US-Botschafterin: Bankenstreit ist eine Baustelle für sich
Ein harter Umgang mit den Schweizer Banken und verärgerte amerikanische Expats in der Schweiz –zwei negativ belastete Themen, denen die US-Botschafterin in der Schweiz einen positiven Dreh gibt. Bei einem Rückblick auf das erste Jahr in ihrem neuen Job konzentriert sich Suzan G. (Suzi) LeVine auf die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern und der guten Dinge, die da harren.
«Wir haben im vergangenen Jahr hart gearbeitet, um zwei Dinge zu tun», erklärt sie während einem Interview bei swissinfo.ch. «Einerseits ging es darum, den Leuten zu helfen, sich darauf zu konzentrieren, dass unsere Beziehungen grossartig sind, dass es um wirtschaftliche Verbindungen und Wirtschaftswachstum geht, dass wir einen grossen Zufluss von amerikanischen Touristen in die Schweiz und umgekehrt haben… und dass die Bankensituation davon abzuspalten ist. Der zweite Aspekt war, den Leuten zu helfen, die Situation zu quantifizieren.»
Bankenstreit
LeVine sitzt vor einem Mikrofon in einem Studio von swissinfo und wählt ihre Worte vorsichtig. Das Thema: US-Staatsangehörige und Banken. Viele Schweizer Banken zahlten Bussen oder stehen davor, weil sie US-Staatsangehörigen geholfen hatten, Steuern zu hinterziehen. «Lassen Sie mich Ihnen hierzu ein paar Zahlen geben», sagt die Botschafterin.
Das US-Justizdepartement hat Bussen in Höhe von ungefähr 167 Milliarden Dollar gegen Banken verfügt, wie sie sagt. Davon betrafen «nur 3% Schweizer Banken, 85% wurden gegen amerikanische Banken verfügt», sagt LeVine und stellt klar: «Es geht dabei um amerikanische Steuerzahler. Und nicht wirklich um die Schweiz.»
Doch amerikanische Expats in der Schweiz sehen die Suche der US-Regierung nach Steuerbetrügern in einem anderen Licht. Eine steigende Zahl der Expats geben ihre US-Staatsbürgerschaft auf – wegen der Schwierigkeiten, die ihnen aus der Steuermeldepflicht für US-Bürger im Ausland im Rahmen des neuen FATCA-Abkommens erwachsen. Und Banken, die nun verpflichtet sind, umfangreiche Informationen über ihre US-Kunden an die US-Regierung weiterzugeben, schliessen ihre Pforten für amerikanische Bürger und Bürgerinnen.
LeVine entgegnet, amerikanischen Staatsangehörigen in der Schweiz zu helfen, sei eine Priorität der US-Botschaft. «Wir haben viel getan für einen Dialog mit der Schweizerischen Bankiervereinigung und wichtigen Banken-Institutionen hier, um zu sehen, welche Wege offen stehen, um einige der Belastungen der Personen mit einem Bezug zu den USA beim Umgang mit den Banken zu lindern», sagt sie.
«Und es gibt einige Banken, die sich nun melden und erklären: ‹Wir nehmen Amerikaner!› Ich denke, dass wir hier etwas in Gang gebracht haben. Und im kommenden Jahr passiert hoffentlich noch mehr.»
Vorteile für Expats?
Was die Vorteile angeht, amerikanischer Staatsangehöriger zu sein und zu bleiben, sagt LeVine, gebe es deren viele. Als «technische Vorteile» nennt sie die Sozialversicherung, Sozialleistungen für Kriegsveteranen sowie Medicare [staatliche Krankenversicherung für Rentner] und Medicaid [staatliche Krankenversicherung für einkommensschwache Bevölkerungskreise].
Jackie Bugnion, die ehemalige Direktorin der Vereinigung «American Citizens Abroad», erklärt hingegen: «Das ist nicht ganz richtig.» Denn die Sozialversicherung sei verhängt mit der Arbeit einer Person in den USA, nicht mit der Staatsbürgerschaft, und die Leistungen von Medicare und Medicaid würden nur in den USA erbracht.
Welche anderen Vorteile gibt es? «Wenn man schaut, was die USA weltweit tun und getan haben, um Koalitionen aufzubauen, zusammenzukommen und auf verschiedene Art und Weise als Führungskraft zu agieren, sind damit Kosten verbunden, für die Steuergelder aufgewendet werden», sagt LeVine.
Berufslehren
Es ist klar, LeVine hat weniger Interesse, über alte Probleme zu sprechen, als sich auf neue Programme zu konzentrieren, wie den bilateralen Pakt über die Berufliche GrundbildungExterner Link.
Durch Besuche bei unterschiedlichen Schweizer Unternehmen und Gespräche mit Auszubildenden und Studierenden hat sie aus erster Hand viel über das duale Bildungssystem der Schweiz gelernt. Das System der Berufslehre «umfasst viele verschiedene Bereiche. Egal ob es um die Banken- oder die Gast- und Hotelbranche geht, um Maschinenbau, ob man Coiffeuse oder Tierärztin werden will, es gibt ein breites Spektrum von Möglichkeiten», sagt sie. «Es ist ein Weg, nicht eine Sackgasse.»
Auch hier hat LeVine Zahlen und Fakten bereit, um ihre Aussagen zu untermauern. Schweizer Unternehmen generierten in den USA etwa eine halbe Million Arbeitsplätze, und die Schweiz sei bei Forschung und Entwicklung in den USA die grösste ausländische Investorin, sagt sie.
Die Botschafterin betrachtet die Partnerschaft im Bereich Berufsbildung als grossen Schritt in die richtige Richtung. «Ich denke, das ist ein riesiges Projekt für unsere beiden Länder und ein grosser Schub in Richtung dessen, was wir als ‹gemeinsamen Wohlstand› bezeichnen.»
Schwierige Themen
LeVine sagt, sie habe einen grossen Teil der Zeit ihres ersten Jahres als Botschafterin dem Gespräch mit jungen Leuten gewidmet. Im Juli hatte LeVine bei der Feier zum amerikanischen Unabhängigkeitstag vor einem Haus voll mit geladenen Gästen ihre Geschichte über ein Treffen mit einer Gruppe von Schweizer Gymnasiasten erzählt. Die Schüler und Schülerinnen, sagt sie, hätten ihr im Vorfeld des Treffens eine Liste mit harmlosen Fragen geschickt – und dann, als sie zum Treffen erschienen sei – die schwierigen Fragen aufgeworfen.
«Ich liebte, liebte, liebte die Tragweite ihrer Fragen, und wie sehr diese von Herzen kamen», erklärt sie. «Sie gingen von ‹Was geschieht mit Guantanamo?› und ‹Was ist los mit dem Rassismus in den USA?› [bis] ‹Was geschieht mit Blick auf die Privatsphäre und den Schutz der Privatsphäre?›.»
Es gibt auch noch andere ernsthafte Themen anzugehen. LeVine verweist auf die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und den USA beim Kampf gegen gewaltsamen Extremismus. Die beiden Ländern gehören zu den Gründern einer neuen Organisation in Genf mit dem Namen Fonds für globale Gemeinschaft, Engagement und BelastbarkeitExterner Link (Global Community Engagement and Resiliency Fund, GCERF). Der Fonds unterstützt lokale Initiativen zum Schutz verletzlicher Gruppen – oft junge Leuten – vor einer Radikalisierung.
Im kommenden Jahr will LeVine einen wichtigen Schwerpunkt mit einem Thema setzen, «das ich als gemeinsamen Wert der Vereinigten Staaten und der Schweiz bezeichnen würde: das Thema Vielfalt. Was können wir tun für LGBT-Vielfalt [Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender], religiöse Vielfalt, Vielfalt der Geschlechter?»
Es gebe Daten, die zeigten, dass Vielfalt Innovation und Produktivität gleichkomme, sagt die Botschafterin. «Je mehr Vielfalt es gibt, egal ob in einem geschäftlichen oder einem akademischen, universitären Umfeld, umso kreativer kann man sein.»
Brücken bauen – und auch mal springen
LeVine betrachtet ihre Rolle als Brückenbauerin zwischen den USA und der Schweiz, um den «jeweiligen Kulturen und Leuten zu helfen, einander zu verstehen». Kulturaustausch war auch das Ziel des Programms «Kunst in Botschaften», das im Februar lanciert wurde und Wissenschaftler und Technologen sowie Leute aus Umweltschutzkreisen und der Kunstwelt aus der ganzen Schweiz zusammenbrachte. «Es waren Einzelpersonen, die sich nicht unbedingt immer alle in den gleichen Kreisen bewegen», sagt LeVine.
Die Botschafterin hat auch einen BlogExterner Link, denn sie dazu nutzt, ihr beim Bauen von Brücken zu helfen. In einem der Blogeinträge gibt sie zu, dass sie auch schon von einer der Fussgängerbrücken in Bern in die Aare gesprungen ist. Und zu Ehren des Schweizer Nationalfeiertags am 1. August lud LeVine auf Facebook ein Video hoch, in dem sie Alphorn spielt.
Externer LinkI was gearing up for Swiss National Day tomorrow by practicing some of the traditional tune on an Alphorn today.
Posted by Suzi G. LeVineExterner Link on Friday, 31 July 2015
Sie bemüht sich auch darum, mit den Menschen in der Schweiz in Kontakt zu treten, indem sie Deutsch lernt, die Sprache von rund zwei Dritteln der Bevölkerung des Landes. Sie sagt, sie mache Fortschritte. Und – wie es für eine Diplomatin aus den USA typisch ist – sie lernt aus ihren Erfahrungen.
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