Umstrittener Hamas-Besuch in Genf
Auf Einladung der Interparlamentarischen Union weilt Mushir al-Masri, Sprecher der radikalislamischen Palästinenserbewegung Hamas, in Genf. Die Gesellschaft Schweiz-Israel verurteilte den Besuch scharf. Die Schweiz setzt den Dialog mit Hamas fort.
Al-Masri und Khamis Al Najjar, die palästinensischen Hamas-Parlamentarier, nahmen am vergangenen Samstag an einem Hearing des Menschenrechts-Komitee der Interparlamentarischen Union (IPU) teil.
Das Gremium untersucht mögliche Menschenrechts-Verstösse gegenüber gewählten Parlamentariern aus der ganzen Welt.
Die 1899 gegründete IPU mit Sitz in Genf will zur Sicherung des Friedens, der Förderung des Demokratieverständnisses in allen Teilen der Welt und der Wahrung der Menschenrechte beitragen.
Am Mittwoch trat Al-Masri als Referent an einem Kongress auf, den die Organisation «Recht für alle» an der Universität Genf durchführte. Anlass war der dritte Jahrestag des israelischen Einmarsches in den Gazastreifen. Dieser befindet sich unter Kontrolle der Hamas.
Der Auftritt Al-Masris lief nicht ohne Nebengeräusche ab: Vor dem Universitätsgebäude protestierten rund 100 Menschen. Sie schwangen die Flaggen der Schweiz und Israels und trugen Plakate mit Aufschriften wie «Keine Rechte für Terroristen» oder «Geist von Genf ≠ Hamas».
«Er ist ein gefährlicher Mann», sagte Yehuda Dishon, der in Genf lebt, gegenüber swissinfo.ch. «So gefährlich wie all diejenigen Hamas-Aktivisten, die fortfahren, hunderte von Raketen gegen die israelische Zivilbevölkerung abschiessen.» Die Aussage Al-Masris gleichentags am Schweizer Radio, dass die Hamas Zivilisten zu verschonen versuche, bezeichnet Yehuda Dishon als Unverfrorenheit.
Auftritt vor vollem Haus
In der vollbesetzen Aula der Uni Genf rekapitulierte das führende Hamas-Mitglied die 22-tägige Offensive der israelischen Armee, die am 27. Dezember 2008 begonnen hatte. Al-Masris Bilanz: «1500 palästinensische Tote, 5000 Verletzte und 20’000, die ihr Heim verloren.» Israel verlor 11 Soldaten und drei Zivilpersonen.
Er wolle in Genf aber auch von «grossen Leiden» der Bevölkerung infolge der Blockade des Gazastreifens berichten. «Selbst angesichts der terroristischen Verbrechen, die Israel begangen hat, möchte ich betonen, dass die Palästinenser ihre Hoffnungen für den Kampf für ihre Freiheit am Leben erhalten werden», sagte Al-Masri.
Weiter in Administrativhaft
Die Einladung der Hamas-Delegation zum Hearing der Interparlamentarischen Union erregte auch den Zorn Israels. Aussenminister Avigdor Lieberman sprach von «einem Beispiel von internationaler Heuchelei».
Für die Gesellschaft Schweiz-Israel stellte die Einladung eine «eine Beleidigung für demokratische Werte und Menschenrechte dar, die den Geist von Genf ausmachen».
IPU-Generalsekretär Anders Johnsson bedauerte die Kontroverse, verteidigte aber die Einladung der Palästinenser-Delegation. «Unsere Einladung wurde missverstanden. Wir verhandeln nicht mit der Hamas, aber die IPU-Kommission befasst sich mit den Rechten von Parlamentsmitgliedern, unabhängig davon, wer diese sind.»
Konkret ging es beim Hearing um die Fälle von palästinensischen Parlamentariern, die in Israel inhaftiert sind. Es handelt sich um 20 Mitglieder der Reformpartei, die 2006 in den palästinensischen Gesetzgebungsrat gewählt worden waren. Sie waren von den israelischen Behörden in «Administrativhaft» gesetzt worden. Dies per Militärdekret, also ohne Anklage und Urteil einer richterlichen Behörde. Die Haftmassnahme wird seither alle sechs Monate verlängert.
«Das Komitee arbeitet an der Abschaffung dieser Praxis», sagte Anders Johnsson gegenüber swissinfo.ch. Die IPU unterhalte keine Beziehungen zur Hamas, sondern mit dem palästinensischen Parlament.
Hamas-Exilchef getroffen
Das Schweizer Aussenministerium betont, dass die Hamas-Delegation auf Einladung der IPU in der Schweiz weile. «Als Gastland der IPU ist die Schweiz verpflichtet, die Einreise von offiziellen Gästen der Organisation zu erleichtern», sagt Sprecherin Carole Waelti.
Am Schweizer Fernsehen sagte Al-Masri, dass die Hamas-Delegation in Bern Schweizer Parlamentarier und Behördenvertreter getroffen habe. Über was dabei gesprochen wurde, wollte er nicht sagen.
Derweil setzt die Schweiz ihre Politik des Dialogs mit allen Akteuren des Nahostkonflikts, also auch der Hamas, fort. Jean-Daniel Ruch, der Schweizer Sonderbeauftragte für den Mittleren Osten, soll am Mittwoch in Kairo mit Hamas-Exilchef Chaled Maschaal gesprochen haben. Das Treffen ist nicht offiziell bestätigt.
Neben Israel stufen auch die USA und die EU die Hamas als terroristische Organisation ein. Dies weil sich die Organisation weigert, auf Gewalt zu verzichten und das Existenzrecht Israels anzuerkennen.
Das Entwicklungsbüro des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) unterhält auch eine Vertretung (diplomatisches Büro) für die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah und eine Botschaft für Israel in Tel Aviv.
Es ist verantwortlich für die Hilfsprogramme in Palästina und hat jährlich rund 20 bis 22 Mio. Franken zur Verfügung.
Seine Programme in Gaza, dem Westjordanland und Ostjerusalem decken hauptsächlich die Bereiche Menschenrechte, gute Regierungsführung und wirtschaftliche Entwicklung ab.
Im Bereich Menschenrechte wird der Fokus auf die Unterstützung der hilfsbedürftigsten Menschen, besonders Flüchtlinge, gerichtet.
Ein weiteres Ziel des Programms ist die Unterstützung der palästinensischen Institutionen beim Aufbau ihrer Kapazitäten.
Der UNO-Sicherheitsrat hat sich zu einem Briefing betreffend der humanitären Situation in den Palästinensischen Gebieten bereiterklärt – ein Schritt, den die Palästinenser verlangt hatten.
Der Rat wurde durch die Britin Valerie Amos informiert. Die Nothilfe-Koordinatorin hat den Nahen Osten kürzlich besucht.
Sie erklärte, die Gewalt durch israelische Siedler nehme zu. Israelische Siedlungen seien ein wachsendes Problem auf der Suche nach einem Frieden.
Riyadh Mansour, Vertreter der Palästinenser bei der UNO, verlangte, dass sich das Briefing hauptsächlich auf die humanitären Auswirkungen des fortwährenden israelischen Siedlungsbaus konzentriere.
Botschafterin Susan Rice aus den USA, dem engsten Verbündeten Israels, hatte am 17. Januar vor Journalisten erklärt, dies sei «weder die richtige Zeit noch der richtige Fokus».
Sie erwarte, dass im Briefing auch die Situation im Süden Israels, der immer wieder von Raketen aus dem von der Hamas kontrollierten Gazastreifen getroffen wird, angesprochen wird.
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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