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Demokratie erfordert Vorsicht beim Abstimmen über das Internet

Swissinfo Redaktion

Bis zu den nächsten eidgenössischen Parlamentswahlen 2019 sollen alle Schweizerinnen und Schweizer, die im Ausland leben, ihre Stimme elektronisch abgeben können: Dies fordert der Auslandschweizerrat, das "Parlament" der 5. Schweiz. Für den sozialdemokratischen Waadtländer Nationalrat Jean Christoph Schwaab muss Sicherheit jedoch absoluten Vorrang haben vor Geschwindigkeit.

In einer Demokratie ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Bürgerinnen und Bürger absolutes Vertrauen haben in die Glaubwürdigkeit der Urnengänge. Andernfalls würde die Legitimität von Volksentscheiden und gewählten Institutionen stark geschwächt. Diese Glaubwürdigkeit muss deshalb unbedingt garantiert sein, bevor ein neuer Kanal zur Stimmabgabe eröffnet wird. Und bisher ist das für das Abstimmen und Wählen via Internet noch nicht der Fall.

In der Tat traten bei praktisch allen bis heute existierenden Systemen Probleme auf, oder schlimmer, sie wurden Opfer von schweren Cyber-Attacken. So hatte die Universität von Michigan nur gerade 48 Stunden gebraucht, um das System der elektronischen Stimmabgabe in Washington, D.C. zu knacken.

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Zudem findet man auf dem Internet für ein paar Dollar Software, mit der sich elektronische Wahlmaschinen manipulieren lassen. Wenn man nicht ausserordentliche Vorsicht walten lässt, könnte das Resultat einer Abstimmung oder Wahl manipuliert werden, aus der Schweiz oder vom Ausland her, im schlimmsten Fall, ohne dass es überhaupt jemandem auffällt.

Ausserdem besteht kein wirklicher Bedarf für die Einführung der elektronischen Stimmabgabe im grossen Rahmen: Der Zugang zur Stimmabgabe ist bereits im ganzen Land einfach und vertrauenswürdig. Allerdings gibt es zwei Ausnahmen: Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer sowie Menschen mit Sehbehinderung; für die einen gibt es Probleme, weil sie die per Post zugestellten Dokumente oft zu spät erhalten, für die anderen, weil sie Unterstützung in Papierform oft gar nicht nutzen können.

Für diese Bürger und Bürgerinnen ist die Einführung der elektronischen Stimmabgabe gerechtfertigt, und die entsprechende Forderung vieler Auslandschweizer ist völlig legitim. Es wäre jedoch gefährlich, die Dinge zu überstürzen, wie es die Auslandschweizer-Organisation (ASO) verlangt, welche die elektronische Stimmabgabe scheinbar so rasch als möglich einführen will, was auch immer Preis und Konsequenzen sein mögen. Der Wille des Bundesrats, bei der Einführung Sicherheit vor Geschwindigkeit zu stellen, scheint viel angebrachter und sicher vernünftiger.

Jean Christophe Schwaab ist Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei (SP) aus dem Kanton Waadt und Mitglied der Parlamentarischen Gruppe «Auslandschweizer». ps-vd.ch

Darüber hinaus wäre es angebracht, vor der Einführung der Abstimmung über das Internet für ein gewisses Zielpublikum zuerst die Bedingungen zu schaffen, die einen demokratischen Rahmen garantieren. Besonders wichtig ist: Das Abstimmungssystem muss in der Schweiz entwickelt werden, die geistigen Eigentumsrechte müssen der öffentlichen Hand gehören und das System muss völlig transparent sein, so dass Bürgerinnen und Bürger, die das tun möchten (und können), überprüfen können, dass die Stimmabgabe korrekt erfolgt und das Resultat auch wirklich dem Willen entspricht, den das Stimmvolk ausdrücken wollte.

So käme zum Beispiel nie jemand auf die absurde Idee, die Auszählung einer Wahl auf «Papier» zu privatisieren, indem diese Aufgabe einer privaten Firma übertragen würde, die ohne Überwachung der Wahlbüros arbeiten würde.

Gegenwärtig erfüllt nur eines der beiden Systeme, das vom Kanton Genf entwickelte, diese grundlegenden Kriterien. Das andere, das System von Post und Scytl, befindet sich in privater Hand und wurde im Ausland entwickelt, von einem Unternehmen, das mit verschiedenen Geheimdiensten zusammenarbeitet.

Die Undurchsichtigkeit dieser Firma ist beunruhigend: Auf die Frage von Parlamentsabgeordneten zum Preis des Systems verweigerte der Projektträger unter Hinweis auf das «Geschäftsgeheimnis» eine Antwort, während Genf vor allem im Bereich Software-Entwicklung völlig transparent arbeitet.

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(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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