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Schweizer Bankmitarbeiter im Griff der US-Justiz

Mark Henley

Der Bundesrat hatte im April elf Banken grünes Licht zur Übergabe von Mitarbeiterdaten an US-Behörden gegeben. Das gab es noch nie. Finanzplatzvertreter sind empört, Politiker protestieren und verlangen dringliche Debatten.

«Um den Blitzschlägen des US-Fiskus zu entgehen, haben die Könige des Bankgeheimnisses die Namen ihrer Mitarbeiter ausgeliefert, die nun dazu verurteilt sind, sich in ihren Kantonen zu verstecken», hat sich die französische satirische Wochenzeitung Canard Enchainé vergnügt. Für den Canard handelt es sich dabei um eine «typisch schweizerische Tragikomödie».  

Doch in der Schweiz findet niemand diese Tragikomödie der Auslieferung von Daten über Tausende von Mitarbeitenden von gewissen Banken an die US-Justiz lustig. Einige sind der Ansicht, dass der Preis, der für das Bankgeheimnis bezahlt werde, ohnehin zu hoch geworden sei. Andere glauben, es handle sich um eine weitere unakzeptable Konzession der Schweiz an die USA, welche die Souveränität der Nation gefährde und den Finanzplatz Schweiz gefährde. 

Verratene Angestellte

Diese Konzessionen begannen 2009, als der Bundesrat der UBS zur Hilfe kommen musste. Diese war ins Visier der US-Justiz geraten, weil sie Tausenden von US-Bürgern geholfen hatte, Steuern in den USA zu umgehen oder zu hinterziehen. Erstmals in der Geschichte des Bankgeheimnisses übergaben Schweizer Behörden Daten von tausenden Kunden einer Schweizer Bank an einen anderen Staat.  

Bisher gab es solche Informationen höchstens tröpfchenweise, nach langwierigen administrativen Prozeduren und nur im Fall von klarem Missbrauch.  

2011 fanden sich weitere elf in der Schweiz operierenden Banken im Visier der USA wegen Verstössen gegen die Steuergesetzgebung: Sie hatten unter anderem zahlreiche der 2009 von der UBS verstossenen Kunden übernommen.  

Im Dezember verlangte das US-Justizdepartement von den Banken alle Dokumente, die ihre Geschäfte in den USA betreffen, inklusive der Namen jener Angestellten, die mit dem US-Markt zu tun hatten. Im April 2012 bewilligte die Schweizer Regierung schliesslich die Übergabe dieser Daten, um die Interessen der Banken zu schützen.

Fünf Bankinstitute haben Namen tausender von Angestellten und Beratern nach Washington ausgeliefert. In vielen Fällen wurden diese nicht einmal im voraus benachrichtigt, konnten sich also gar nicht wehren. Empört reagiert nicht nur der Bankensektor selbst, sondern auch die Politik. «Die Angestellten wurden auf üble Weise von ihren Chefs im Stich gelassen, welche die Lektion aus dem Fall UBS nicht begreifen wollten oder konnten», sagt der sozialdemokratische Nationalrat Jean Christophe Schwaab, Präsident des Bankenpersonalverbands Westschweiz.

Keine Schutzmassnahmen

Im Juni und im September 2012 haben rund zehn Parlamentarier in dringenden Interpellationen weitere Erklärungen vom Bundesrat verlangt. Besonders, ob er seitens der USA irgendwelche Garantien erhalten habe, dass die gelieferten Daten nicht dazu verwendet würden, diese Angestellten juristisch zu verfolgen. Keine, antwortete die Regierung allen. 

«Ich ging naiverweise von der Idee aus, dass der Bundesrat parallel zur Herausgabe der Namen Schutzmassnahmen ergriffen hätte», sagt, Yves Nidegger, Genfer Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP). «Genau dies habe ich gefragt – welche Massnahmen sind ergriffen worden? Und die Anworte des Bundesrats war: keine!» Nidegger sieht im Bankenbereich bereits erste Zeichen einer gewissen Panik aufkommen.

«Etliche Bankmitarbeitende wagen sich nicht mehr aus der Schweiz heraus. Einigen wurde sogar von der Direktion ihrer Banken nahe gelegt, nicht mehr ins Ausland zu reisen», sagt Schwaab. «Niemand kann diesen Leuten garantieren, dass sie nicht verhaftet werden. Und gerade das ist ja das Schlimmste: Sie müssen noch für einige Jahre in dieser Unsicherheit verharren.»

Keine andere Möglichkeit

Mit dieser Auslieferung der Namen sind die Rechtsnormen bezüglich behördlicher Beihilfe, Datenschutz und Schutz der Privatsphäre wahrscheinlich nicht eingehalten worden, vermuten Rechtsexperten. Die Genehmigung des Bundesrats dürfte ausserdem dem Artikel 273 des Strafgesetzbuchs zuwiderlaufen (Auskundschaftung von Fabrikations- und Geschäftsgeheimnissen, um sie einer fremden amtlichen Stlle zugänglich zu machen).

«Die Regierung hatte keine andere Wahl», sagt Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf. Ein staatliches Untersagen der Zusammenarbeit der Banken mit der US-Justiz hätte zahlreiche Arbeitsplätze in Gefahr gebracht und zur Schliessung anderer Banken beigetragen. Dabei wird auf das Schicksal der Bank Wegelin verwiesen, die sich im Januar 2012 gezwungen sah, ihre Tore zu schliessen, weil in den USA ein Verfahren gegen sie eröffnet wurde.

Doch diese Erklärungen des Bundesrats haben die Parlamentarier kaum überzeugt. Sie haben die Geschäftsprüfungskommmissionen beauftragt, mehr Licht ins Ganze zu bringen.  

Für Politiker der Rechten steht die nationale Souveränität auf dem Spiel: «Ein Staat kann nicht auf das Befolgen der eigenen Gesetzgebung verzichten. Das Recht ist die einzige Waffe, über die ein kleines Land wie das unsere gegenüber anderen verfügt», sagt Nidegger, auch Experte für internationales Recht. «Wenn wir nun unser eigenes Recht nicht mehr auf unserem Territorium ausüben, werden bald nicht nur die Amerikaner, sondern auch unsere Nachbarstaaten uns ihr Recht aufzwingen wollen.»

Geschäftsmodell Steuerflucht

Laut Nidegger darf sich die Schweiz dem internationalen Druck nicht beugen, um über das Bankgeheimnis hinaus auch ihren Finanzplatz zu schützen. «Das Ziel der USA ist es gar nicht, die Steuerhinterziehung auf der ganzen Welt zu verbieten, sonst würden sie ja ihre eigenen Steuerparadiese in Delaware oder Florida abschaffen. Die Suche nach unversteuertem Vermögen ist nur ein Vorwand, um unseren Finanzplatz anzugreifen.» Und wenn die Schweiz hier kapituliere, würde sie sich sicher nicht den Respekt der Amerikaner verschaffen.

Politiker der Linken sehen dies anders. Sie finden, die Schweiz könnte einen starken Finanzplatz nur dann behalten, wenn sie schnell eine Strategie der Transparenz und der sauberen Gelder übernehme.

  

«Dass wir heute von überall her derart unter Beschuss stehen, hat damit zu tun, dass die Schweizer Banken zu lange die Steuerflucht als Geschäftsmodell benutzten und damit die Gesetze anderer Länder verletzten», sagt Jean Christophe Schwaab. «Heute wissen wir doch, dass das Bankgeheimnis nicht dazu dient, die Privatsphäre zu schützen, sondern Steuerhinterzieher und -flüchtlinge zu decken.»

Die Geschäftsprüfungs-Kommission des Nationalrats hat sich am Dienstag zur Datenlieferung geäussert.

Laut der Kommission sind «die Beschlüsse des Bundesrats nach den damaligen Umständen und im Kontext der schwierigen Verhandlungen mit den US-Behörden nachvollziehbar».

Es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass diese Beschlüsse nicht rechtmässig gewesen seien. Der Bundesrat habe den Banken keinen «Freibrief» erteilt, «mit der Übermittlung von Mitarbeiterdaten deren Arbeits- oder Datenschutzrechte zu verletzen».

Trotzdem will die Kommission das Geschäft «nochmals vertieft im Hinblick auf allfälligen weiteren Handlungsbedarf» überprüfen.

Ebenfalls am Dienstag hat der Eidgenössische Datenschützer, Hanspeter Thür, die Banken dazu aufgefordert, basierend auf Artikel 8 des Datenschutz-Gesetzes den Mitarbeitenden Zugang zu den ausgelieferten Informationen zu gewähren.

Der Datenschützer forderte, Betroffene müssten vor weiteren Datenlieferungen neu informiert werden, sowohl über Art und Umfang der Dokumente wie auch über den Zeitraum, aus dem diese stammten.

Widersetze sich ein Bankangestellter der Absicht, dass seine Daten den US-Behörden bekanntgegeben werden und wolle die Bank seine Daten dennoch unanonymisiert übermitteln, solle die betroffene Person die Möglichkeit haben, die Datenlieferung vorab gerichtlich prüfen zu lassen (Interessensabwägung).

2009 wurde die UBS verurteilt, 780 Mio. Dollar Strafe zu zahlen, weil sie Tausenden von Klienten geholfen hat, vor den Steuern in den USA zu flüchten.

2011 eröffnete die US-Justiz eine Untersuchung gegen 11 in der Schweiz aktive Banken. Sie standen unter derselbem Verdacht. 

Am 9. Dezember forderte das US-Justizdepartement diese Banken auf, ihm bis Ende Jahr eine Dokumentation zu schicken, die ihre Geschäftstätigkeit in den USA umfasst, inklusive der Namen der betreffenden Bankangestellten.

Zuerst weigerte sich die Schweizer Regierung, diese Anfrage zu akzeptieren, weil die US-Behörden nicht bereit waren, den Bankangestellten Immunität zu garantieren.  

Auf Druck der USA und der betroffenen Banken willigte der Bundesrat am 4. April 2012 ein, die Namen an die USA auszuliefern, um die Interessen der betreffenden Institute zu wahren.

Die Angestellten hatten keine Möglichkeit, sich dieser Auslieferung entgegen zu setzen, weder betreffend die Identität betreffend Erhalt einer Kopie. Doch die Banken haben eingewilligt, ihnen Einsicht in die Daten zu geben. 

(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

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