Mutmasslicher Kriegsverbrecher Mladic gefasst
Ratko Mladic, der ehemalige General der bosnischen Serben, ist am Donnerstag verhaftet worden. Damit wurde, drei Jahre nach der Gefangennahme von Radovan Karadzic, die Arbeit der ehemaligen UNO-Chefanklägerin Carla del Ponte doch noch von Erfolg gekrönt.
Mladic wird vom UNO-Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien gesucht, vor dem er wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnien-Kriegs (1992-1995) angeklagt ist.
Die Festnahme des 69-jährigen pensionierten Generals durch den Geheimdienst sei im Dorf Lazarevo bei Zrenjanin im Norden des Landes erfolgt, meldete der serbische Fernsehsender B92 in Belgrad.
Mladic wird unter anderem das Massaker in der bosnischen Stadt Srebrenica angelastet. Dabei waren im Juli 1995 innert weniger Tage etwa 8000 muslimische Männer und Jugendliche durch serbische Truppen und Freischärler ermordet worden.
Zudem war Mladic für die 44-monatige Belagerung und den Beschuss der bosnischen Hauptstadt Sarajewo verantwortlich.
Zügiger EU-Beitritt gewünscht
Der serbische Präsident Boris Tadic sagte vor den Medien, Serbien erwarte als Gegenleistung für die Verhaftung Mladics jetzt einen zügigen Beitritt zur Europäischen Union. «Ich hoffe, dass jetzt die Türen offen stehen», sagte der serbische Präsident.
Tadic sagte weiter: «Ich bin sehr stolz auf die geleistete Arbeit.» Er gratulierte allen Beteiligten. «Serbien hat damit seine moralische Glaubwürdigkeit im Ausland auf ein höheres Niveau gehoben.»
Dass Mladic nun erwischt worden sei, «setzt den tragischsten Ereignissen ein Ende, die während des Krieges in Ex-Jugoslawien stattgefunden haben und bei denen in Srebrenica 8000 Männer umgekommen sind», sagte Pierre Hazan, ehemaliger diplomatischer Korrespondent und Spezialist für Menschenrechte bei den Tageszeitungen Le Temps (Genf) und Libération (Paris), gegenüber swissinfo.ch.
Die Verhaftung könne viel zu einer Normalisierung der Lage in Serbien beitragen: «Mein Gefühl ist – auch wenn ich da sehr vorsichtig sein will –, dass viele junge Menschen die Vergangenheit hinter sich lassen und einen Job finden möchten. Das könnte eine Priorität sein. Die Situation dort ist sehr schwierig.»
Del Pontes Jagd
Eng verknüpft ist die Jagd nach Ratko Mladic mit der Schweizerin Carla del Ponte, die den mutmasslichen Kriegsverbrecher als Chefanklägerin des UNO-Kriegsverbrechertribunals während acht Jahren suchen liess.
Ihr grösster Erfolg in dieser Zeit war die Verhaftung des bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic im Jahr 2008. In Den Haag muss er sich seit Oktober 2009 wegen Völkermordes vor dem Tribunal verantworten. Mladic allerdings konnte sie nicht vor die Justiz bringen.
Positive Reaktionen
Die offizielle Schweiz begrüsst Ratko Mladics Verhaftung. Die Auslieferung Mladics an das Kriegsverbrechertribunal werde für die Opfer der Kriegsverbrechen ein Wendepunkt bei ihrem Streben nach Gerechtigkeit sein.
Die Schweiz hoffe zudem, dass sich diese Verhaftung positiv auf den Prozess der Versöhnung unter den Ländern der Region auswirken werde, verlautete am Donnerstagabend aus dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Die Festnahme ist auch bei den Hinterbliebenen seiner Opfer auf Genugtuung gestossen. «Die Gerechtigkeit hat gesiegt», sagte Semir Guzin, Rechtsvertreter der Vereinigung «Mütter von Srebrenica», in einem Interview des britischen Senders BBC.
Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Jakob Kellenberger, zeigt sich zufrieden darüber, dass Mladic dingfest gemacht werden konnte. Der Kampf gegen die Straffreiheit werde ernsthafter, so Kellenberger. Die Verhaftung des mutmasslichen Kriegsverbrechers sei eine politische Frage. Er empfinde aber Zufriedenheit, dass das Gesetz zur Anwendung gekommen sei, sagte der IKRK-Präsident.
In einer ersten Reaktion begrüsste auch die Menschenrechts-Organisation Amnesty International die Festnahme von Mladic. «Es hat zwar mehr als 15 Jahre gedauert, aber jetzt haben die Menschen, die gelitten haben, die Hoffnung, dass er vor Gericht gestellt wird», sagte AI-Vertreter Widney Brown.
Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat die Verhaftung Mladics begrüsst. «Das ist ein wichtiger Schritt nach vorne für Serbien und die internationale Justiz», sagte Barroso am Donnerstag am Rande des G8-Gipfels in Deauville dem britischen Sender BBC. Mladic müsse so rasch wie möglich vor den Internationalen Strafgerichtshof für die Verbrechen im früheren Jugoslawien gelangen.
Der Krieg in Bosnien und Herzegowina dauerte von 1992 bis 1995. Er forderte rund 100’000 Tote.
Nach dem Auseinanderbrechen der Republik Jugoslawien setzten sich in Bosnien und Herzegowina grosse Teile der serbischen Bevölkerung für einen engen Anschluss an Serbien, viele Kroaten für einen Anschluss an Kroatien und die Bosniaken für einen eigenen Staat ein.
Die Spannungen eskalierten nach der im März 1992 verkündeten Unabhängigkeit der Republik Bosnien und Herzegowina (RBiH) und der Ausrufung einer bosnisch-serbischen Republik.
So genannte ethnische Säuberungen mündeten in bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen allen drei grossen Volksgruppen.
Die von der Republik Serbien unter Slobodan Milosevic militärisch stark unterstützten bosnischen Serben kontrollierten bald bis zu 70% des Territoriums von Bosnien und Herzegowina.
Auch internationale Vermittlungsbemühungen sowie der Einsatz von UNO-Truppen konnten über lange Zeit den Krieg nicht eindämmen.
Nachdem die serbische Seite 1995 in die Defensive gedrängt wurde, führten die Kriegsparteien Verhandlungen, die im Dayton-Vertrag zur Beendigung des Krieges führten.
Darin wurden die beiden weitgehend selbstständigen Teile von Bosnien und Herzegowina (bosniakisch-kroatische Föderation und Serbische Republik) als Bestandteile von Bosnien und Herzegowina festgeschrieben.
Gleichzeitig wurde eine internationale militärische und zivile Kontrolle des Landes vereinbart, die bis heute anhält.
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