«Verzicht hätte gravierende Auswirkungen»
Spritzmittel zerstören die Artenvielfalt auf Europas Äcker, zeigt eine neue Studie. Weshalb verzichten die Bauern nicht auf diese Spritzmittel? Samuel Vogel, der Leiter Fachbereich Ökologie im Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) nimmt Stellung.
Die kürzlich veröffentlichte Biodiversitäts-Studie der Universität Göttingen wurde in neun europäischen Regionen durchgeführt. Die Agrarwissenschaftler analysierten, wie sich die seit 50 Jahren ständig intensivierte Landwirtschaft auf Pflanzen, Käfer und bodenbrütende Ackervögel auswirkt.
Das Resultat: Sobald sich die Getreideproduktion auf Feldern um das Doppelte steigert, halbiert sich die Zahl der Pflanzenarten, und die Laufkäfer- und Vogelvielfalt sinkt um einen Drittel.
Hauptursache ist der steigende Einsatz von Spritzmitteln wie Insektiziden und Fungiziden. Laut der Studie könne der biologische Landbau den Verlust der Arten kaum stoppen, solange die Mehrzahl der Bauern nicht auf Pestizide verzichteten.
Biologischer Landbau schont zwar Pflanzen und Käfer. Aber Vögel ebenso wie Säugetiere, Schmetterlinge und Bienen sind auf grossflächigere Lebensräume angewiesen.
Die Leiterin der Studie, Teja Tscharntke, Professorin für Agro-Ökologie der Georg-August Universität in Göttingen, bringt es auf den Punkt: Wer Artenvielfalt wolle, müsse auf den Einsatz von Spritzmitteln weitestgehend verzichten, sagt sie.
Die Resultate dieser Studie seien durchaus auf die Schweiz übertragbar, sagt Tscharntke gegenüber swissinof.ch.
Ertragsausfälle ohne Pestizide
«Es ist heute schon unser Ziel, dass Pflanzenschutzmittel in der Schweiz nur minimal eigesetzt werden», sagt Samuel Vogel, der Leiter Fachbereich Ökologie im Bundesamt für Lanwirtschaft dazu.
Es gebe in der Schweizer Landwirtschaftspolitik verschiedene Elemente, die dies gewährleisten sollen, einerseits würden die Spritzmittel sehr streng geprüft und andererseits «gibt es den ökologischen Leistungsausweis, den jeder Landwirt erbringen muss, damit er Direktzahlungen, also Fördergelder bekommt.»
Die Bauern dürften erst dann spritzen, wenn von einem Unkraut mehr vorhanden ist, als in der Schadschwelle definiert sei. Unter Schadschwelle versteht man die Anzahl Unkräuter, die auf den Feldern Ernteeinbussen verursachen.
Ein totaler Verzicht auf Spritzmittel hätte laut Vogel zur Folge, dass die Erträge stark zurückgehen würden. Er illustriert dies mit einem Beispiel aus Irland. «Im 18. Jahrhundert ist ein Teil der Auswanderung aus Irland auf die Krautfäule bei den Kartoffeln zurückzuführen. Man hatte damals noch keine Mittel gegen diese Pilzkrankheit. Dieser Pilz kann bis zu 100 Prozent Ertragsausfall bedeuten.»
Auch Unkräuter führen teilweise zu einem Ertragsausfall bis zu 50 Prozent. Bei Getreide wissen wir, dass ein Verzicht auf Insektizide und Fungizide etwa 10 Prozent weniger Ertrag bringt. «In diesem Sinne hätte ein totaler Verzicht auf Pflanzenbehandlungsmittel gravierende Auswirkungen», sagt Vogel.
Biodiversität in der Schweiz
Doch auch der Biodiversität wird in der Schweiz ein hoher Stellenwert zugeschrieben. Beispielsweise hat die Schweiz die Biodiversitäts-Konvention unterschrieben, ökologische Ausgleichsflächen im Gesetz verankert und der biologsche Landbau wird gefördert. Alle diese Mittel haben zum Ziel, die Artenvielfalt zu erhalten.
Die Biodiversitäts-Konvention verpflichtet die Mitgliedländer, Anstrengungen zur Erhaltung und Förderung der Artenvielfalt zu unternehmen. In der Schweiz wird derzeit auch eine so genannte Biodiversitätsstrategie erarbeitet.
«Nicht nur in der Landwirtschaft, auch im Wald oder in Naturschutzgebieben gibt es eine Vielzahl von Massnahmen zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität. Ziel dieser Strategie ist es, zu einer Gesamtübersicht zu gelangen», erklärt der Experte.
Gemäss der schweizerischen Landwirtschaftsgesetzgebung muss jeder Landwirt heute mindestens 7% ökologische Ausgleichsflächen auf seinem Betrieb haben.
«Das ist speziell in der Schweiz, das gibt es in Europa sonst so nicht», hält der Leiter des Fachbereichs Ökologie beim BLW fest. Diese Flächen seien gut für Nützlinge, aber auch für die Pflanzen.
Bei den ökoloigischen Ausgleichsflächen handelt es sich um Flächen, die nicht intensiv genutzt werden, zum Beispiel Hecken oder Buntbrachen. Die Grösse der ökologischen Ausgleichsflächen hat bis ins Jahr 2002 stetig zugenommen. Seither stagniert die Gesamtfläche bei rund 120’000 Hektaren. Sie setzen sich zum grössten Teil aus Wiesen (70%) und Obstgärten mit Hochstamm-bäumen (20%) zusammen.
Trotz dieser Anstrengungen weist die Schweiz im Flachland eine relativ schlechte Biodiversitäts-Bilanz auf. Die Schweiz sei nicht alleine, mit diesem Problem, meint Vogel. «Es ist sicher die hohe Bevölkerungsdichte, die einen grossen Einfluss hat. Ein grosser Teil der Landschaft ist bereits überbaut und wird noch überbaut werden. Hier besteht grosser Handlungsbedarf.»
«Weissbuch» kritisiert
Das kürzlich erschienene «Weissbuch Landwirtschaft», das von Ökonomen und Naturwissenschaftlern der «Vision Landwirtschaft» herausgegeben wurde, kritisiert das heutige System der Direktzahlungen heftig.
Die Landwirtschaft erfülle ihren Verfassungsauftrag nicht, weder bei der Versorgungssicherheit noch bei der Nachhaltigkeit. Die ökologischen Ausgleichsflächen hätten seit 2002 nicht mehr zugenommen. Von seinem selbstgesteckten Ziel sei der Bund weit entfernt, meinen die Autoren.
Eveline Kobler, swissinfo.ch
Die Studie der Universität Göttingen wurde in neun europäischen Regionen durchgeführt. Die Agrarwissenschaftler analysierten, wie sich die immer intensivere Landwirtschaft auf Pflanzen, Käfer und bodenbrütende Ackervögel auswirkt.
Das Resultat: Sobald sich die Getreideproduktion auf Feldern um das Doppelte steigert, so halbiert sich die Zahl der Pflanzenarten.
Die Laufkäfer- und Vogelvielfalt sinkt um einen Drittel. Hauptursache ist der steigende Einsatz von Spritzmitteln wie Insektiziden und Fungiziden.
Laut der Studie könne auch der biologische Landbau den Verlust der Arten kaum stoppen. Er schont zwar Pflanzen und Käfer. Aber Vögel bewohnen ebenso wie Säugetiere, Schmetterlinge und Bienen grössere Areale.
Die Tiere leiden auch dann, wenn auf entfernteren Feldern Chemikalien versprüht werden.
Die Ergebnisse der Studie sei durchaus auf die Schweiz übertragbar, meint die Leiterin des Forschungteams, Teja Tscharntke, Professorin für Agro-Ökologie der Georg-August Universität in Göttingen.
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