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Tiefe Beteiligung und Hang zu Links-grün

Plakate spielen eine zentrale Rolle im Wahlkampf - aber nur im Inland. Keystone

Auslandschweizer haben einen stärkeren Hang, Sozialdemokraten oder Grüne zu wählen als Inlandschweizer. Die SVP stösst bei ihnen auf weniger Zuspruch als im Inland. Das zeigt eine wissenschaftliche Studie zu den Parlamentswahlen im Herbst 2011.

«Ich gehe davon aus, dass Auslandschweizer stärker eine Aussensicht haben auf die Schweiz und dass sie vielleicht auch eine etwas weniger enge Sicht haben als ein Teil der Schweizerinnen und Schweizer. Deshalb wählen sie etwas weniger jene Partei, die stark die Schweizer Werte vertritt und betont einen isolationistischen Kurs befürwortet», sagt Georg Lutz, der Projektleiter der seit 1995 durchgeführten Selects-Studie, die jetzt zum ersten Mal auch die Auslandschweizer unter die Lupe genommen hat .

«Umgekehrt fand ich es interessant zu sehen, wie gut die SVP trotz ihrer isolationistischen Haltung abschneidet. Sie ist auch unter den Auslandschweizern die zweitstärkste Partei», so Lutz gegenüber swissinfo.ch.

In Zahlen ausgedrückt kommt die Schweizerische Volkspartei (SVP) bei den Auslandschweizern auf einen Wähleranteil von 20%, während sie im Inland auf 27% kommt.

Die Sozialdemokraten kommen bei den Auslandschweizern auf einen Anteil von 24%, im Inland auf 19%. Grüne und Grünliberale haben im Inland zusammen einen Anteil von 13%. Bei den Auslandschweizern kommen sie auf einen Anteil von 21%. «Das sind Parteien, die offener sind gegenüber einer Öffnung der Schweiz und gegenüber Ausländern», sagt Lutz.

Lediglich 19% der Auslandschweizer haben eine der traditionellen Mitteparteien, also den Freisinn oder die Christdemokraten, gewählt. Im Inland kommen die beiden Parteien auf 27%.

Stimmbeteiligung sehr tief

Als «schon nicht enorm» bezeichnet Lutz das Interesse der Auslandschweizer an der Schweizer Politik: «Lediglich eine Minderheit ist in einem Stimmrechtsregister eingetragen, und davon beteiligte sich wiederum nur eine Minderheit an den Wahlen.»

Von den knapp 600’000 stimm- und wahlberechtigten Auslandschweizern waren zum Zeitpunkt der Wahlen 136’000 eingetragen. Davon haben sich 30% an den eidgenössischen Wahlen beteiligt. Im Inland betrug die Wahlbeteiligung 50%. Damit liegt die Stimmbeteiligung der Auslandschweizer absolut gerechnet deutlich unter 10%.

«Ich denke, dass sich das in den kommenden Jahren verbessern wird», sagt die Kommunikationschefin der Auslandschweizer-Organisation (ASO), Ariane Rustichelli, gegenüber swissinfo.ch: «Wir fordern eine schnelle Einführung des E-Votings, weil wir davon ausgehen, dass damit die Beteiligung höher ausfallen wird. Auch für die jüngere Generation wäre das attraktiver.»

Kompliziertes Prozedere

Dazu komme, «dass sich die Auslandschweizer bisher alle vier Jahre wieder neu in ein Stimmrechtsregister haben eintragen müssen. Auch das hat die Beteiligung an Wahlen und Abstimmungen gebremst. Künftig reicht es, wenn sie sich einmal eintragen. Auch das wird die Stimmabgabe erleichtern», sagt Rustichelli.

Auch Lutz führt die tiefe Wahlbeteiligung der Auslandschweizer teilweise auf das komplizierte und wenig befriedigende Prozedere der brieflichen Stimmabgabe zurück: «Dort, wo die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe besteht, ist die Stimmbeteiligung durchaus höher. Wer brieflich wählen will im Ausland, der hat vielfach lediglich wenige Tage Zeit, um seine Stimme abzugeben, damit sie rechtzeitig in der Schweiz ankommt», so Lutz. «E-Voting wäre hier natürlich eine Lösung.»

Information über Online-Medien

Da die Stimmrechtsregister nicht öffentlich zugänglich sind, hätten die Parteien «nur wenige Möglichkeiten, Auslandschweizer direkt anzusprechen» und seien «auf die Vermittlung ihrer Inhalte auf die Medien angewiesen», hält die Studie fest.

«Auslandschweizer informieren sich durchaus über die Schweiz, was ja durch die Online-Medien sehr einfach geworden ist», sagt Lutz: «Gerade unter denen, die in einem Stimmregister registriert sind, gibt es sicherlich viele, die sich durchaus für die Schweiz interessieren und sich eine Meinung bilden, aber sie haben natürlich nicht dieselbe Durchdringung durch die Kampagnen und durch das Werbematerial der Parteien, wie das in der Schweiz der Fall ist.»

Keine Chance auf eine Wahl

Wenig Erfolg hatten die Parteien mit ihren Wahl-Listen, auf denen Auslandschweizer kandidierten. Den höchsten Wähleranteil erreichte die SVP mit ihrer Liste im Kanton Graubünden. Sie konnte ganze 1,3% der Stimmen auf sich vereinigen. Die Liste der CVP in St. Gallen erreichte 0,02% der Stimmen. Die andern Listen lagen dazwischen.

«Das ist eine grosse Schwierigkeit», sagt dazu Ariane Rustichelli: «Die Auslandschweizer, die kandidieren, sind in der Schweiz nicht bekannt. Deshalb positionieren wir uns über eine Verstärkung unserer Organisation und eine engere Zusammenarbeit mit den Parlamentariern, welche die Interessen der Auslandschweizer verteidigen.»

Mit der jahrelangen Polarisierung und ihrer Positionierung als nationalkonservative Rechtspartei hat sich die SVP zwar eine treue Anhängerschaft aufgebaut, die sie gut mobilisieren kann.

Andererseits ist aber auch der Anteil jener gewachsen, für welche die SVP unwählbar ist, wie Georg Lutz, Projektleiter der Selects-Wahlstudie  in Bern darlegte.

Laut dem Genfer Politik-Wissenschafter Pascal Sciarini ist die SVP in einem Dilemma: Um ihre Anhänger bei der Stange zu halten, muss sie weiterhin einen pointierten Rechtskurs fahren.

Damit stösst sie aber Wählende der Mitte ab. Steuert sie einen gemässigteren Kurs, kann sie ihre Anhänger weniger mobilisieren.

Die Wahlgewinner BDP und GLP, die sich vor einigen Jahren von der SVP respektive den Grünen abgespalten hatten, konnten sich als klare Mitte-Parteien positionieren. Sie gewannen Wählende aus fast allen anderen Parteien.

Markant war dagegen der Stimmentausch zwischen Grünen und SP, deren Wählerpotenziale sich überlappen. Ein Viertel der Grünen-Wählerschaft hatte 2007 noch SP gewählt.

Die Isolation in der politischen Landschaft führte auch dazu, dass die SVP mit ihrem Angriff auf Sitze im Ständerat scheiterte – trotz prominenter Kandidaten.

Die Studie wurde vom Schweizer Kompetenzzentrum Sozialpolitik FORS in Lausanne in Zusammenarbeit mit verschiedenen Universitäten und dem Bund durchgeführt und vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt.

Sie stützt sich auf eine Nachbefragung von 4391 Stimmenden in den drei Wochen nach den Wahlen.

Ausserdem wurden in den 40 Tagen vor den Wahlen jeden Tag rund 100 Personen über ihre Wahl- und Beteiligungs-Absichten befragt. Diese Befragungen zeigten, dass in den letzten Wochen vor den Wahlen keine grossen Umwälzungen mehr stattfanden.

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