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Eine Beziehung zwischen Sympathie und Vorsicht

Vertreter Israels, Ägyptens und der Vereinten Nationen sitzen um ein Tischrechteck herum, vorne Kameraleute
Vertreter der israelischen und ägyptischen Armee sowie der Vereinten Nationen während der Nahost-Friedenskonferenz im Dezember 1973 in Genf. Keystone

Vor 70 Jahren, am 14. Mai 1948 erklärte Israel seine Unabhängigkeit. Nach einigem Zögern anerkannte die Schweiz den neuen Staat Anfang 1949. In den folgenden Jahren versuchte Bern vor allem, die wirtschaftlichen Interessen und die Sympathie vieler Bevölkerungsteile für Israel mit dem neutralen Status der Schweiz in Einklang zu bringen.

Die Beziehungen der Schweiz und Israel reichen weit zurück. In Basel fand 1897 der erste Zionistenkongress statt, zahlreiche folgten. Seit 1927 betrieb der Bund ein Konsulat in Jaffa. Doch als Israel am 14. Mai 1948 seine Unabhängigkeit ausrief, reagierte Bern mit Vorsicht.

Schweizer Bürgerinnen und Bürger in Israel

  • 1930: 70
  • 1939: 240
  • 1953: 470
  • 1975: 2000
  • 1986: ca. 4000
  • 2005: 11’570 (9151 Doppelbürger)
  • 2016: 19’433 (16’051 Doppelbürger)

Israel ist das asiatische Land, in dem die meisten Schweizer Bürgerinnen und Bürger leben.

(Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz / Seco)

«Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 23. Juli 1948 beschlossen, den Entscheid über die Anerkennung des Staates Israel zurückzustellen. […] Aus politischen Erwägungen war […] Zurückhaltung geboten, weil frühzeitige Anerkennung eines um seine Existenz kämpfenden Staates von seinen Gegnern mit Recht als Begünstigung […] betrachtet wird», heisst es im Protokoll der BundesratssitzungExterner Link vom 25. Januar 1949.

«Für die Schweiz war es aus Gründen der Neutralitätspolitik wichtig, den richtigen Moment zu finden, Israel anzuerkennen. Bern machte seinen Entscheid von den Absichten der anderen westeuropäischen Staaten abhängig», sagt Sacha Zala.

Zala ist Direktor der Diplomatischen Dokumente der SchweizExterner Link (Dodis) und gemeinsam mit Yves Steiner Autor eines Essays über die Rolle der Schweizer Diplomatie im Nahen OstenExterner Link zwischen 1945 und 1975. Dieser kam auf Französisch in der Revue «Relations internationales» heraus. Eine deutsche Version soll demnächst in der digitalen Essay-Revue von Dodis erscheinen.

«Der Bundesrat befürchtete auch Auswirkungen auf wichtige Handelsbeziehungen mit arabischen Ländern, besonders mit Ägypten, und mögliche Repressalien gegen die Schweizerkolonie am Nil. Zudem stand das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten den sozialistischen Tendenzen Israels skeptisch gegenüber und befürchtete, der neue Staat könnte eine zu enge Verbindung zum Ostblock haben», so Zala weiter.

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Vorsichtige Anerkennung

Nachdem von den westlichen Staaten positive Signale kamen und eine Waffenstillstands-Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien zustande gekommen war, beschloss Bern am 28. Januar 1949, die Staaten Israel und Jordanien faktisch anzuerkennen. Zwei Monate später folgte die juristische Anerkennung.

1949 eröffnete die Schweiz in Tel Aviv eine diplomatische Vertretung, die jedoch erst 1951 in eine Gesandtschaft (heute Botschaft) umgewandelt wurde.

Trotz anfänglicher Bedenken knüpften die beiden Staaten rasch intensive Handelsbeziehungen: 1951 befand sich die Schweiz bereits an dritter Stelle der Warenlieferanten nach Israel, hinter den USA und Grossbritannien.

Trotzdem hielt es die Schweiz für politisch unangebracht, ein echtes Handelsabkommen mit Israel abzuschliessen. Probleme, die im Zusammenhang mit dem Devisenmangel des neuen Staates standen, wurden in einem Clearing-Abkommen behandelt.

1956 brachte unter anderem die Suez-Krise die Beziehungen zu Israel an einen Wendepunkt: Einerseits führten die von Präsident Nasser geförderten Verstaatlichungen zu einer Abkühlung der Beziehungen zu Ägypten, andererseits begünstigte die klare Positionierung Israels im westlichen Lager eine Annäherung an Bern.

Der israelische Premierminister Menachem Begin beim Besuch einer Schweizer Synagoge
Der israelische Premierminister Menachem Begin bei einem Besuch der Schweizer Synagoge in Genf im Februar 1971. Keystone

Pro-israelische Begeisterung

Ab dem Beginn der 1960er-Jahre waren auch in der öffentlichen Meinung eindeutig pro-israelische Positionen festzustellen. Geprägt durch Erfahrungen in israelischen Kibbuzim sympathisierten viele Vertreterinnen und Vertreter der Linken und der Genossenschaftsbewegung mit dem jungen Staat.

«Aus der Sympathie für die israelische Sache in der Schweizer Bevölkerung wurde während des Sechstagekrieges im Juni 1967 eine regelrechte Euphorie», sagt Zala. «Die Drohungen Nassers, welche die Angst vor einem neuen Holocaust weckten, trugen zu dieser Reaktion bei. Ausserdem identifizierte man sich ideologisch stark mit dem kleinen israelischen Staat und dessen militärischen Erfolgen.»

Der Bundesrat reagierte zu Beginn der Feindseligkeiten mit einer MitteilungExterner Link. Die Landesregierung wollte vor allem ihre Bestürzung über die Ereignisse im Nahen Osten zum Ausdruck bringen und behauptete, in perfekter Harmonie mit dem Volksempfinden zu sein, «dem in diesen Tagen erneut und stark bewusst geworden ist, dass der neutrale Kleinstaat in der Treue zum Recht und in der Bekräftigung seines entschlossenen Wehrwillens die erste Voraussetzung zur Sicherung seiner Existenz und seiner Lebensrechte findet».

Diese etwas unglückliche Formulierung wurde von den Vertretern der arabischen Länder als klare Haltung zugunsten Israels gelesen. Am Tag darauf sprachen acht arabische Missionsleiter beim Schweizer Aussenminister Willy Spühler vorExterner Link, um gemeinsam ihren Protest zum Ausdruck zu bringen. «Eine noch nie dagewesene Aktion», betont Zala.

Neudefinition der Nahostpolitik

Auch in den darauffolgenden Jahren überwog die pro-israelische Haltung der Schweiz. So etwa während des Jom-Kippur-Kriegs 1973, oder als die Schweiz ihre Subventionen an die Unesco nach einer kritischen Resolution der Organisation zu Israel im Jahr 1975 kürzte.

«Ab den 1970er-Jahren bemühte sich die Schweizer Diplomatie, ihre Position zum Nahostkonflikt klarer zu definieren.»
Sacha Zala, Historiker

Andererseits stieg das Bewusstsein der Schweizer Behörden, dass der Konflikt im Nahen Osten eine aktivere diplomatische Rolle erfordert. Dies nicht zuletzt nach den palästinensischen Terroranschlägen von 1969 und 1970, in welche die Schweiz hineingezogen worden war.

1973 besuchte Aussenminister Pierre Graber zuerst Ägypten, dann Israel, womit er eine «neutrale» Neupositionierung der Schweiz begann. Im Jahr darauf genehmigte der Bundesrat auf Antrag der Vereinten Nationen (UNO) die Eröffnung eines Büros der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Genf.

«Ab den 1970er-Jahren bemühte sich die Schweizer Diplomatie, ihre Position zum Nahostkonflikt klarer zu definieren. Die Schweiz anerkannte, dass sie sich gegenüber der arabischen Welt mehr öffnen musste», sagt Zala.

«Zur Palästinenserfrage bestand das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten klar darauf, dass es sich hier nicht nur um eine humanitäre, sondern auch um eine territoriale und nationale Frage handle, für die Lösungen gesucht werden müssten.»

In den Jahren darauf liess auch das Mitgefühl der Schweizer Bevölkerung gegenüber Israel nach, besonders nach dem Libanonkrieg 1982, nach der ersten Intifada von 1987 und vor allem nach der zweiten Intifada von 2000.

Abkommen zwischen der Schweiz und Israel

Ein erstes Abkommen zwischen der Schweiz und Israel regelte 1951 die Besteuerung der Fluggesellschaften beider Länder. Im Jahr darauf folgte ein weiterer Luftfahrtvertrag.

1956 regelten die beiden Länder ihre Handelsbeziehungen durch den Austausch diplomatischer Noten.

1965 schlossen die Schweiz und Israel ein Schlichtungs-, Vergleichs- und Schiedsabkommen, seit 1967 verzichten sie auf eine Visumspflicht.

1992 regelten die beiden Länder den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten.

Seit 1993 werden die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Israel im Rahmen des Freihandels-Abkommens zwischen Israel und Ländern der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA geführt.

2003 schliesslich folgte ein Doppelbesteuerungs-Abkommen.

(Quelle: Seco)

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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