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«Doppelter Sieg» für Klimaaktivisten

Demonstranten
Klimaaktivisten demonstrieren vor der Credit Suisse. © Keystone / Jean-christophe Bott

Klimaaktivisten, die in einer Filiale der Schweizer Grossbank Credit Suisse Tennis gespielt haben, sind vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen worden. Begründung: Sie hätten aus rechtfertigendem Notstand gehandelt. So reagieren Schweizer Medien auf das überraschende Urteil.

Nach Ansicht des Einzelrichters war das Vorgehen der zwölf Klimaaktivisten angesichts der Klimakatastrophe «notwendig und angemessen». Die Aktion in den Räumlichkeiten der CS sei der einzige wirksame Weg gewesen, um die Bank zu einer Reaktion zu bewegen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erhalten.

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Die Klimaaktivisten kritisierten mit ihrer Aktion die CS, die mit dem positiven Image des Schweizer Tennisstars Roger Federer werbe und gleichzeitig Geld in klimaschädliche Projekte und Unternehmen investiere. Federer liess verlautbaren, dass er den Klimaaktivisten dankbar sei. Er sei sich seiner Verantwortung bewusst und wolle seine privilegierte Position für einen Dialog über diese wichtigen Fragen mit seinen Sponsoren nutzen.

So reagiert die Schweizer Presse

Das deutschsprachige Radio SRFExterner Link kommentiert in einer Analyse: «Für die Aktivisten ist es ein doppelter Sieg. Sie erreichten nicht nur den Freispruch vor Gericht, sondern auch viel Aufmerksamkeit – sogar die New York TimesExterner Link berichtete über den Prozess.» Der Prozess in Lausanne zeige, dass die Klima-Bewegung äusserst gut organisiert in der Kampagnenführung sei. «Schon im Falle einer Verurteilung hätten die Aktivisten viel erreicht gehabt mit diesem Prozess.» Mit den Freisprüchen werde die Klima-Bewegung nun klar in ihren Protesten gestärkt.

Laut der Tageszeitung NZZExterner Link könnte das Urteil den Umgang mit zivilem Ungehorsam für immer verändern. Zum ersten Mal seit dem Aufkommen der Klimabewegung gebe ein Schweizer Gericht Aktivisten recht und erachte zivilen Ungehorsam ausdrücklich nicht mehr als unzulässiges Mittel, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. «Die Anwälte übertreiben deshalb wohl nicht, wenn sie sagen, dass das Urteil Signalwirkung haben dürfte und der Tag in die Geschichtsbücher der Schweizer Rechtsprechung eingehen wird.» Die NZZ wünscht sich jedoch, dass sich noch weitere Gerichte mit der heiklen Fragestellung auseinandersetzen. Und die Aktivisten müssten aufpassen, keine autoritären Tendenzen aufkommen zu lassen (sie hätten beispielsweise den Medien die Berichterstattung diktieren wollen). «Und sie müssen lernen, dass in einem Land mit all seinen direktdemokratischen Einflussmöglichkeiten das Verständnis für zivilen Ungehorsam, trotz dem nun erfolgten Urteil, enge Grenzen hat und schnell in Ablehnung kippt», so die NZZ. Aber die Bewegung habe es trotz geringer Erfahrung geschafft, im politischen Diskurs mehr und mehr wahr- und ernst genommen zu werden. Von Weltstars – und nun sogar von einem Gericht.

Der Tages-AnzeigerExterner Link findet, der Freispruch im Lausanner CS-Prozess wegen Hausfriedensbruch sei brisant. «Mit ihrem Auftreten und mit ihren Aussagen machten die Aktivisten es dem Einzelrichter während der Verhandlung schwer, Politisches auszublenden und allein zum juristischen Kern vorzudringen.» Dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die CS (die meiste Zeit) durch Abwesenheit glänzten, habe den Aktivisten, deren Anwälten sowie den aufgebotenen Zeugen eine perfekte Plattform geboten. «Sie hatten die verbale Herrschaft, das Monopol in Umweltfragen – und überzeugten den Richter offensichtlich.»

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Die französischsprachige Westschweizer Tageszeitung Le TempsExterner Link publizierte einen Kommentar des FDP-Nationalrats Philippe Nantermod, der sich über den Freispruch ärgert. Die Anwälte hätten die Aktivisten mit Martin Luther King und Rosa Parks verglichen. Das sei eine seltsame Strategie, um die Schwere der Taten herunterzuspielen. Auch stört den Kommentator, dass die Aktivisten als Whistleblower dargestellt wurden, die ihre Karriere, ihre Familie, ihr Leben riskiert hätten. Die Aktivisten hätten allgemein bekannte Tatsachen verkündet, ohne etwas Ernstes zu riskieren. Nur zum Preis einer Verurteilung wären sie seiner Meinung nach als echte Sieger aus der Sache hervorgegangen.

Der Westschweizer Le CourrierExterner Link findet das Urteil mutig. Der Finanzplatz Schweiz könnte sehr wohl ein wenig zittern. Auf jeden Fall werde der Prozess das Verdienst gehabt haben, die Aufmerksamkeit auf die katastrophalen Auswirkungen der Investitionen in fossile Brennstoffe gelenkt zu haben. Dass die Justiz die drohende Gefahr der Klimakatastrophe anerkenne, gebe einen Hoffnungsschimmer für einen radikalen politischen Wandel, der jetzt und überall auf der Welt stattfinden müsse. Das Urteil verleihe den Klimaaktivisten Legitimität.

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