Schweizer Parteien klopfen lieber an Türen als auf Instagram zu posten
Die grossen Schweizer Parteien sind im Wahlkampf alle auf Social Media aktiv. Trotzdem sind die sozialen Medien auch im Jahr 2019 nicht wichtiger als der Wahlkampf auf der Strasse. Warum das so ist? Wir haben nachgeforscht.
Eine junge Frau sitzt mit dem Rücken zum Betrachter vor einer idyllischen Berglandschaft. Unter dem Post auf Instagram steht: “Wir wünschen euch ein schönes und sonniges Wochenende!”, 54 Likes. Dies ist einer der 57 Posts, den die Jungpartei der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), die Junge CVP, seit Anfang August abgesetzt hat.
Damit ist die Junge CVP nach der Sozialdemokratischen Partei (SP) am aktivsten auf Instagram, seit der Wahlkampf Anfang August in die heisse Phase ging. Das zeigt sich, wenn man die Accounts auf nationaler Ebene anschaut. Neben den nationalen Accounts haben alle Parteien kantonale Sektionen mit eigenen Instagram-Accounts, die Mutterparteien, als auch die Jungparteien.
Bei der Jungen CVP auf InstagramExterner Link finden sich nicht nur thematische Posts und Portraits von Kandidierenden, sondern auch etwa schöne Landschaftsbilder. “Wir verfolgen auf Instagram die Strategie, eine Mischung aus unseren Forderungen, Statements von Personen und Bildern zu zeigen. Bei Bildern handelt es sich meist um Bilder unserer Aktionen”, sagt die Präsidentin der Jungen CVP, Sarah Bünter.
Auch die Jungen Grünen sind besonders aktiv auf Instagram. Und sie haben Erfolg: Mit insgesamt über 3500 Followern hat die Jungpartei* jene der Mutterpartei auf Instagram überholt. Die meisten Jungparteien sind aktiver auf Instagram als ihre Mutterparteien. So hat beispielsweise die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) auf ihren nationalen Accounts seit dem 1. August gerade mal 19 Mal gepostet, die Jungfreisinnigen über 50 Mal.
*nationale Accounts inklusive dem italienischen Account des Kantons Tessin
Instagram liegt vor allem den Jungparteien. Die Social Media Plattform gehört bei Jugendlichen heute zu den beliebtesten. Für den ersten News-Kontakt nutzen heute bereits 9% aller Personen zwischen 18 und 24 Jahren InstagramExterner Link. In der Schweiz haben laut der Social-Media-Nutzungsstudie JAMESExterner Link 87% der 12-19-Jährigen einen Instagram-Account.
Facebook, Twitter und Instagram ist bei allen grossen Parteien im Vergleich zu 2015 wichtiger geworden, die Präsenz ist heute selbstverständlich. Instagram ist im Gegensatz zu Facebook in diesem Wahlkampf für einige neu. “Vor vier Jahren hatten wir noch keinen Instagram-Account, jetzt ist er bereits ganz normal”, sagt Martin Stucki, Kommunikationschef bei der FDP.
Facebook war schon bei den vergangenen Wahlen als Kampagnenmittel etabliert. Während die Parteien nach wie vor die grösste Reichweite haben, ist das Zielpublikum aber markant älter als auf Instagram. Die Partei mit der grössten Reichweite auf Facebook ist die Schweizerische Volkspartei (SVP).
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Posted by SVP SchweizExterner Link on Thursday, September 19, 2019Externer Link
Der Vorteil von Facebook ist nach wie vor, dass Links gesetzt werden können – zum Beispiel auf Webseiten oder Newsletter. Auf Facebook kann auch gezielt Werbung geschaltet werden. Die FDP hat im August eine grosse Facebook-Kampagne mit über 2000 Wahlsujets geschaltet, wie der Tages-Anzeiger analysiert hatteExterner Link.
«Wahlkampf vor Ort gewinnen»
Wie wichtig sind die sozialen Netzwerke im Wahlkampf 2019 also wirklich? Auf die Frage danach sagen die Parteien unisono: Sie sind wichtig, dienen aber als Ergänzung der traditionellen Kampagnen mit etwa Plakaten und Inseraten, und ersetzen sie nicht. Michael Girod, Kommunikationschef bei der CVP sagt: «Der Wahlkampf wird vor allem vor Ort gewonnen.» Girod fügt an, die Partei kommuniziere mit den Menschen direkt, im öffentlichen Raum und nun «zunehmend auch im digitalen Raum».
Wahlen auf der Strasse gewinnen – ist das 2019 wirklich noch so? Moritz Friess, Berater für Online-Marketing, bejaht zwar, sagt aber auch, er hätte sich eine clevere Verzahnung der traditionellen Wahlkampfmittel und Social Media gewünscht. Aktuelles Beispiel: Die Plakatkampagne der SP, die es seit Montag gibt, findet sich auf Facebook nicht. Dort könnte man nun zusätzlich Werbung schalten, findet Friess.
Die Facebook Ad LibraryExterner Link, das Online-Archiv, welches Politreklamen beinhaltet, die von Parteien auf Facebook und Instagram publiziert werden, zeigt: Von den sichtbaren geschalteten Kampagnen der SP Schweiz sind am 26. September gerade mal zwei aktiv.
Schweizer Social-Media-Landschaft ist fragmentiert
Der Schweizer Wahlkampf auf Social Media ist besonders, wie auch die Parteienlandschaft selbst: Beide sind fragmentiert. Dies erschwert es den Parteien, auf Social Media viele Leute zu erreichen, sagt Digital-Marketing-Experte Friess. “Es gibt vier Landessprachen und es gibt jeweils bis zu 26 Parteisektionen auf kantonaler Ebene. Politiknerds finden sich hier vielleicht zurecht; nicht aber eine durchschnittlich interessierte Bürgerin», sagt Friess.
Die Suche nach dem eingangs erwähnten Account der Jungen CVP auf Instagram ist zum Beispiel nicht einfach: Gibt man «Junge CVP» in die Suche ein, erscheinen die Accounts aus Graubünden, Zürich, Solothurn, dem Wallis. Es dauert eine Weile, bis man den richtigen findet. Das kann auch abschrecken.
Nicht alle Sprachen abgedeckt
Interessant ist auch: Nicht alle grossen Parteien sind in den sozialen Medien in allen Landessprachen vertreten. Nur die SP, die Grünliberalen und die Grünen haben einen Twitter-, Facebook- und Instagram Account auf französisch, deutsch und italienisch.
Die SVP beispielsweise fokussiert klar auf Deutsch. Auf Twitter ist das deutlich: Der deutschsprachige Account hat 12’600 Follower, der französischsprachige nur 2032. Auf Instagram gibt es bis anhin keine französische Version. Kommunikations-Chefin Andrea Sommer sagt dazu: «Es ist immer auch eine Frage der Ressourcen. Wenn man etwas gut machen will, dann muss man sich beschränken.»
Wenig Social-Media-Personal
Wir haben bei den sieben grossen Schweizer Parteien nachgefragt, wer sich innerhalb der Partei um Social Media kümmert. Das Ergebnis: Es variiert von Partei zu Partei. Meistens betreut ein Teil des Kampagnenteams Social Media – neben anderen Aufgaben. CVP und die Grünliberale Partei (GLP) haben nach eigenen Angaben externe Agenturen, die sie mit ihren Social Media Kampagnen unterstützen.
Grüne, GLP, SP und BDP sind die einzigen Parteien, die eine Angestellte oder einen Angestellten haben, der oder die sich ausschliesslich um Social Media kümmert. Die CVP, die SVP und die FDP, drei der vier grössten Parteien in der Schweiz, haben keinen Mitarbeiter, der ausschliesslich für Social Media verantwortlich ist. Moritz Friess ist erstaunt darüber: “Ich glaube nicht, dass die Parteien ohne professionelle Hilfe ihre Social-Media-Kommunikation nebenbei machen können. Das braucht Zeit und Expertise”.
Auch wenn ein Grossteil der Kandidierenden 2019 auf Social Media präsent istExterner Link, gilt das längst nicht für alle Politiker. Nicht einmal für die bekannten. Wenn die Fraktionspräsidenten nicht mal auf allen Kanälen zu finden sind, zeigt das, dass immer noch nicht alle Präsenz in den sozialen Medien für absolut notwendig halten.
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