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Tessiner Regierung behält Steuer für Italien zurück

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey macht sich Sorgen um den Steuerstreit mit Italien. Reuters

Der Tessiner Staatsrat friert 50% der Quellensteuern von italienischen Grenzgängern ein. Damit übt er Druck auf Bundesbern und Italien aus, über ein neues Doppelbesteuerungs-Abkommen zu verhandeln. Der Schritt verstösst gegen internationales Recht.

Der Entscheid hatte sich in den letzten Wochen abgezeichnet. Und am Donnerstagabend war es soweit: Die Tessiner Kantonsregierung entschied nach langer und heftiger Debatte, die Hälfte der von Grenzgängern bezahlten Quellensteuern einzufrieren und vorläufig nicht zur Überweisung nach Italien frei zu geben.

Es handelt sich bei einem Gesamtbetrag von 56,8 Millionen Franken an Quellensteuern aus dem Jahr 2010 folglich um 28,5 Millionen Franken, die nun auf einem Sperrkonto der Tessiner Kantonalbank parkiert werden. Diese Gelder sollen erst frei gegeben werden, wenn es ernsthafte Verhandlungen zwischen Italien und der Schweiz über eine Neuverhandlung des Doppelbesteuerungsabkommens gibt.

Gefordert wird von Bern auch, ein neues Grenzgänger-Abkommen auszuhandeln, welches das Prinzip der Gegenseitigkeit enthält. Die Schweiz wird für Landsleute, die in Italien als Grenzgänger tätig sind, zurzeit nicht entsprechend von Italien entschädigt.

Das Paket ist eine Retorsionsmassnahme als Reaktion auf die ständigen Angriffe des italienischen Finanzministers Giulio Tremonti auf die Schweiz und die Weigerung Italiens, ein neues Doppelbesteuerungs-Abkommen auszuhandeln.

Auch die Handelshemnisse für Schweizer Firmen wegen der so genannten Black List sorgen im Tessin angesichts von 50‘000 erwerbstätigen Grenzgängern seit Monaten für Unmut.

Politischer und illegaler Entscheid

Es handele sich um einen «politischen Entscheid» und «ein wichtiges Zeichen gegenüber der Eidgenossenschaft», die Verhandlungen mit Italien ernsthaft aufzunehmen, sagte Staatsrat Marco Borradori (Lega) bei einer  Medienkonferenz.

Zusammen mit seinem Kollegen Norman Gobbi (Lega)und Paolo Beltraminelli (CVP) hatte er den mit einer 3:2 Mehrheit gefällten Entscheid herbeigeführt; Regierungspräsidentin Laura Sadis (FDP) und Manuele Bertoli (SP) hatten gegen das Einfrieren der Gelder votiert, weil sie darin eine Verletzung internationalen Rechts sehen.

Sadis machte denn vor den Medien auch keinen Hehl daraus, dass sie den Entscheid für illegal hält. «Legalität geht vor Kollegialität» begründete sie die Tatsache, dass sie ihre abweichende Position vor den Medien erläuterte. Der Mehrheitsentscheid sei sehr problematisch: «Wir müssen uns bewusst sein, dass wir gegen internationales Recht verstossen.»

De facto wird sich zeigen müssen, welche Folgen der Entscheid hat. Denn gemäss Staatsvertrag ist die Schweiz zur Zahlung gegenüber Italien verpflichtet. Die Kantone sind nur ausführende Organe.  Es könnte somit sein, dass die Eidgenossenschaft das Geld vorschiesst, das der Kanton Tessin nun unter Verschluss hält.

Bern nimmt vom Entscheid Kenntnis

Das Eidgenössische Finanzdepartement nahm den Beschluss der Tessiner Regierung zur Kenntnis, wie Mario Tuor, Sprecher des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen, sagte. Grundsätzlich verstehe der Bundesrat den Unmut der Tessiner Regierung.

Auch der Bundesrat sei an ernsthaften Verhandlungen mit Italien interessiert. Dafür brauche es aber immer zwei. «Über die heutige Situation ist auch der Bundesrat nicht erfreut», hielt Tuor fest.

Aber möglicherweise komme schon in den nächsten Wochen ein Dialog in Gang, sagte Tuor. Seit Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey Anfang Juni bei Ministerpräsident Silvio Berlusconi in Rom weilte, zeige sich die italienische Seite wieder gesprächsbereit. Neue Termine auf Fachebene hätten vereinbart werden können.

«Ob allerdings inhaltlich etwas erreicht werden kann, ist unklar», sagte Tuor. Der Bundesrat möchte mit Italien über ein ganzes Paket zu Steuerfragen verhandeln. Angesichts des neu aufgegleisten Dialogs mi Italien hatte Calmy-Rey in einem Brief an den Tessiner Staatsrat von einem Einfrieren der Quellensteuern dringend abgeraten.

«Bananenrepublik Tessin»

Im Tessin wurde der Entscheid der Regierung unterschiedlich kommentiert. Die SP sprach umgehend von einer «illegalen Aktion ohne klare Perspektive». Die links-liberale Tageszeitung La Regione sprach sarkastisch  von einer „Bananenrepublik Tessin.“

Die FDP befürchtet, dass der Entscheid bei der Problemlösung nicht hilft und die Beziehungen mit Bundesbern verkompliziert, während die CVP den Regierungsentscheid unterstützt. Lega-Boss Giuliano Bignasca findet es gut, dass das Tessin für einmal nicht Bundesbern hörig ist.

Auf wenig Gegenliebe stösst der Entscheid verständlicherweise in Italien Der Vertreter der italienischen Grenzgemeinden, Pietro Roncoroni, sprach von einer «politischen Erpressung». Es sei offenbar der Preis, den man nun für Demagogie bezahlen müsse.

Das so genannte Grenzgänger-Abkommen zwischen der Schweiz und Italien stammt aus dem Jahr 1979, wurde aber rückwirkend auf 1974 in Kraft gesetzt. Die Überweisungsquote der Quellensteuer betrug zuerst 40%, ab 1985 dann 38,8%. Die Mehrheit der Quellensteuer (zirka 90%) wird vom Kanton Tessin nach Italien überweisen, der Rest stammt von den Kantonen Graubünden und Wallis.

Im Falle österreichischer Grenzgänger werden nur 12,5% der einkassierten Quellensteuern nach Österreich zurücküberwiesen. Der Bundesrat hat aber bereits darauf hingewiesen, dass die Abkommen nicht direkt vergleichbar sind. Im Falle Italiens gelten die Rückvergütungen nur für Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die in einem Umkreis von 20 km von der Grenze wohnen, während im Falle Österreichs alle Arbeitnehmer davon betroffen sind.

Anders wird die Quellensteuer bei Grenzgängern aus Deutschland gehandhabt. Diese müssen in diesem Fall 4,5% vom Bruttolohn in der Schweiz versteuern. Das deutsche Finanzamt berücksichtigt bei der Steuervorauszahlung diesen Steuerbetrag von 4,5%, so dass es zu keiner Doppelbesteuerung kommt. Die Begrenzung der Quellensteuer auf 4,5% setzt eine Ansässigkeits-Bescheinigung von Deutschland voraus.

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