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Die zögerliche Anerkennung von Staatenlosen in der Schweiz

apatrides
Im November 2013 zeigt ein syrischer Flüchtling dem UNHCR seine in Syrien ausgestellte "Maktoumeen"-Karte. Dieses Dokument, das nicht registrierten staatenlosen Kurden ausgegeben wird, verleiht keinerlei Rechte oder Status. UNHCR

Die Schweiz ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gegenüber Staatenlosen besonders restriktiv. Dies zeigt eine neue Studie des Schweizer Büros des UNO-Hochkommissariats für FlüchtlingeExterner Link. Laut UNHCR gewichtet die Schweiz ihre Souveränität und die Bekämpfung von Missbrauch höher als die Schutzbedürfnisse jener Personen, die "kein Recht auf Rechte haben".

Das Phänomen tauchte erstmals mit der Gründung neuer Nationen auf den Ruinen der durch den Ersten Weltkrieg zerstörten Reiche auf: staatenlose Menschen. Es war eine gewalttätige und instabile Zeit, was sich auch auf die Ausstellung von Pässen und die Grenzkontrollen auswirkte.

Trotz den internationalen Übereinkommen über Flüchtlinge und StaatenloseExterner Link, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden, gibt es heute gemäss Zahlen des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) weltweit rund 10 Millionen Staatenlose.

Diese Realität wurde besonders nach den Massenmorden an den Rohingya deutlich. Jene Minderheit wurde durch den burmesischen Staat ihrer Nationalität beraubt. Nun wird Myanmar des Völkermords an dieser überwiegend muslimischen Gemeinschaft beschuldigt.

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Staatenlosigkeit beenden

2014 hatte das UNHCR die Kampagne #IBelongExterner Link («Ich gehöre dazu») lanciert, um bis 2024 der Staatenlosigkeit auf der Welt ein Ende zu setzenExterner Link. In diesem Rahmen hat das Schweizer Büro der UNO-AgenturExterner Link eine länderspezifische StudieExterner Link publiziert.

Die UNHCR-Studie liefert einige Details über die Herkunftsländer von Staatenlosen oder von Staatenlosigkeit bedrohten Personen: «Die kantonalen Behörden, die genauere Angaben bezüglich der Herkunftsländer von Staatenlosen oder Personen, für die das Risiko von Staatenlosigkeit besteht, machen konnten, erwähnten vor allem Syrien, China, Russland und die ehemalige Sowjetunion. Ausserdem wurden Palästinenserinnen und Palästinenser sowie Roma erwähnt. Ähnliche Angaben zu den Herkunftsländern beziehungsweise zu den Bevölkerungsgruppen wurden von den Anwälten und RBS (Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende) gemacht.

Dies auch mit dem Ziel, die Schweizer Behörden dazu zu bringen, eine Realität anzuerkennen, die sie gerne unterschätzen. Dieser Meinung ist auch die Anwältin Barbara von RütteExterner Link von der Universität Bern. Die Studie ermögliche, die wachsende Zahl von Menschen einzuschätzen, die in der Schweiz als staatenlos gelten könnten.

Innerhalb von fünf Jahren ist die Zahl der vom Staatssekretariat für MigrationExterner Link (SEM) als staatenlos anerkannten Personen um rund 150% auf über 600 gestiegen. Laut UNHCR sind jedoch mehr als 1000 weitere Menschen betroffen. Die Schweizer Behörden stufen diese als «ohne Nationalität» oder als Angehörige eines «unbekannten Staats» ein.

Laut UNHCR wären jedoch zumindest einige dieser Menschen wahrscheinlich berechtigt, den Status von Staatenlosen zu erhalten. Damit hätten sie auch gewisse Rechte, die ihnen durch mehrere internationale ÜbereinkommenExterner Link gewährt werden.

Schweiz markiert Härte

Die Situation in der Schweiz ist im Moment jedoch unklar. Die Behörde, die in der Schweiz den Status als Staatenlose gewähren kann, das SEM, räumt ein, dass es in diesem Bereich einige Mängel gebe.

«Die Schweiz unterstützte die Empfehlung des MenschenrechtsratsExterner Link, dass unter anderem die Definition von Staatenlosigkeit vollständig mit derjenigen der Konvention von 1954 über die Rechtsstellung von Staatenlosen übereinstimmen sollte. In der Schweiz gibt es keine spezifische Gesetzgebung zur Staatenlosigkeit. Es gilt die Definition in Art. 1 des Übereinkommens von 1954Externer Link«, präzisiert das SEM gegenüber swissinfo.ch.

Antonio Gutterres mit Plakat #iBelong
Start der Kampagne #iBelong durch UN-Generalsekretär Antonio Guterres. SALVATORE DI NOLFI

Und das SEM doppelt nach, indem es im Sinn der Antwort des Bundesrats auf eine Interpellation der Sozialdemokratischen Nationalrätin Nadine MasshardtExterner Link vom Juni 2017 schreibt: «Gegenwärtig sieht der Bundesrat keinen Grund, das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997 und das Übereinkommen zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit vom 3. August 1961 zu ratifizieren, da die Schweiz anerkannten Staatenlosen bereits unter der heutigen Gesetzgebung weitgehenden Schutz bietet.»

Zu den allgemeinen Empfehlungen des UNHCRExterner Link gehört, dass Kindern von Staatenlosen die Staatsangehörigkeit des Landes, in dem sie geboren wurden, zuerkannt werden sollte. In der Schweiz gibt es laut SEM keinen solchen Automatismus.

«Laut Art. 38 Abs. 3 der Bundesverfassung unterstützt die Eidgenossenschaft die Einbürgerung von staatenlosen Kindern. Artikel 23 des BüG [Bürgerrechtsgesetz] konkretisiert diese Bestimmung. Laut Art. 23 Abs 1 des BüG kann ein minderjähriges staatenloses Kind ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn es einen Aufenthalt von insgesamt fünf Jahren in der Schweiz nachweist, wovon ein Jahr unmittelbar vor der Gesuchstellung.»

Das Privileg der Staatsangehörigkeit

In der Realität aber ist der Erwerb der Schweizer Staatsbürgerschaft nach wie vor schwierig. «Die Schweiz gehört in diesem Bereich zu den restriktivsten Ländern in Europa «, sagt Barbara von Rütte. «Und sie ist eines der letzten Länder, die im Wesentlichen das Gesetz des Blutes im Gegensatz zum Gesetz des Bodens anwenden.»

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