einen Sonderfall handle. «Ich kenne keine Lobbyisten, die im Auftrag von Staaten in unserem Parlament lobbyieren.» Ein Rechtsstaat nutze für die Wahrung seiner Interessen gegenüber anderen Ländern diplomatische Kanäle, sagt Hugi. Der Gründer und Mitinhaber von furrerhugi, eine der grössten PR-Agenturen der Schweiz, hat seine eigene Zutrittsbewilligung von Ruedi Noser, Nationalrat der Freisinnigen (FDP.Die Liberalen) erhalten, mit dem er seit Jahren befreundet sei. Im Unterschied zu Borer lege er aber sämtliche Mandanten offen, deren Interessen er vertrete.
Klare Regeln im Kein erstickt
Auch Kommunikationsberater Iwan Rickenbacher kennt keine Fakten zu ähnlichen Fällen. Sicher ist für den ehemaligen Generalsekretär der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) und Politikwissenschaftler aber, dass es Grauzonen gibt, in denen andere Staaten den Schweizer Parlamentsbetrieb zu beeinflussen versuchten: «Wenn Flugzeugfirmen ihre Kampfflugzeuge anpreisen wollen, ob das eine französische Rafale oder ein schwedischer Grippen ist, dann geht es nicht nur um Industrie-Erzeugnisse, sondern es sind auch staatliche Interessen damit verbunden. Dabei findet indirekt auch ein Lobbying für französische oder schwedische Interessen statt», sagt Rickenbacher.
Für mehr Transparenz bei den dunklen Geschäften könnte ein Akkreditierungsverfahren sorgen, das sogar vom Berufsverband der Lobbyisten gefordert wird. Wer als Lobbyist akkreditiert ist, müsste sämtliche Interessenvertretungen offen legen.
Eines der strengsten Akkreditierungssysteme haben die USA, wo sowohl der Lobbyist wie der Lobbyierte bekunden müssen, wenn eine Lobbytätigkeit stattfindet. Das gleiche gilt für die EU, die noch einen Schritt weiter geht. Wer dort im Lobbying-Register eingetragen werden will, muss auch die Honorar-Summen bekannt geben.
In der Schweiz wurden politische Vorstösse für mehr Transparenz beim Lobbying meistens schon im Keim erstickt, oft vom Parlament selber. Eine parlamentarische Initiative des freisinnigen Nationalrats Andrea Caroni «für klare Spielregeln und Transparenz bei der Interessenvertretung im Bundeshaus» wurde vor drei Jahren abgeschmettert. «Manche sahen kein Problem. Andere fürchteten, es gäbe keine umsetzbare Lösung. Am stärksten war aber wohl die Furcht, die Badge-Macht zu verlieren», erklärt Caroni die breite Ablehnung gegen seinen Vorstoss.
Günstlings-Lobbyismus
Auch Politikwissenschaftler Rickenbacher kritisiert den «Götti-Badge», den manche Leute «als Gunsterweisung eines Parlamentariers» erwerben können. «Damit werden Abhängigkeiten geschaffen und Entscheide gefällt, die nicht transparent sind.»
Eine konsequente Kontrolle der Interessenbindungen sowohl der Lobbyisten wie der Lobbyierten sei immer wieder gescheitert, «weil sich in unserem sogenannten Milizparlament einzelne Mitglieder auch als Interessenvertreter von Verbänden, Institutionen, Industriegruppen verstehen und sich keine Auflagen erteilen lassen wollen», sagt Iwan Rickenbacher. Wenn jemand härtere Regeln verlange, werde sofort vorgeschoben, dass die Parlamentarier in einem Milizsystem ihren angestammten Beruf auch aus Existenzgründen nicht aufgeben könnten.
Dabei habe eine StudieExterner Link Externer Linkdes Instituts für Politikwissenschaften der Universität Zürich gezeigt, dass in der Grossen Kammer nur noch einer von acht Nationalräten ein Milizpolitiker war. In der kleinen Kammer gab es sogar keinen einzigen mehr. «Die Schweiz zelebriert ein Milizparlament, akzeptiert aber, dass die Parlamentarier ihr Amt weitgehend hauptberuflich ausüben.»
Volksvertreter oder Lobbyist?
Lobbying – dieser Kontakt zwischen Zivilgesellschaft, Wirtschaft und dem Parlament – sei notwendig, sagt Rickenbacher, «aber dann soll man bitte klare Regeln bezüglich Offenbarungspflicht erlassen und anwenden», wie dies in professionellen Parlamenten fortschrittlicher Staaten der Fall sei.
Klick auf die Interessenbindungen
«Weil es der Staat nicht tut», versucht eine Gruppe von Journalisten und Informatikern unter dem Namen LobbyWatch.chExterner Link, die Interessenbindungen von Parlamentariern und deren permanent zutrittsberechtigten «Gästen» offenzulegen. «Bei mindestens der Hälfte der Parlamentarier finden wir nicht-deklarierte Interessenbindungen, obwohl sie dazu verpflichtet wären», sagt Thomas Angeli, Co-Präsident von Lobbywatch.
Ein klassischer Fall sei die Interessenbindung gewesen, die der ehemalige Nationalrat (heute Wirtschaftsminister) Johann Schneider-Ammann gegenüber der Finanzierungsgesellschaft Afinsa AG hatte, die das früher in einer Offshore-Gesellschaft auf Jersey angelegte Geld der Ammann-Gruppe verwaltete. «Dieses Mandat hat Schneider-Ammann nie deklariert. Vor seiner Wahl in den Bundesrat erklärte er dazu, einige seiner Mandate seien ‹völlig unabsichtlich ganz einfach unters Eis geraten‘“.
Auch von vielen der rund 400 «Gäste», die ihre Zutrittsberechtigung einem Mitglied des Parlaments verdankten, sei offiziell nicht deklariert, für wen sie lobbyieren würden, sagt Angeli.
Für manche Schweizer Parlamentarier würde dies bedeuten, dass sie bei gewissen Geschäften in den Ausstand treten müssten. «Man müsste zum Beispiel darüber diskutieren, ob sich Verwaltungsratsmandate bei Krankenversicherungen mit der Mitgliedschaft der Gesundheitskommission vereinbaren liessen.»
In der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, wo jene Vorschläge ausgearbeitet werden, die dem Parlament vorgelegt werden, haben vier von fünf Mitgliedern eine direkte Verbindung zu Firmen oder Organisationen aus dem Gesundheitsbereich.
Zum Beispiel Lorenz Hess. Der Nationalrat der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) hat ein Verwaltungsratsmandat der viertgrössten Krankenversicherung Visana, und er ist Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. Hess war Gründer und Miteigentümer einer PR-Agentur, die kürzlich von furrerhugi übernommen wurde. furrerhugi verkörpert mit vier eigenen zutrittsberechtigten «Einflüsterern» eine Lobby-Macht unter der Bundeshauskuppel.
Solche und andere Informationen über interessante Interessenbindungen erhält, wer sich auf lobbywatch.chExterner Link schlau macht. Die von Journalisten und Informatikern in Fronarbeit gegründete Plattform bringt seit ein paar Monaten etwas mehr Licht in die Wandelhalle des Bundeshauses.
Für mehr Transparenz gesorgt hat auch die Schweizerische Public Affairs Gesellschaft (SPAGExterner Link)Externer Link. Wer dort Mitglied ist, muss seit Anfang Jahr die Mandate offenlegen. Laut Geschäftsleiter Robert P. Hilti sind wegen der neuen Transparenz-Regeln nur vier von mehr als 200 Mitgliedern ausgetreten. Die Lobbyisten Furrer und Hugi sind der Gesellschaft treugeblieben. Lorenz Hess hingegen figuriert nicht auf dem Mitgliederverzeichnis. Auf die Frage, ob es für ihn kein Problem sei, Volksvertreter und gleichzeitig Lobbyist zu sein, sagt der Nationalrat: «Ich bin nicht primär im Lobbying tätig».
Auf der Website der PR-Agentur furrerhugi Externer Linkwird Lorenz Hess aber mit Foto und Werdegang im Team der «furrerhugi.advisors» vorgestellt.
Das sei vielleicht ein wenig verwirrend, sagt er, aber die furrerhugi.advisors AG, die er selber gegründet habe, sei eine von furrerhugi unabhängige Gesellschaft, «und ich stehe bewusst nicht auf der Lohnliste von furrerhugi.»
Im Unterschied zur PR-Agentur furrerhugi, die sich Transparenz auf die Fahne geschrieben hat, werden die Mandate von furrerhugi.advisors nicht offengelegt. «Weil wir nicht PR im klassischen Sinn betreiben», sagt Nationalrat Hess. Im Übrigen habe er als Milizparlamentarier das Recht, dort zu arbeiten, wo er wolle.
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