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Präsident Macron – das kleinere Übel

Der neu gewählte französische Präsident Emmanuel Macron an einer Siegesfeier. (AP Photo/Thibault Camus)

"Noch mal gut gegangen"… Die Schweizer Presse begrüsst die Wahl von Emmanuel Macron zum neuen französischen Präsidenten – wenn auch ohne grosse Begeisterung. Alle sind sich einig: Marine le Pen wäre das grössere Übel gewesen.

Die Vernunft habe gesiegt, schreibt die Neue Zürcher ZeitungExterner Link (NZZ). «Auf dieses Resultat haben alle gehofft», heisst es bei Tages-Anzeiger/BundExterner Link. Und der BlickExterner Link meint, das Schlimmste sei verhindert worden. «Das ist noch einmal gut gegangen», schreibt das St. Galler TagblattExterner Link. «Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn Marine le Pen den Einzug ins Elysée geschafft hätte», doppeln die Regionalzeitungen Aargauer Zeitung/Berner Zeitung/Luzerner ZeitungExterner Link nach.

Geringer Vertrauensbonus für Macron

Es ist denn auch mehr die Erleichterung über die Niederlage der rechtsextremen Le Pen denn eine echte Begeisterung für Macron, welche die Schweizer Presse über das Wahlergebnis jubeln lässt. Die Kommentatoren trauen Macron nicht viel zu: Dieser starte als schwacher Präsident, schreibt die NZZ. «Macrons Zielsetzungen und Überzeugungen scheinen merkwürdig unbestimmt – hat er überhaupt solche, mag man sich fragen.»

Tages-Anzeiger/Bund schreiben, Macron habe ein Problem: «Nach dem Wahlsieg muss er aus seiner Bewegung nun rasend schnell eine schlagkräftige Partei machen.» Die Zeitungen kritisieren auch Macrons Demokratieverständnis: Strittige Reformen wolle er notfalls per Verordnung verfügen.

Die Zeitungen Tribune de Genève/24 heuresExterner Link schreiben, Macron sei ein Präsident, der etwas Neues in Gang bringen wolle. Dafür müsse er sich aber beeilen, denn er habe keine Schonfrist.

Der Corriere del TicinoExterner Link warnt, dass sich die von Macron angekündigten Reformen als leere Versprechen herausstellen könnten und die Probleme vieler Franzosen ungelöst blieben. Die Hoffnungen vieler Bürger würden sich demzufolge in Desillusionierung wandeln und das Land in alten und wenig produktiven Dynamiken verharren.

Frankreich in der Krise

Von «Ende gut, alles gut» ist also keine Rede. Die Schweizer Presse ist sich einig: Frankreich steckt in grossen Problemen. Die Zeitung Le CourrierExterner Link moniert in einem Kommentar die vielen ungültigen und leeren Stimmen sowie die immerhin 34%, die Le Pen wählten. Darin würde sich die starke Unzufriedenheit in der französischen Bevölkerung ausdrücken.

Laut der Zeitung Le TempsExterner Link ist die Wahl Macrons klarer Ausdruck dafür, dass ein altes Land wie Frankreich tatsächlich einen Wandel sowie einen kompletten Neuanfang wolle. Doch wie gut sind die Zukunftsprognosen?

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Düstere Aussichten

Die NZZExterner Link schreibt, der neue französische Staatschef stehe vor grossen Herausforderungen, von der Arbeitslosigkeit bis zum Terrorismus. Ob der 39-jährige Senkrechtstarter Erfolg haben werde, sei höchst zweifelhaft. Laut NZZExterner Link muss sich Macron zudem darauf gefasst machen, dass er keine stabile Parlamentsmehrheit erringen könne. Er sei ein Präsident mit geringer Legitimität: Macron sei von den meisten Bürgern nicht aus Überzeugung gewählt worden, sondern nur deshalb, weil sie das grössere Übel Marine Le Pen verhindern wollten.

Etwas optimistischer ist das Onlineportal watson.chExterner Link: Natürlich sei es nicht leicht, die Banlieues und den industriell ausgepowerten Norden auf Vordermann zu bringen oder die grassierende Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Macron stehe vor einer Herkulesaufgabe. Er müsse seinem Land und der Europäischen Union neuen Schwung verleihen. Doch seine Aussichten seien nicht schlecht, denn er habe einen starken Trumpf. Diesen sieht Watson ausgerechnet in Marine Le Pen. Wie das? «Scheitert Präsident Macron, wird Le Pens Durchmarsch in fünf Jahren kaum zu verhindern sein.» Le Pen sei deshalb Macrons «Geheimwaffe», um Reformen durchzusetzen – im Inland und in Europa.

Was trauen Sie dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu? Erzählen Sie es uns in den Kommentaren!

Franzosen in der Schweiz wählten Macron

Hätten nur die in der Schweiz lebenden Franzosen über Frankreichs Präsidenten bestimmen können, so wäre Emmanuel Macrons Sieg in der Stichwahl am Sonntag noch deutlicher ausgefallen: In der Deutschschweiz stimmte bloss jeder zehnte für Marine Le Pen.

In den Deutschschweizer Wahlbüros gingen 9391 von 10’402 gültigen Stimmen an Macron, das entspricht 90,3 Prozent.

Etwas tiefer lagen die Zustimmungswerte für den künftigen Staatschef in der Romandie (84,6 Prozent) und dem Tessin (79,1 Prozent). Nimmt man die in der Schweiz gesamthaft abgegebenen, gültigen Stimmen (63’995) zusammen, liegt Macron (54’720 Stimmen) bei 85,5 Prozent. Leer waren 2971 Stimmzettel, ungültig deren 616.

(Quelle: sda)

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