Klimapolitik: Die Lösungen liegen greifbar nahe
Ob der UNO-Klimagipfel in Paris ein Erfolg sein wird oder nicht, ist für HSG-Professor Rolf Wüstenhagen eine offene Frage. Sicher ist, dass der Klimawandel weiterhin ein dringendes Problem ist. Und: Die Lösung wird in der Umsetzung von Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und nachhaltiger Mobilität vor Ort liegen.
Politiker aus aller Welt kommen in Paris zum 21. Mal zum jährlichen UNO-Klimagipfel zusammen. In den zwei Jahrzehnten, in denen sie um eine verbindliche internationale Klimapolitik gerungen haben, ist das Problem schneller gewachsen als die Bemühungen um eine Lösung. Als das Kyoto-Protokoll zur Verminderung der Treibhausgas-Emissionen 1997 unterzeichnet wurde, lag der globale jährliche CO2-Ausstoss bei 24 Gigatonnen.
Doch das Kyoto-Protokoll blieb ein zahnloser Tiger: Heute wird nicht weniger Kohlendioxid ausgestossen, sondern über die Hälfte mehr als damals. In der Folge sieht es ganz so aus, als ob 2015 zu einem Rekordjahr wird – das wärmste Jahr seit Menschengedenken. Und extreme Wetterereignisse nehmen weltweit zu.
Klimarisiken und der Finanzmarkt
Was man tun müsste, ist eigentlich kristallklar. Dank jahrzehntelanger Klimaforschung wissen wir heute, dass die Atmosphäre noch etwa so viel Kohlendioxid aufnehmen kann, wie bei der Verbrennung von 230 Gigatonnen Kohlestoff entsteht. Das ist etwa ein Fünfzigstel der Menge, die noch in Form von Kohle, Öl und Gas unter der Erdoberfläche lagert.
Mit anderen Worten: Wollen wir einen gefährlichen Klimawandel vermeiden, müssen etwa 98% dieser fossilen Ressourcen im Boden verbleiben.
Diese klare Erkenntnis hat weitreichende Folgen. Der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, warnte institutionelle Investoren jüngst vor dem Platzen einer Kohlenstoffblase an den Finanzmärkten. Was heute in den Bilanzen von Kohle-, Öl- und Gaskonzernen noch als wertvoll angesehen wird, könnte schon morgen zu verlorenen Vermögenswerten werden. Immer mehr institutionelle Anleger, darunter der deutsche Versicherungskonzern Allianz und der staatliche norwegische Pensionsfonds, reagierten mit der Ankündigung, sich aus Kohle-Investitionen zurückziehen zu wollen.
Kohlenstoffarmer Wohlstand
Um die Abhängigkeit von Kohle, Öl und Gas zu verringern, braucht es Fortschritte in drei zentralen Bereichen: Stromerzeugung, Bauten und Verkehr. Die gute Nachricht ist, dass es in allen drei Bereichen heute Technologien gibt, die einen kohlenstoffarmen Wohlstand möglich machen.
Im Stromsektor liegen die Kosten für Energie aus Solar- und Wind-Kraftwerken in vielen Ländern heute etwa gleich hoch wie bei neuen Gas- oder Kernkraftwerken. In Ländern wie der Schweiz bildet die Wasserkraft mit ihrer Speicherkapazität eine ideale Ergänzung zu diesen erneuerbaren Energien.
Im Gebäudesektor zeigt eine wachsende Zahl von Minergie und Plus-Energiehäusern, wie Gebäude effizient auf tiefere Energiekosten getrimmt werden können. Und dass – in Kombination mit Solarmodulen und Wärmepumpen – sogar eine positive Energiebilanz erzielt werden kann.
Rolf Wüstenhagen, geboren 1970, ist Professor für Management Erneuerbarer Energien.
Er lehrt und forscht am Institut für Wirtschaft und Ökologie (IWÖ) der Universität St. Gallen (HSG).
Und im Verkehr sieht man immer mehr Elektrovelos und -autos, die im Bereich Energieeffizienz einen Quantensprung möglich machen, lokale Emissionen vermeiden und die Abhängigkeit von Energieimporten verringern helfen.
Global denken – lokal handeln
Das alles tönt wie ein vielversprechender Ansatz zur Lösung des Klimaproblems, oder? Kann also vom 21. UNO-Klimagipfel in Paris ein Durchbruch erwartet werden? Die Geschichte der internationalen Klimapolitik der letzten zwei Jahrzehnte legt nahe, dass mit mindestens zwei Szenarien zu rechnen ist.
Im optimistischen Fall kommt es tatsächlich zu einem verbindlichen Klima-Abkommen, das zwar viele Schlupflöcher haben, aber doch wertvolle Leitplanken setzen und damit starke Signale an die nationalen Gesetzgeber vieler Länder senden wird. Beim pessimistischen Szenario werden die internationalen politischen Führungskräfte einmal mehr zeigen, dass sie unfähig sind, das Problem zu lösen.
Wie auch immer, über die Klimazukunft wird letztlich nicht in Paris entschieden werden. Entscheidend für die sichere Zukunft unseres Planeten wird die Umsetzung von Energieeffizienz, von erneuerbaren Energien und nachhaltiger Mobilität vor Ort sein.
«Standpunkt»
swissinfo.ch öffnet seine Spalten für ausgewählte Gastbeiträge. Wir werden regelmässig Texte von Experten, Entscheidungsträgern und Beobachtern publizieren. Ziel ist es, eigenständige Standpunkte zu Schweizer Themen oder zu solchen, welche die Schweiz interessieren, zu publizieren und so zu einer lebendigen Debatte beizutragen.
swissinfo.ch
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch