Schweizer Hilfe nach Erdbeben in Haiti
Nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti vom Dienstag schickt die Schweiz ein Einsatzteam von Experten in den Karibikstaat. 3 Millionen Menschen seien vom Beben betroffen, schätzt das Rote Kreuz.
Ein Soforteinsatzteam von Experten hat die Schweiz am Mittwochmorgen in Richtung Haiti verlassen.
An Bord befanden sich drei Piloten, eine Pflegefachfrau sowie sieben Personen des Schweizerischen Roten Kreuzes, inklusive einem Arzt.
«Ein zweites Team mit Spezialisten für Medizin, Wasser und Notunterkünfte wird morgen nach Haiti reisen», kündigte die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey an einer Pressekonferenz an.
Die Schweiz hat entschieden, keine Rettungskette mit Spürhunden nach Haiti zu schicken. «Vor Ort herrscht ein Chaos», sagte Toni Frisch, der Vizedirektor der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza).
Die zerstörten Infrastrukturen erlaubten es nicht, 60 bis 100 Personen unterzubringen. Die Kommunikation sei sehr schwierig, die Strassen seien unterbrochen und der Zugang zum Flughafen sei eingeschränkt, begründete er.
Der Auftrag der ersten Gruppe ist es, das Programmbüro der Deza und die Schweizer Botschaft vor Ort zu verstärken, wie das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) auf seiner Internetseite bekanntgab.
Zurzeit gebe es keine Hinweise, dass sich Schweizer Staatsbürgerinnen oder Staatsbürger unter den Opfern befänden, vermeldete das EDA weiter.
«In Haiti leben 150 Schweizerinnen und Schweizer», sagte Calmy-Rey. «Über deren Verbleib gibt es zur Zeit keine Angaben.»
Der Inselstaat Haiti ist am Dienstag von einem Erdbeben der Stärke 7,0 erschüttert worden. Das Epizentrum lag in der Nähe der Hauptstadt Port-au-Prince.
Laut ersten Schätzungen des Internationalen Roten Kreuzes sind vom Erdbeben 3 Millionen Menschen betroffen. Wieviele Todesopfer es gab, lässt sich zur Zeit noch nicht sagen.
2,5 Mio. Soforthilfe
«In Haiti leben 80 Prozent der Bevölkerung mit einem Einkommen von weniger als 2 Dollar pro Tag», sagte Calmy-Rey.
Es handle sich um eines der ärmsten Länder der Welt. Deshalb sei die Schweiz dort seit längerem tätig. Seit der Nacht auf Mittwoch sei die humanitäre Hilfe des Bundes bereits im Einsatz.
Die Schweizer Glückskette und ihre Partnerhilfswerke haben 2,5 Millionen Franken als Soforthilfe nach dem Erdbeben auf Haiti gesprochen.
Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK), Terre des hommes Kinderhilfe, HEKS, die Heilsarmee, Enfants du Monde, Medecins du Monde, Caritas, Fastenopfer, Iamaneh und Terres des hommes Schweiz seien zum Teil seit Jahren vor Ort tätig und könnten nun mit ihrem lokalen Partnern sehr schnell reagieren, teilte die Glückskette mit.
Handicap International, ADRA und Ärzte ohne Grenzen Schweiz (MSF) seien über ihr internationales Netzwerk ebenfalls auf Haiti aktiv.
Das SRK will in den nächsten Tagen ein fünfköpfiges Logistik-Team vor Ort schicken. Der Einsatz eines medizinischen Hilfsteams werde abgeklärt, heisst es in einer Mitteilung. Die Teams sollen die freiwilligen Helfer des Haitianischen Roten Kreuzes unterstützen.
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Deza
Kommunikation funktioniert nicht
Erschwert wird die Organisation der Nothilfe dadurch, dass praktisch keine Kommunikationsmittel vor Ort funktionieren. «Wir hatten zuletzt kurz Kontakt zur Leiterin unseres Koordinationsbüros in Port-au-Price», sagte Susanne Stahel vom Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS). Sie habe nur mitteilen können, dass niemand vom Hilfswerk verletzt, das Büro jedoch beschädigt sei.
Gisela Wattendorf, Programmverantwortliche für Haiti der Hilfsorganisation Caritas Schweiz, sagte gegenüber swissinfo.ch: «Wir hatten einen ersten Kontakt mit unserem Koordinator vor Ort. Er konnte wegen der zerstörten Strassen noch nicht so viel herumfahren, und auch die Telefonverbindungen mit ihm waren sehr mühsam. Sehr viele Gebäude wurden zerstört, unter anderem auch das Koordinationsbüro der Caritas Schweiz. Die Elektrizität funktioniert aber. Die Leute übernachten im Freien, und die Situation für die Menschen ist sehr schlimm. In der Innenstadt wurden wichtige Gebäude zerstört, zum Beispiel die Kathedrale. Dort befindet sich auch die Caritas Port-au-Prince, mit der wir zusammenarbeiten. Auch das Regierungsgebäude brach zusammen.»
Weitere Hilfsorganisationen meldeten sich per Medienmitteilung zu Wort. Laut Ärzte ohne Grenzen wurde eines ihrer Spitäler in Port-au-Prince durch das Erdbeben schwer beschädigt. Ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurde eine Nothilfestation für Geburtshilfe.
Auch das Helvetas-Büro in der Hauptstadt wurde stark beschädigt. Die meisten der Mitarbeiter seien unverletzt, mit einigen lokalen Mitarbeitern habe aber noch kein Kontakt aufgenommen werden können, hiess es. Inwiefern die Entwicklungsprojekte von Helvetas betroffen sind, lässt sich noch nicht abschätzen.
«Wenn man in Haiti arbeitet, lernt man, dass man nicht in langen Zeiträumen planen kann, weil es ständig Rückschläge gibt», meinte Mattias Herfeldt von Helvetas dazu. Er erwähnte den Hurrican Jeanne, der mehr als 3000 Personen getötet hat und 250’000 Personen obdachlos machte.
«Natürlich sind ein Hurrican und ein Erdbeben zwei verschiedene Dinge, und die Reaktion darauf muss unterschiedlich sein. Aber generell ist es so, dass wir uns gewöhnt sind, damit umgzugehen, auf der psychologischen Ebene.»
Organisationen schon vor Ort
«Wenigstens sind viele Hilfsorganisationen schon im Land», sagte Priska Spörri, Sprecherin der Glückskette. «Das ist hilfreich, damit wir mit der Nothilfe zügig beginnen können.»
«Es ist selbstverständlich, dass sich die Menschen aus Haiti, die im Ausland leben, aktiv engagieren werden», kündigte Charles Ridoré, Haitianer in der Schweiz und ehemaliger Generalsekretär der «Action de Carême», an, «sie haben dies schon bei anderen Gelegenheiten getan, auch in der Schweiz.»
Die Vereinten Nationen haben nach dem schweren Erdbeben in Haiti 30 internationale Hilfsteams mobilisiert. Auch die Internationale Föderation vom Roten Kreuz und dem Roten Halbmond (IFRC) ist bereits in der betroffenen Region aktiv, wie in Genf mitgeteilt wurde.
swissinfo.ch und Agenturen
Das Staatsgebiet Haitis umfasst den westlichen Teil der Karibikinsel Hispaniola.
Haiti verkündete 1804 seine Unabhängigkeit vom französischen Kolonialreich.
1935 eröffnete die Schweiz ein Honorarkonsulat. 2007 wurde es zu einer Botschaft erhoben.
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern haben einen bescheidenen Umfang.
Die französische Sprache stellt ein Band dar, das vielfältige Kontakte auf religiösem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet begünstigt.
Die Schweizer Entwicklungs-Zusammenarbeit erfolgt vor allem über private Hilfswerke.
Auch mit humanitärer Hilfe ist die Schweiz in dem Land präsent, das als das ärmste auf dem amerikanischen Kontinent gilt.
2007 lebten 130 schweizerische Staatsangehörige in Haiti.
1934 eröffnete Haiti ein Konsulat in der Schweiz. Ende 2008 lebten 451 haitianische Staatsbürger in der Schweiz.
Die Glückskette hat nach dem schweren Erdbeben in Haiti ein Spendenkonto eröffnet.
Man bereite sich gemeinsam mit den Schweizer Partnerhilfswerken vor, in den kommenden Monaten Unterstützung von der Nothilfe bis zum Wiederaufbau zu leisten, teilte die Glückskette mit.
Haiti ist eines der ärmsten Länder in Amerika. Die Glückskette finanziert mehrere Hilfsprojekte in diesem Land.
Spenden können auf das Postkonto 10-15000-6 mit Vermerk «Haiti» einbezahlt werden.
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