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UNO: Joseph Deiss vor grosser Herausforderung

Joseph Deiss während seiner UNO-Antrittsrede am Freitag in New York. Keystone

Ab Mitte September ist der ehemalige Schweizer Bundesrat Joseph Deiss für ein Jahr Präsident der UNO-Generalversammlung. Er stehe vor einer grossen Herausforderung, sagte Deiss am Freitag nach seiner Wahl in New York.

Für die Schweiz ist die Wahl von Deiss, in dessen Amtszeit als Aussenminister der Schweizer UNO-Beitritt erfolgte, ein diplomatischer Erfolg. Für Deiss ist es die Krönung einer politischen Karriere, die ihn über Gemeinde und Kanton zum Bund und nun zur UNO führte, wo besonders seine Erfahrungen als Vermittler und Brückenbauer zum Tragen kommen sollen.

Durch das hohe Amt von Deiss dürften sich das Profil und die Sichtbarkeit der Schweiz auf dem internationalen Parkett weiter erhöhen.

Appell zur Zusammenarbeit

In seiner Antrittsrede rief Deiss die Weltgemeinschaft zur Zusammenarbeit auf. Frieden, Freundschaft und Zusammenarbeit müssten «Schlagwörter» seines Präsidentschaftsjahres sein. Die Mission der UNO sei es, Würde, Sicherheit und Wohlergehen aller Menschen zu schützen.

Sein neues Amt sei eine persönliche Herausforderung, die er mit Freude annehme. Und für die Schweiz sei die Wahl eine Ehre und ein Zeichen der Anerkennung der bisherigen Leistungen des Landes in der UNO. Ähnlich äusserte sich Aussenministerin Micheline Calmy-Rey, die für die Wahl nach New York gereist war.

Der noch bis Mitte September amtierende Präsident, der Libyer Ali Treki, rief in Erinnerung, dass Deiss die Kampagne für den Beitritt der Schweiz zur UNO angeführt habe. «Das ist ein starker Hinweis auf seine Unterstützung des Multilateralismus und unserer Organisation.»

Die Erfahrungen, die Deiss aus seiner Regierungszeit mit sich bringe würden sicher helfen, die Diskussionen und Herausforderungen im Zusammenhang mit Themen wie Frieden, Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechten, die im Herzen der Agenda der Versammlung stünden, zu fördern. Für die Übergangszeit versprach er Deiss seine volle Unterstützung.

Präsident aller 192 UNO-Staaten

Bei seiner ersten Medienkonferenz nach der Wahl bekräftigte Joseph Deiss vor internationalen Medien, was er auch in seiner Rede vor der Generalversammlung erklärt hatte: Er werde der Präsident aller 192 UNO-Staaten sein. «Ich werde alle Mitglieder gleich behandeln.»

Er wolle dazu beitragen, die Effizienz und Glaubwürdigkeit der UNO zu stärken. Was er von der Schweiz in sein Amt einbringen möchte, sei deren Erfahrung, im Dialog nach Konsens und Lösungen zu suchen, hinter denen alle stehen könnten.

«Beim Lesen der UNO-Charta ist mir aufgefallen, welche Bedeutung der Freundschaft zwischen den Ländern beigemessen wird, die viel weiter geht als die eigene Interessenvertretung. Ich möchte daher alle Staaten aufrufen, diese Dimension bei unseren Debatten vermehrt zu beachten.»

Generalversammlung als Wegbereiterin

Die Generalversammlung sei das einzige Organ der UNO, in dem jedes Land gleichwertig vertreten sei: «Ein Land, eine Stimme und kein Veto.» Zwar seien ihre Resolutionen anders als jene des Sicherheitsrates nicht rechtlich verbindlich, doch könne die UNO-Generalversammlung als Wegbereiterin für wichtige Themen und Entscheide Wirkung entfalten.

Deiss bekräftigte, dass er sich als Brückenbauer sehe. «Es ist wichtig, dass wir in der globalen Zusammenarbeit Fortschritte machen – dies liegt im Interesse der Menschheit und des Planeten.»

Globale Probleme, globale Lösungen

«Die grossen globalen Probleme von heute brauchen globale Lösungen.» Dabei denkt Deiss unter anderem an den Kampf gegen die Armut, den Einsatz für Entwicklung, an Sicherung der Nahrungsmittelversorgung, Umweltfragen oder die Unterstützung von Ländern nach Konflikten.

Zu den schon gesetzten Themen, die Deiss in seinem neuen Amt beschäftigen werden, gehören die Millenniums-Entwicklungsziele: Zehn Jahre nachdem sich die Weltgemeinschaft auf diese geeinigt hatte, wird im September, kurz nach seinem Amtsantritt Bilanz gezogen. Dieses Gipfeltreffen soll Deiss gemeinsam mit seinem Vorgänger Treki leiten.

Als weitere Schwerpunkte nannte Deiss die Reformen der UNO, insbesondere des Sicherheitsrates, und Fragen der globalen Gouvernanz, so das Verhältnis zwischen der Generalversammlung und der G20. Aber auch Themen wie globale Wirtschaft und Umwelt sowie Menschenrechte sind ihm ein Anliegen.

Einfluss auf Agenda

Das Präsidium der Generalversammlung ist nominell das höchste Amt der UNO. Im Gegensatz zu Generalsekretär Ban Ki-moon oder dem Sicherheitsrat hat der Präsident der Generalversammlung aber keine eigentliche Entscheidungsmacht.

Er hat die Rolle eines unabhängigen, neutralen Vermittlers, dessen Priorität die Ziele der internationalen Gemeinschaft sein müssen. Eine seiner Hauptaufgaben ist es, für einen korrekten, geordneten Ablauf der Sitzungen zu sorgen.

Die Agenda bestimmt der Präsident nicht allein, sie wird in Zusammenarbeit mit dem Generalausschuss erarbeitet, der Präsident hat aber gewisse Freiheiten, kann Vorschläge einbringen und die Debatte hinter den Kulissen beeinflussen. Er kann zudem öffentliche Erklärungen abgeben.

Auch wenn Deiss als Präsident der Generalversammlung nicht die Interessen der Schweiz vertreten wird, sondern im Dienste aller UNO-Staaten steht, hat er also etwas Spielraum, um das Wertesystem der Schweiz oder Themen voranzubringen, die der Schweiz am Herzen liegen.
So hat er auch die Rolle eines Fazilitators, der bei unterschiedlichen Positionen unter den UNO-Staaten versucht, einen Konsens zu erarbeiten. Gerade in diesem Bereich sollte Deiss seine langjährige politische Erfahrungen aus der Schweiz zu gute kommen. Deiss ist ausgleichend, diskret und gilt als guter Verhandlungsführer.

Freude und Lob von Calmy-Rey

Die Wahl von Deiss, erklärte Aussenministerin Calmy-Rey in New York, sei ein Beweis der Würdigung der herausragenden Qualitäten des Schweizer Kandidaten.

Die Wahl sei auch ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg, den die Schweiz seit ihrem Beitritt zur UNO begangen habe. Acht Jahre nach dem UNO-Beitritt habe die Schweiz ihren Platz in der Organisation gefunden und werde als wichtige Partnerin wahrgenommen.

Deiss habe im Verlauf seiner politischen Karriere seine Führungskraft unter Beweis gestellt. «Er weiss, was es bedeutet, Kompromisse zu suchen, nach Konsens zu suchen und Brücken zu bauen. Und er weiss, dass man dazu Geduld und Ausdauer braucht, einen Schritt nach dem andern tun muss.»

Rita Emch, New York, swissinfo.ch

Mit der Wahl zum Präsidenten der UNO-Generalversammlung erhält die politische Karriere von Joseph Deiss vier Jahre nach seinem Rücktritt aus der Schweizer Regierung nun noch eine internationale Dimension.
Mit der Wahl in sein UNO-Amt kehrt Deiss an den Ort zurück, der mit einem der grössten Erfolge seiner politischen Karriere verbunden ist, mit dem Ja des Stimmvolks zum Beitritt der Schweiz in die Vereinten Nationen.
Seine politische Karriere begann 1981 im Grossen Rat des Kantons Freiburg. Von 1982 bis 1996 war er zudem Gemeindepräsident von Barberêche.
1991 wurde er in den Nationalrat gewählt, 1999 folgte die Wahl in den Bundesrat, wo er das Aussenministerium übernahm. In dieser Funktion führte er die erfolgreiche Abstimmungskampagne für den Beitritt der Schweiz zur UNO.
2003 wechselte er ins Wirtschaftsministerium, 2006 trat er aus dem Bundesrat zurück.
Joseph Deiss wurde 1946 geboren. Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.
Von 1984 bis zu seiner Wahl in den Bundesrat 1999 war Deiss Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg. Von 1993 bis 1996 amtete er zudem als Preisüberwacher der Schweiz.

Deiss tritt sein Amt am 14. September an. Er wird in den kommenden Wochen sein Team zusammenstellen.
Die Generalversammlung ist das Plenum der Weltorganisation, in dem alle 192 Mitgliedsstaaten unabhängig von ihrer Grösse und Macht eine gleichberechtigte Stimme haben.
Das Präsidium der Generalversammlung wechselt jedes Jahr im Rotationsverfahren unter den fünf regionalen UNO-Gruppen. Dieses Jahr ist die Gruppe Westeuropa und andere Länder (WEOG) am Zug, was der Schweiz die Kandidatur von Joseph Deiss ermöglichte.
In der Regel einigt sich die Regionalgruppe auf eine Person und schlägt der Generalversammlung danach eine Einerkandidatur vor. Dieser Vorschlag wird normalerweise nicht angefochten und der Kandidat per Akklamation gewählt, was auch in diesem Jahr geschah.
Deiss hatte sich in der Gruppe, zu der neben den Staaten Westeuropas Israel, die Türkei, die USA, Kanada, Neuseeland und Australien gehören, in der Ausmarchung gegen den ehemaligen belgischen Aussenminister Louis Michel durchsetzen können.
Zu den Aufgaben des Präsidenten der Generalversammlung gehört die Gestaltung der jährlichen Agenda, was in Zusammenarbeit mit einem Präsidial-Ausschuss erfolgt.
Der Präsident leitet die zweiwöchige Generaldebatte und die Sondersitzungen, die im Verlauf des Jahres angesetzt werden können.
Zudem ist er in Zusammenarbeit mit UNO-Staaten, dem UNO-Generalsekretär, den Vorsitzenden der sechs Unterausschüsse der Generalversammlung an der Erarbeitung von konsensfähigen Resolutionsentwürfen zu Themen beteiligt, die der Versammlung vorgelegt werden sollen.
Zu den wichtigen Aufgaben der Generalversammlung gehört das Budget der Weltorganisation. In der laufenden 64. Generalversammlung war der Schweizer UNO-Botschafter Peter Maurer, seit März dieses Jahres Staatssekretär des Eidg. Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), Vorsitzender des Budgetausschusses.

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