Umstrittene Berufslehre für Sans–Papiers
Mit einem speziellen Aufenthaltsrecht soll jugendlichen Sans-Papiers eine Berufslehre ermöglicht werden. Das schlägt die Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen vor. Politisch ist das Vorhaben umstritten.
Offizielle Zahlen gibt es keine, denn die so genannten Sans-Papiers, also Menschen, die ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz leben, tauchen nicht in den offiziellen Statistiken auf.
Verschiedene Hochrechnungen gehen davon aus, dass zwischen 70’000 und 180’000 Sans-Papiers in der Schweiz leben. Den typischen Sans-Papier gebe es nicht, sagte die Soziologin Denise Efionayi-Mäder vor den Medien in Bern.
Mäder hat im Auftrag der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen (EKM) eine Studie verfasst zu den Sans-Papiers in der Schweiz. «Es gibt viele unterschiedliche Profile dieser Menschen», so Efionayi-Mäder.
«Die meisten kommen, um hier zu arbeiten. Sie versuchen, möglichst unauffällig zu leben», sagte Efionayi-Mäder. Sie arbeiten in Haushalten, in der Pflege, der Landwirtschaft, auf dem Bau, in Reinigungsunternehmen, in der Gastronomie und in der Hotellerie.
Laut Mäder leben Sans-Papiers «vor allem in den Städten und Ballungszentren», verteilt über praktisch die ganze Schweiz. Zwei Drittel von ihnen sind Frauen. Während die einen seit mehr als zehn Jahren in der Schweiz wohnen, bleiben andere lediglich für ein paar Monate.
Kantone mit grossem Spielraum
Sans-Papiers leben illegal in der Schweiz. Dasselbe gilt für ihre Kinder, auch wenn sie hier geboren sind. Die Schweiz hat – wie die Länder der Europäischen Union – eine Ausländergesetzgebung mit restriktiven Zulassungsregeln.
Gesellschaftspolitisch gibt es – grob unterteilt – zwei Positionen zur Frage, wie das Land mit den Sans-Papiers umgehen soll. Da sind die Ordnungspolitiker, die auf den illegalen Status hinweisen und ein repressives Vorgehen, das heisst die Ausweisung, fordern.
Die andere Seite stellt die vielfach prekäre Situation dieser Menschen in den Vordergrund und fordert Lösungen, eine bessere Integration sowie die Respektierung der Grundrechte.
Die Kantonsbehörden haben zudem einen relativ grossen Ermessensspielraum bei Härtefällen. Allerdings gehen die Kantone unterschiedlich mit Härtefällen um, was sich in der Zahl der bewilligten Gesuche niederschlägt.
Am liberalsten ist die Praxis in den Kantonen Genf und Waadt. Die Deutschschweizer Kantone und das Tessin verhalten sich restriktiver. Bern liegt im Mittelfeld.
Tieflohn-Branche profitiert
Die Studie kommt zum Schluss, dass «ausländerrechtliche Illegalität» in einem demokratischen Staat grundsätzlich «nicht vollständig zu verhindern» sei. Dazu komme, dass es nicht «nur fehlbare Arbeitnehmer» gebe, wie Efionayi-Mäder sagte.
Die Tieflohn-Branchen sind auf Sans-Papiers angewiesen. Diese Situation wird sich mit der demographischen Veränderung der Gesellschaft – Stichwort Überalterung – noch akzentuieren.
Illegale Migration gehöre zu einer globalisierten Welt, erklärte Francis Matthey, der Präsident der EKM. Solange die Nachfrage nach «solchen Arbeitskräften» vorhanden sei, bleibe sie bestehen.
Drohender Arbeitskräftemangel
Vor diesem Hintergrund schlägt die EKM verschiedene Massnahmen vor, um die Situation der Sans-Papiers zu verbessern. Die Wichtigste: Gut integrierten Jugendlichen, die mindestens fünf Schuljahre in der Schweiz absolviert haben, soll eine Berufslehre ermöglicht werden. Dazu sollen sie ein spezielles Aufenthaltsrecht erhalten.
Heute dürfen Jugendliche Sans-Papiers keine Lehre machen, weil sie mangels Aufenthaltsbewilligung keinen Arbeitsvertrag abschliessen dürfen. In etlichen Kantonen ist der Besuch eines Gymnasiums jedoch erlaubt.
Die Zahl der Schulabgängerinnen und -abgänger sei rückläufig und gewisse Branchen hätten zunehmend Mühe, die Lehrstellen zu besetzen. Werde nicht genügend Nachwuchs ausgebildet, führe das zu einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, begründete Matthey den Vorschlag.
Politisch umstritten
«Das ist etwas sehr Gutes. Wenn das möglich wird, ist es ein wichtiger Schritt», sagt Marianne Kilchenmann, die Leiterin der Sans-Papier-Beratungsstelle Bern.
Seine Partei lehne «kategorisch jegliche Massnahmen ab», die auf eine Legalisierung der Sans-Papiers zielten, sagt hingegen Martin Baltisser, Generalsekretär der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei, SVP: «Wir haben bereits zu viele Konzessionen gemacht.»
Die Politik ist sich in der Frage der Berufslehre für Jugendliche Sans-Papiers nicht einig. Zwar hat das Parlament im September eine Motion an die Regierung überwiesen, die Berufslehren für Sans-Papiers möglich machen würde.
In der Zwischenzeit hat die staatspolitische Kommission des Nationalrates aber eine gegenteilige Position eingenommen. Eine Berufslehre würde letztlich in eine generelle Legalisierung der illegal Anwesenden münden, argumentiert nun die Mehrheit der Kommission.
Durch die Einführung des Drei-Kreise-Modells in der Schweizer Ausländerpolitik im Jahr 1992 haben wenig qualifizierte, arbeitssuchende Menschen aus Ländern ausserhalb der Europäischen Union keine Möglichkeit mehr, in der Schweiz eine Arbeitsbewilligung zu erhalten.
Für die Sans-Papiers in der Schweiz ist es damit praktisch auch unmöglich, ihre Situation zu «legalisieren».
Dies führte dazu, dass sich Papierlose in Kollektiven zu organisieren begannen und an die Öffentlichkeit traten.
Anfang Juni 2001 besetzte eine Gruppe von Sans-Papiers eine Kirche in Freiburg und lancierte ein Manifest, in dem die kollektive Regularisierung aller Sans-Papiers gefordert wurde.
Im November 2001 fand eine gesamtschweizerische Demonstration für die «kollektive Regularisierung aller Sans-Papiers» vor dem Bundeshaus in Bern statt.
Sämtliche Regularisierungs-
vorstösse wurden in der darauffolgenden Debatte im Nationalrat abgelehnt.
Im Dezember 2001 wurde ein neues Rundschreiben der Polizeidirektorenkonferenz bekannt, das sogenannte «Rundschreiben Metzler». Dieses beschreibt, unter welchen Voraussetzungen einzelne Härtefallbewilligungen erteilt werden könnten.
Laut der Sans-Papiers-Beratungsstellen der Deutschschweiz erhielten dadurch von 2001 bis 2007 lediglich etwa 2000 Papierlose eine Aufenthaltsbewilligung.
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