Vereitelte Entführung wirft hohe Wellen
Türkische Agenten versuchten, einen Landsmann und Gegner der Erdogan-Regierung in der Schweiz zu entführen. Die Affäre sorgt in Bundesbern für Empörung.
Die Szene könnte aus einem Spionagethriller stammen. Im August 2016 versuchen drei türkische Geheimagenten auf einem Zürcher Friedhof, einen Landsmann zu überzeugen, ihnen bei der Entführung eines schweizerisch-türkischen Geschäftsmanns behilflich zu sein. Letzterer wird verdächtigt, ein Unterstützer des Predigers Fethullah Gülen zu sein. Dieser lebt im Exil in den USA und gilt in Ankara als Anstifter des Militärputschs vom 15. Juli gleichen Jahres.
Für eine fürstliche Belohnung ist der Helfer einverstanden, dem Zürcher Geschäftsmann einige Tropfen eines starken psychotropen Mittels ins Essen zu träufeln. Das Mittel GHB ist unter anderem Namen als K.o.-Tropfen bekannt.
Doch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) kommt dem Vorhaben zuvor. Er hatte die Männer diskret überwacht. Die Fotos des heimlichen Treffens auf dem Friedhof zeigen, dass dort auch zwei hochrangige Mitglieder der türkischen Botschaft in Bern anwesend waren.
Untersuchung wird fortgesetzt
Wie die Zeitungen Tages-Anzeiger und Der Bund am Donnerstag berichteten, hat die Bundesanwaltschaft (BA) eine Untersuchung wegen politischen Nachrichtendiensts und versuchter Entführung durch einen Staat ins Ausland aufgenommen.
Doch es stellt sich auch eine politische Frage: Ebenfalls am Donnerstag kündigte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) an, dass auch gegen die zwei ranghohen Diplomaten der türkischen Botschaft ermittelt werden könnte.
«Ich bin empört, dass ein Staat die Souveränität der Schweiz derart verletzt. Man muss darauf reagieren.»
Carlo Sommaruga, Nationalrat Sozialdemokratische Partei
Das EDA erklärte, die Tatsachen, die gegen diese beiden Personen vorgebracht würden, gehörten nicht zu ihren diplomatischen Aufgaben. Deshalb stelle sich die Frage einer eventuellen diplomatischen Immunität nicht. Die beiden könnten jedoch Rekurs gegen diesen Entscheid einlegen.
Die BA kann also weiter ermitteln. Bleibt die Frage, ob die Schweiz möglicherweise diplomatische Sanktionen gegenüber der Türkei ergreift. Bis zur Stunde hat sich das EDA nicht dazu geäussert. Es erinnert aber daran, dass es alle illegalen Spionageaktivitäten auf Schweizer Boden klar verurteile. Aussenminister Ignazio Cassis hat sich noch nicht dazu geäussert.
Heftige Reaktionen in Bern
Im Parlament hingegen, das gegenwärtig zur Frühjahrssession zusammenkommt, löste die Einmischung eines Drittstaates auf schweizerischem Territorium heftige Reaktionen aus. Laut der Tageszeitung Le Matin geht die letzte derartige Einmischung auf das Jahr 1935 zurück. Damals hatten die Nazis in Basel den Journalisten Berthold Jacob durch die Gestapo entführen lassen.
Für den sozialdemokratischen Nationalrat Carlo Sommaruga kann die Schweiz nicht untätig zusehen. «Ich bin empört, dass ein Staat die Souveränität der Schweiz derart verletzt. Man muss darauf reagieren», sagt der Genfer. Er fordert, dass der Schweizer Botschafter in Ankara zurückgerufen wird, die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen ausgesetzt werden und sogar die Visaliberalisierung für die Türkei abgelehnt wird.
«Das ist eine aggressive Operation gegen die Souveränität unseres Landes, durchgeführt durch einen totalitären Staat gegen einen Schweizer Bürger. Jetzt ist der Moment, zu reagieren», sagte Peter Regli, ehemaliger Chef des NDB, gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen RTS.
Seit dem gescheiterten Militärcoup in der Türkei hätten die Geheimdienste Ankaras den Auftrag, Türken, die nicht der Meinung ihres Präsidenten seien, im Ausland zu verfolgen, betonte Regli. Er präzisierte: «Solche Geheimdienst-Aktivitäten sind illegal.»
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