Verschärftes Asylgesetz kommt vors Volk
Das Asylgesetz kommt innerhalb von knapp 20 Jahren bereits zum vierten Mal an die Urnen. Für Mitte-Rechts ermöglicht die neue Verschärfung, besser gegen Missbrauch und kriminelle Asylsuchende vorzugehen. Für die Linke steht die humanitäre Tradition der Schweiz auf dem Spiel.
«Ich werde der Schweiz für immer dankbar sein, dass sie uns 1981 als Flüchtlinge aufgenommen hat», sagt Antonio Hodgers. Nach der Ermordung seines Vaters – einem der Opfer der damaligen Diktatur in Argentinien – hatte der heutige Nationalrat der Grünen Partei mit Mutter und Schwester Zuflucht in Genf gefunden.
«Ich habe hier meine Schulen gemacht, mich in der Politik engagiert und bin Parlamentarier geworden. Ich bin ein Teil der Schweizer Gesellschaft», betont er.
«Damit will ich sagen, dass Flüchtlinge nicht ihr Leben lang Flüchtlinge bleiben. Im Normalfall integrieren sie sich und tragen zur wirtschaftlichen und kulturellen Vielfalt der Schweiz bei. Deshalb verstehe ich nicht, warum sich das Parlament mit dieser kontinuierlichen Verschärfung des Asylrechts derart vehement gegen sie stellt.»
In den letzten 30 Jahren wurde das Asylrecht etwa zehn Mal revidiert, im Schnitt alle drei Jahre. In den 1990er-Jahren, als die Asylgesuche bis 1999 auf 48’000 stark anstiegen, häuften sich die Revisionen. Doch auch im letzten Jahrzehnt, als die Anzahl auf 10’000 bis 15’000 gesunken war, wurde das Asylrecht weiter revidiert.
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Dringliche Massnahmen
Zentraler Punkt des letzten Revisionsprojekts, das 2011 von der Regierung vorgeschlagen wurde, ist die Verkürzung des Prüfungsverfahrens, das viel länger dauert als in anderen europäischen Ländern. In diesem Punkt sind sich praktisch alle Parteien einig.
Während der parlamentarischen Debatte haben Mitte-Rechts-Parteien allerdings gefordert, es brauche zuerst dringliche Massnahmen, um dem neuen Zustrom von Asylsuchenden entgegenzutreten. Die Anzahl Gesuche war im Zusammenhang mit dem Arabischen Frühling 2012 auf 28’000 angestiegen.
Daher hat die bürgerliche Mehrheit des Parlaments letztes Jahr zwei neue Modifikationen des Gesetzes durchgesetzt, mit dem Ziel, das Recht auf Asyl weiter einzuschränken. Die erste dringliche Änderung, bereits seit dem 29. September 2012 in Kraft, wurde von der politischen Linken, Gewerkschaften und humanitären Organisationen per Referendum bekämpft und kommt nun am 9. Juni an die Urnen.
Vier Punkte sind besonders umstritten. So sollen Asylgesuche nicht mehr auf einer Botschaft im Ausland eingereicht werden können, sondern nur noch an der Schweizer Grenze oder in der Schweiz selber. Deserteure und Wehrdienstverweigerer sollen nicht mehr automatisch als Flüchtlinge anerkannt werden. Asylsuchende, welche die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohen, sollen in speziellen Zentren untergebracht werden. Und die Regierung soll während zweier Jahre neue Prüfungsverfahren von Asylgesuchen testen und die Beschwerdefrist von 30 auf 10 Tage reduzieren dürfen.
Die Revision des Asylgesetzes wurde am 28. September 2012 vom Parlament angenommen. Sie wird von der Regierung, den Parteien aus der Mitte und dem rechten Spektrum gutgeheissen. Dagegen sind linke Parteien, Gewerkschaften und humanitäre Organisationen.
Um diese Massnahmen geht es:
Ein Gesuch soll nur noch einreichen können, wer sich an der Schweizer Grenze oder auf dem Gebiet der Schweiz befindet. Gesuche in Botschaften sollen nicht mehr möglich sein.
Personen, die wegen Desertion oder Dienstverweigerung bedroht werden, sollen nicht mehr als Flüchtlinge anerkannt werden. Allerdings soll ihnen im Rahmen des Internationalen Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Schutz angeboten werden.
Asylsuchende, welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, sollen in besonderen Zentren untergebracht werden können.
Anlagen und Bauten des Bundes sollen ohne kantonale oder kommunale Bewilligungen zur Unterbringung von Asylsuchenden für maximal drei Jahre genutzt werden können.
Der Bundesrat soll Testphasen zur Beurteilung neuer Verfahrensabläufe durchführen können. In diesem Zusammenhang soll die Beschwerdefrist von 30 Tagen auf 10 Tage verkürzt werden können.
Unzufriedene Bevölkerung
Für die rechtsbürgerliche Mehrheit des Parlaments sollen diese Massnahmen vor allem «Wirtschaftsflüchtlinge» entmutigen, welche eine überwältigende Mehrheit ausmachen: Pro Jahr werden nur zwischen 10 und 20 Prozent der Asylsuchenden als «echte» Flüchtlinge anerkannt. Mit der Revision sollen Missbräuche und die hohe Kriminalitätsquote unter Asylsuchenden, welche die Bevölkerung beunruhige, besser bekämpft werden können.
«Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist spürbar. Sie zeigt sich etwa im zunehmenden Widerstand gegen die Eröffnung neuer Aufnahmezentren für Asylsuchende», sagt Lukas Reimann, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP).
«Wir akzeptieren die Kriminalität und Störungen durch Leute, die unsere Gesetze nicht einhalten, nicht mehr. Sie sollen in spezielle Zentren untergebracht werden – zum Schutz auch jener Personen, die diesen wirklich brauchen.»
Zudem sei die Schweiz das einzige Land in Europa, das Deserteure und Wehrdienstverweigerer immer noch als Flüchtlinge anerkenne. «Und sie war eines der wenigen Länder, die noch Asylgesuche auf ihren Botschaften zugelassen haben. All diese Punkte machen die Schweiz als Asylland attraktiv – deshalb müssen sie geändert werden», ist Reimann überzeugt.
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Klima der Angst
Von linksgrüner Seite wird die neue Verschärfung des Asylrechts im Namen der humanitären Tradition der Schweiz zurückgewiesen. In ihren Augen treffen die neuen Massnahmen auch die «echten» Flüchtlinge und zielen vor allem auf Emotionen im Abstimmungskampf.
Um der Rechten mit einer erneuten Volksabstimmung über das Asylgesetz keine Propaganda-Plattform zu bieten, hat die Sozialdemokratische Partei (SP) auf ein Referendum verzichtet. Die jungen Grünen allerdings haben dieses unterstützt.
«Diese Massnahmen sind zuallererst unmenschlich», sagt der Nationalrat Balthasar Glättli von der Grünen Partei. «In Ländern wie Eritrea, von wo viele Asylsuchende stammen, riskieren Deserteure oder Kriegsdienstverweigerer tatsächlich Folter und harte Strafen. Zudem sind die Massnahmen absurd: Indem wir die Asylanträge in Botschaften verbieten, werden noch mehr Menschen in die Schweiz kommen, um hier ihren Antrag einzureichen.»
Mit der neuen Gesetzesrevision wollten die Rechte und die Mitteparteien «ein Klima der Angst schüren gegen alles, was aus dem Ausland kommt», ist Glättli überzeugt.
«Tatsächlich aber geht es um einige wenige zahntausend Menschen. Indem man sich auf diese konzentriert, verbirgt man die wahren Probleme, die anzupacken wären: Die Notwendigkeit einer raschen Energiewende oder die Krise im Finanzsektor.»
Schweiz weniger restriktiv
Doch werden die neuen Massnahmen wirklich dazu führen, dass der Zustrom von Asylsuchenden abnehmen wird? Lukas Reimann glaubt fest daran: «In den letzten Jahren hat der Grossteil der europäischen Länder ihre Asylgesetzgebung verschärft. Die Schweizer Gesetze wurden so zu den am wenigsten restriktiven. Mit dieser Revision lösen wir nicht alle Probleme, aber wir können ganz sicher die Missbräuche reduzieren und die Sicherheit der Bevölkerung verbessern.»
Antonio Hodgers bleibt skeptisch: «Bei jeder Revision wird uns gesagt, sie sei gut – und ein paar Monate später wird bereits eine nächste vorbereitet. Es ist, wie wenn man zugeben würde, dass die neuste Gesetzesrevision, die als unverzichtbar verkauft wurde, doch nichts gebracht hat.»
(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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