So verändert sich das Leben, wenn man Bundesrätin wird
Das Amt wird ihr Leben prägen, rund um die Uhr. Ab dem 1. Januar amten Karin Keller-Sutter und Viola Amherd als neue Mitglieder der Schweizer Regierung. Ab sofort können sie keinen Schritt mehr vor die Haustür machen, ohne erkannt zu werden. Ein persönlicher Mitarbeiter ehemaliger Bundesräte weiss, was das heisst.
Wo sie auftauchen, sind nun alle Augen auf sie gerichtet:
- am neuen Arbeitsplatz, wo sie hunderten Mitarbeitern vorstehen, wo schon morgen Dutzende Entscheidungen von ihnen erwartet werden, obwohl sie erst seit gestern mit einer Flut von Informationen über Rechte und Pflichten, Dossiers, Entscheidungsprozesse in Regierung und Verwaltung oder Sicherheitsmassnahmen eingedeckt wurden.
- bei öffentlichen Auftritten, wo unter anderen ein Heer von Medienleuten jedes Wort auf die Goldschale wirft
- im Privatleben – oder, was davon übrigbleibt –, wo sie überall erkannt werden.
«Die Mitglieder der Regierung sind sehr öffentliche Personen. Aber in unserem Land können sie auch heute noch das Tram benutzen oder wie Pascal Couchepin [Bundesrat von 1998 bis 2009] zu Fuss durch die Stadt Bern gehen und irgendwo einen Kaffee trinken gehen», sagt Stefan Nünlist, der persönlicher Mitarbeiter der ehemaligen Bundesräte Jean-Pascal Delamuraz und Pascal Couchepin war.
«Typisch schweizerisch»
Man wird nicht nur stehen bleiben, sich nach ihnen umdrehen, sie mit Namen grüssen, manche Leute werden den neuen Bundesrätinnen die Hand reichen wollen und spontan das Gespräch suchen.
«Delamuraz und Couchepin war das überhaupt nicht unangenehm. Im Gegenteil: Sie freuten sich sehr über solche persönlichen Kontakte. Das war vielleicht für beide eine Motivation, dieses Amt zu übernehmen», sagt Nünlist.
«Die meisten Leute freuen sich, einem Mitglied der Regierung zu begegnen. Es gibt nach wie vor viel Respekt und Wertschätzung gegenüber dem Amt und den Amtsträgerinnen. Das ist typisch schweizerisch», sagt Nünlist.
Stefan Nünlist
Bevor der Fürsprecher und Notar persönlicher Mitarbeiter der damaligen Bundesräte Delamuraz und Couchepin wurde, war Stefan Nünlist als Diplomat beim Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) tätig. Nach dem Rücktritt Couchepins war er Kommunikationschef zuerst bei den SBB, dann bei der UBS. Seit 2013 leitet er die Unternehmenskommunikation bei der Swisscom.
Sowohl die Walliserin wie die Ostschweizerin ziehen um in die Bundesstadt oder deren Nähe oder haben dort zumindest einen Zweitwohnsitz. Die Arbeit beginnt morgens um 7-Uhr und endet meistens erst nach 22- oder 23-Uhr.
Wie ihre Kollegen haben die Landesmütter Anspruch auf ein Repräsentationsfahrzeug inklusive Chauffeur und ein Dienstfahrtzeug für den persönlichen Gebrauch. Gemäss dem Aide-mémoireExterner Link können sie Marke und Ausführung des Dienstautos selbst wählen. Kosten darf dieses nicht mehr als 100’000 Franken. Zur kostenlosen Infrastruktur eines Regierungsmitglieds gehören auch Festnetzanschlüsse in den Wohnungen (inkl. Dienst- und Ferienwohnung) sowie ein Mobiltelefon.
Vorsicht Fettnäpfchen
Ein Stab von engen Mitarbeitenden wird zu verhindern versuchen, dass die Ministerinnen in Fettnäpfchen treten. Aber früher oder später werden trotzdem Witze über die «Neuen» kursieren, ob diese selber dafür sorgen oder nicht. Keller-Sutters Vorgänger, Johann Schneider-Ammann, lancierte 2016 mit seinem Video-Auftritt zum Tag der Kranken ungewollt einen Welthit, als er sich – mit steinerner Miene – dafür aussprach, der Gesundheit zu liebe mehr zu lachen.
«Offenbar hatten auch seine persönlichen Mitarbeiter die Komik dieses Auftritts nicht im Voraus erkannt, sonst hätten sie es nicht freigegeben», sagt Nünlist an die Adresse seiner Ex-Kollegen. «Damit konnte er sogar die Aufmerksamkeit Obamas auf sich ziehen.» Dass Schneider-Ammann später selber Witze darüber machte, sei ein Indiz dafür, dass er die wichtigste Fähigkeit einer Person mit Machtposition besass, nämlich eine gewisse Distanz zu sich selber zu bewahren.
Viel einstecken, niemals austeilen
Es wird kaum ein Tag vergehen, an dem Amherd und Keller-Sutter nicht in den Medien auftauchen. Sie werden viel einstecken und selber niemals austeilen dürfen. Speziell geschult werden sie dafür nicht.
Dass die Mitglieder der Regierung trotzdem nie die Fassung verlieren oder sogar ausrasten – Nünlist ist jedenfalls kein Fall bekannt – liegt laut dem Ex-Diplomaten an der speziellen Persönlichkeitsstruktur, welche die Kandidierenden wählbar macht. «Die Magistraten haben bei uns eine grosse politische Erfahrung. Sie können die Angriffe einordnen und unterscheiden zwischen persönlicher und fachlicher Kritik.»
Den Sprung in die Landesregierung schaffen seit eh und je fast ausschliesslich Mitglieder der Bundesversammlung.
Das habe seinen Grund, sagt der Ex-Bundesratsberater: «Das Parlament kennt seine eigenen Mitglieder in der Regel sehr gut und ist sich wohl bewusst, wen es wählt.» Das sei ein guter Filter, um die Leute auch vor sich selber zu schützen. «Das Amt verlangt sehr viel ab, und es braucht gewisse Voraussetzungen, um darin bestehen zu können.»
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