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Schweizer Volk will Regierung nicht selbst wählen

Das Volk will nicht: Es sind wie bis anhin die Volksvertreterinnen und -vertreter die den Bundesrat wählen. Keystone

Das Schweizer Volk hat die SVP-Initiative für die Volkswahl des Bundesrates mit 76,3% Nein wuchtig abgelehnt. Die Mehrheit der Schweizer Bürger sei zufrieden mit dem heutigen System, wonach das Parlament die Regierung wähle, sagt Politologe Nenad Stojanovic gegenüber swissinfo.ch.

Am Verdikt zur Volkswahl des Bundesrates gibt es nichts zu rütteln: 1’549’800 Stimmberechtigte lehnten die Initiative der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei ab, 480’400 stimmten zu. Auch alle Kantone schickten das Begehren bachab, mit Nein-Anteilen zwischen 67 und 82%.

Die klarsten Signale stammen aus der Westschweiz. Im Jura betrug der Anteil der gegnerischen Stimmen 82%, gefolgt von Neuenburg (80,8%), Freiburg (80,3%) und Waadt (79,5%).

Nur unwesentlich geringer war die Ablehnung in jenen kleineren Kantonen, die über einen relativ hohe SVP-Wähleranteil verfügen. So wies  Schwyz 69,6% Nein-Stimmen auf, Schaffhausen 70,9% und Glarus 73,4%. Selbst in der SVP-Hochburg Aargau hatte die Volkswahl mit 73,7% Nein-Anteil nicht den Hauch einer Chance.

Für Pascal Sciarini, Politikwissenschafter an der Universität Genf, hat das klare Scheitern der Initiative noch einen anderen Grund. «Die SVP ist bei diesem institutionellen Thema nicht sehr glaubwürdig, im Gegensatz etwa zur Einwanderung oder der internationalen Öffnung der Schweiz.»

Zudem hätten solch institutionelle Fragen noch nie wirklich die Massen bewegt, weil sie weit entfernt von den täglichen Sorgen und Nöten der Menschen seien, so Sciarini.

«An Bewährtem festhalten»

«Die grosse Mehrheit der Schweizer Bürger sind zufrieden mit dem heutigen System, bei dem das Parlament die Regierung wählt und nicht sie», sagte Nenad Stojanovic, Politikwissenschaftler am Zentrum für Demokratie in Aarau, gegenüber swissinfo.ch. Er erinnert daran, dass schon die ersten beiden Initiativen für eine Volkswahl des Bundesrates 1900 und 1942 jeweils deutlich, mit rund zwei Dritteln Nein-Stimmen, verworfen worden seien.

«Zudem wurde die Vorlage von den Stimmbürgern als SVP-Initiative betrachtet, denn alle anderen grossen Parteien SP, FDP, CVP waren geschlossen dagegen.» Stojanovic weist darauf hin, dass die Zustimmung selbst bei der eigenen Parteibasis wackelig gewesen sei, geht er doch davon aus, dass rund 20% der SVP-Anhänger ein Nein eingelegt hätten.

Die klare Absage an die Bundesratswahl durch das Volk begründet der Politikwissenschaftler auch mit dem in der Schweiz tief verwurzelten Reflex, bewährte Institutionen nicht zu verändern. «Es ist kein Zufall, dass seit 165 Jahren nicht einmal die Anzahl der Bundesräte geändert hat. Die Mehrheit der Bürger steht institutionellen Änderungen sehr skeptisch gegenüber», sagt Stojanovic.

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Zeichen aus dem Tessin 

Das Tessin ist derjenige Kanton der Schweiz mit dem höchsten Anteil von Ja-Stimmen. «Angesichts jener Stimmen, die eine mangelnde Vertretung der italienischsprachigen Schweiz im Bundesrat beklagten, überrascht mich dies keineswegs», sagt der Politikbeobachter. Der Südschweizer Kanton ist seit 1999 nicht mehr im Bundesrat vertreten.

Die Stimmbeteiligung von nur 43% wertet er als «eine relative Gleichgültigkeit» der Bevölkerung. «In jedem anderen Land ergäbe die wichtigen Frage, wer die Regierung wählt, eine Beteiligung von 70% oder 80%.»

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Harte Töne von den Gegnern

Trotz der deutlichen Niederlage vor dem Volk verteidigten die Initianten ihr Anliegen. «Es hat eine Diskussion gegeben. Und vielleicht liefen die letzten Bundesratswahlen dank unserer Initiative etwas vernünftiger ab», machte der Zürcher SVP-Nationalrat Alfred Heer in Schadenbegrenzung. Die Kampagne habe also durchaus auch positive Seiten gehabt.

Wenig übrig für die Initiative hatten die Vertreter der anderen Parteien. «Eine Nullkampagne hat sich gegen eine Millionenkampagne durchgesetzt», sagte der Berner Nationalrat Lorenz Hess von der Bürgerlich Demokratischen Partei (BDP). Das sei schade um das Geld, das die SVP für die Initiative eingesetzt habe.

Scharf kommentierte Christophe Darbellay, Präsident der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), die Niederlage der SVP. Das Resultat sei ein Denkzettel an die Partei. «Für die SVP ist dieses Resultat ein Waterloo.» Er habe zwar mit einem Nein gerechnet, aber nicht in dieser Grössenordnung.

Die Sozialdemokraten zeigte sich nach der deutlichen Ablehnung der Initiative zufrieden. Diese sei von der SVP in einer emotionalen Phase lanciert worden, sagte die Genfer SP-Ständerätin Liliane Maury Pasquier.

Für Kurt Fluri, den Solothurner Nationalrat der Freisinnig Demokratischen Partei (FDP), bedeutet der ganz klare Entscheid, dass es für das Volk offensichtlich nicht relevant sei, wie viele SVP-Vertreter im Bundesrat vertreten seien.

Das Volk hat nach 1900 und 1942 bereits zum dritten Mal die Volkswahl des Bundesrates abgelehnt.

Die Volkswahl stand schon bei der Gründung des Bundesstaates zur Diskussion. Mit 10 zu 9 Stimmen lehnten die Verfassungsgeber 1848 die Volkswahl aber ab.

Ende des 19. Jahrhunderts forderte eine von Sozialdemokraten und Katholisch-Konservativen angeführte Allianz die Volkswahl, um die freisinnige Vorherrschaft im Bundesstaat zu brechen.

Das Begehren fiel 1900 an der Urne mit 65% Nein-Stimmen klar durch.

1942 startete die SP einen neuen Anlauf, scheiterte aber mit einem Nein-Anteil von über 67% noch deutlicher.

Ende der 1990-er Jahren brachte die erstarkte SVP die Forderung erneut aufs Tapet, schubladierte aber den Entwurf für eine Volksinitiative, nachdem Christoph Blocher Ende 2003 in den Bundesrat gewählt wurde.

Nach seiner Abwahl 2007 wurden die Initiative wieder aktiviert und 2011 eingereicht.

und Agenturen

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