Schweiz hofft, Untersuchungen 2013 abzuschliessen
Die Schweizer Ermittler, welche die eingefrorenen Vermögen der im Arabischen Frühling verjagten Diktatoren untersuchen, glauben, alle tunesischen Gelder gefunden zu haben. Für Ägypten muss die Bundesanwaltschaft noch tausende Überweisungen überprüfen.
Sei es Tunesien, Ägypten oder Libyen, die Schweiz hatte bei den Volksaufständen jeweils rasch reagiert und die Gelder der abgesetzten Diktatoren auf Schweizer Banken eingefroren.
Maria-Antonella Bino, stellvertretende Bundesanwältin, zieht nach eineinhalb Jahren der Ermittlungen Bilanz.
Die Dossiers des Arabischen Frühlings sind eine der Prioritäten der Schweizer Bundesanwaltschaft, die hofft, die Untersuchungen vor Ende des nächsten Jahres abschliessen zu können.
swissinfo.ch: Haben die eingefrorenen Geldbeträge auf Schweizer Banken seit den Ankündigungen des Bundesrates zu Beginn des Arabischen Frühlings zugenommen?
Maria-Antonella Bino: Bei den ägyptischen Geldern ist das der Fall: Zu den ursprünglich eingefrorenen Vermögenswerten des ehemaligen Präsidenten Mubarak von 410 Millionen Dollar sind bis zu diesem Stadium der Untersuchungen noch 290 Mio. dazugekommen.
Diese wurden in Folge der Untersuchungen der Bundesanwaltschaft im Rahmen von Strafverfahren betreffend Unterstützung oder Beteiligung an einer kriminellen Organisation gefunden.
Im Fall von Tunesien ist es bei den ursprünglich mitgeteilten 60 Millionen Dollar geblieben. Die Bundesanwaltschaft untersucht die tunesischen Vermögenswerte seit eineinhalb Jahren. Wir erwarten hier nicht, dass wir noch weitere Gelder illegaler Herkunft in der Schweiz finden.
Soweit wir wissen, wurde alles, was uns möglich war, unternommen. Die Beträge, die nach der vom Bundesrat verordneten Blockierung der Gelder beschlagnahmt wurden, und die während der Strafuntersuchung blockierten Gelder stimmen überein.
swissinfo.ch: In Ägypten hat ein Gericht in Kairo im Juni den Mubarak-Clan vom Vorwurf der Korruption freigesprochen. Welchen Einfluss haben solche Prozesse auf die Untersuchungen der Bundesanwaltschaft?
M.-A.B.: Es ist offensichtlich, dass die Entwicklung der Untersuchungen und Urteile betreffend gestohlener Güter und mutmasslicher Verantwortlicher in Prozessen wie dem Arabischen Frühling eine fundamentale Auswirkung auf das Vorankommen der Untersuchungen in der Schweiz haben.
Die Taten, gegen die wir ermitteln, haben ihren Ursprung in den betroffenen Ländern. Es ist daher wichtig, dass wir rasch über alle Entwicklungen in diesem Kontext informiert werden.
Natürlich analysieren wir die Tragweite von Urteilen, besonders in Ägypten, da es, wie man der ägyptischen Presse entnehmen kann, mehr als nur eines gegeben hat.
In anderen Worten, die inländischen Verfahren in Ägypten – wie übrigens auch in Tunesien – sind noch nicht abgeschlossen.
swissinfo.ch: Untersuchen Sie ausser den ägyptischen auch noch andere Fälle?
M.-A.B.: Wir untersuchen den Verdacht auf Geldwäscherei wie auch Unterstützung und Beteiligung an einer kriminellen Organisation im libyschen Kontext, im Bezug auf Syrien geht es um Geldwäscherei. Angeklagt sind Libyer und Syrer.
swissinfo.ch: Bundesanwalt Michael Lauber hat erklärt, die Schweiz sei das einzige Land, das in den Vermögens-Affären des Arabischen Frühlings vorwärtsmache. Ist das immer noch so? Arbeitet die Bundesanwaltschaft auch mit der Justiz anderer Länder als jener der Kläger zusammen?
M.-A.B.: Die Schweiz ist sehr fortgeschritten und wir kommen rasch voran. Wir arbeiten mit anderen Staaten zusammen, die von der gleichen Problematik betroffen sind. Es ist eine besonders fruchtbare Zusammenarbeit. Rechtshilfegesuche im ägyptischen wie im tunesischen Dossier sind am Laufen.
swissinfo.ch: Haben die Schweizer Ermittlungen einen Einfluss auf solche, die in anderen Ländern aufgenommen werden könnten?
M.-A.B.: Ich beantworte diese Frage rein persönlich: Die Schweiz war das erste Land, das Gelder blockiert hat, und wir sind bereits recht weit mit den Untersuchungen. Diese relativ weit fortgeschrittene Position könnte in anderen Ländern zu einem Dominoeffekt führen, beispielsweise weil wir Rechtshilfegesuche an andere Länder richten, die dank den in unserer Anfrage angegebenen Elementen eigene Untersuchungen aufnehmen.
swissinfo.ch: Können Sie abschätzen, wie lange die Untersuchungen noch andauern werden?
M.-A.B.: Was die Schweizer Untersuchungen und ihren Erfolg betrifft, möchten wir nicht in Jahren, sondern in Monaten rechnen. Doch eine solche Prognose zu wagen, ist sehr schwierig. Das Vorankommen einer Beweisaufnahme hängt von verschiedenen Faktoren ab und nicht nur von den Möglichkeiten der Ermittler.
Die von den Untersuchungen betroffenen Personen haben das Recht, gegen fast alle Ermittlungen zu rekurrieren. Je nach Komplexität der gestellten Fragen braucht es zwischen einem und acht Monaten, bis der Rekurs vom Bundesstrafgericht behandelt wird. Und der Entscheid des Bundesstrafgerichts kann, in einigen Fällen, sogar selber zum Objekt eines Rekurses werden. Das führt dann wieder zu Verlängerungen von mehreren Monaten.
Ich kann nur daran erinnern, dass die Dossiers des Arabischen Frühlings eine der Prioritäten der Bundesanwaltschaft sind, wie das Bundesanwalt Michael Lauber zu Beginn seines Mandats bereits erklärt hat. Also bemühen wir uns, einen Teil unserer Ressourcen für das Vorankommen dieser Untersuchungen aufzuwenden.
swissinfo.ch: Fehlen der Bundesanwaltschaft immer noch Leute, um diese komplexen Dossiers behandeln zu können?
M.-A.B.: In dieser Art von Ablauf könnte man immer 10 bis 20 Personen mehr einsetzen. Das bestimmt aber nicht unbedingt die Effizienz der Bundesanwaltschaft. Zuallererst braucht man eine gute Strategie, man muss im richtigen Moment die richtigen Entscheide treffen und auch etwas Glück haben.
Gegenwärtig arbeiten etwa 20 Personen (Polizei, Ermittler und Finanzanalysten) an den tunesischen und ägyptischen Dossiers. Die Untersuchungen bleiben eine komplexe Angelegenheit.
Schon nur im ägyptischen Dossier werden etwa 140 Bankbeziehungen untersucht. Unsere Finanzexperten haben bereits mehr als die Hälfte untersucht. Die Analyse jeder Bankverbindung fächert sich auf in 200 bis 5000 Finanztransaktionen. Man kann sich die Grösse dieser Aufgabe unschwer vorstellen.
Die Schweiz hat mehrere Initiativen lanciert, um die internationale Koordination bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität von politisch exponierten Personen (PEP) zu verbessern.
Zu diesem Zweck unterstützt die Schweiz finanziell beispielsweise das International Center for Asset Recovery (ICAR) in Basel sowie die Stolen Assets Recovery Initiative (StAR), die vom United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) und der Weltbank (WB) im Jahr 2007 lanciert wurde.
Seit 2001 organisiert die Schweiz informelle Treffen von Regierungsexperten in Lausanne.
Im Juni 2010 hat die Schweiz zudem gemeinsam mit StAR (UNODC und WB) in Paris eine internationale Konferenz zum Thema «Rückgabe von Potentatengeldern und Entwicklung» organisiert.
Bei den Verhandlungen des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption (UNCAC) hat sich die Schweiz ferner für die Verpflichtung eingesetzt, unrechtmässige Guthaben an die Herkunftsländer zurückzuerstatten und die Opfer zu entschädigen.
Die Schweiz hat das Übereinkommen am 24. September 2009 ratifiziert, am 24. Oktober 2009 ist es in Kraft getreten.
(Quelle: EDA)
Tunesien: Am 19. Januar 2011, also weniger als eine Woche nach dem Sturz der tunesischen Regierung, blockierte die Schweiz Vermögenswerte, die in Zusammenhang mit Tunesiens Expräsident Ben Ali und etwa 40 Personen aus dessen Umfeld stehen. Gegenwärtig sind 60 Mio. Dollar von Vertrauten des Ben-Ali-Clans auf Schweizer Konten eingefroren.
Ägypten: Am 11. Februar 2011 blockierte die Schweiz Vermögen von Hosni Mubarak und seinen engsten Vertrauten. Zu den damals 410 Mio. Dollar gesellten sich in der Zwischenzeit weitere 290 Mio., die anderen Mitgliedern des abgesetzten Regimes oder deren Verwandten gehören.
Libyen: Am 24. Februar 2011 blockierte der Bundesrat fast 650 Mio. Franken von Muammar Gaddafi und dessen Clan auf Schweizer Konten. Gegenwärtig sind nur noch etwa 100 Mio. blockiert, der Rest wurde im Rahmen einer UNO-Resolution bereits an Libyen zurückerstattet.
Syrien: Auf Grund der blutigen Repression des Regimes von Baschar al-Assad schloss sich der Bundesrat am 18. Mai 2011 den Sanktionen der Europäischen Union an. Knapp 70 Mio. Franken auf Bankkonten wurden eingefroren. Die «Schwarze Liste» der Behörden umfasst seit Juni dieses Jahres über 120 Personen und 40 Unternehmen und Gesellschaften, die in Beziehung zum syrischen Präsidenten stehen.
Usbekistan: Im August 2012 blockierte die Schweiz im Rahmen von Ermittlungen gegen vier Usbeken wegen Verdacht auf Geldwäscherei mehrere Dutzend Millionen Franken. Die Bundesanwaltschaft gab an, das Geld befinde sich auf verschiedenen Schweizer Bankkonten. Laut dem Radio und Fernsehen der französischsprachigen Schweiz (RTS) stehen Vertraute des usbekischen Präsidenten Islam Karimow im Zentrum der Ermittlungen.
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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